© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/13 / 16. August 2013

„Kinder lohnen sich“
Polen: Präsident Komorowski preist die Vorzüge des Kinderreichtums / Drohende Überalterung des Landes abwenden
Christian Rudolf

Das kinderlose Leben.“ Kurz und prägnant macht das führende amerikanische Time-Magazine diese Woche mit einer Geschichte zu amerikanischen Frauen und Paaren auf, in deren Lebenslauf Kinder nicht vorkommen. Und die glücklich sind und nichts vermissen. Auf dem Titel: ein entspannt am Strand liegendes Liebespaar im besten Familiengründungsalter. Hintergrund des Schwerpunktthemas: die nordamerikanische Geburtenzahl ist die niedrigste in der Geschichte der USA.

Das läßt sich von einem Bündnispartner Washingtons nicht behaupten. Die Türkei leidet nicht unter Kindermangel. Ein Viertel der Bürger des moslemischen Landes war 2011 unter 14 Jahre alt. In den zehn Jahren der Regierung Recep Tayyip Erdoğans wuchs die Bevölkerung um neun Millionen auf 75,8 Millionen. Für den Premier nicht genug: Während einer vom Fernsehen übertragenen Rede zum Ende des islamischen Fastenmonats forderte Erdoğan die türkischen Frauen auf, mindestens drei Kinder zu gebären. „Wir müssen unsere Nation unterstützen!“ Wie der Westen wolle man schließlich nicht enden.

Ähnliche Aufrufe kamen auch schon von Rußlands Präsident Wladimir Putin, dessen Land von immer weniger Menschen besiedelt wird. Um der Überalterung entgegenzuwirken, sollte es zur „Norm“ werden, daß russische Familien drei Kinder hätten.

Europa ist der einzige Kontinent mit einem kontinuierlichen Rückgang der Erwerbsbevölkerung. Das Thema ist aktuell wie nie. Auch bei Deutschlands direktem östlichen Nachbarn. Die Staatslenker scheinen sich gegenseitig zu inspirieren oder von der Agenda der anderen zu stibitzen: Jedenfalls griff Polens Präsident Bronisław Komorowski kürzlich mit einem Appell in die Dauerdebatte ein. Dafür wählte er einen ungewöhnlichen Weg: Vom Titel des Boulevardblattes Fakt, das an jedem Kiosk zwischen Oder und Bug ausgestellt ist, prangte es in Fettdruck: „Polen, Kinder lohnen sich!“ Daneben ein Foto des fünffachen Vaters, glücklich lächelnd mit Enkel auf dem Schoß. Unterfüttert mit einer menschelnden Geschichte über die bleiernen achtziger Jahren, in denen die jungen Komorowskis Ebbe im Portemonnaie und eine kleine Wohnung hatten, die polnische Stasi im Nacken, der Vater zeitweise interniert war, und doch die Kinder kamen. „Heute macht das Präsidentenehepaar Mut, Kinder zu bekommen“, schrieb die Redaktion dazu, „denn Nachkommen bedeuten Freude im Alltag und sind die beste Investition in die Zukunft.“

In seinem eigenen Beitrag nennt Komorowski die Familienpolitik eine seiner „strategischen Prioritäten“. Und weist auf eine Tatsache hin, die in Polen noch zu Verwerfungen führen wird: Das Land nimmt bei der Geburtenrate unter 222 Staaten Platz 209 ein. Demographen rechnen hoch, was das bedeutet: Das vor nicht langem noch kinderreiche polnische Volk, derzeit noch 38,2 Millionen Einwohner stark, könnte auf 32 Millionen schrumpfen. Im ungünstigsten Fall sogar auf 30,5 Millionen.Mit dramatischen Auswirkungen auf Wirtschaftswachstum und Sozialsysteme sowie Verteidigungsfähigkeit.

Ob die Aktion des Präsidenten ankommt? Die jungen Polen verweigern sich der Familiengründung – Arbeitslosigkeit, prekäre Beschäftigungsverhältnisse, miese Gehälter für Berufseinsteiger. Dazu kommt die Auswanderungswelle in die westlichen EU-Länder, die die Arbeitsämter freut, aber die Kreißsäle leert. Die Geburtenrate pro Frau beträgt nur noch 1,3. Im Laufe der vergangenen zehn Jahre änderte sich daran nichts Wesentliches. Auch in den Analysen der Experten oszilliert sie von 1,2 bis 1,4 um diesen Wert. In den Hochrechnungen für 2060 steigt sie auf 1,56 leicht an. Selbst in der optimistischsten Variante wird sie nur auf 1,9 wachsen. Was noch immer einen Bevölkerungsabfall auf 34,3 Millionen bedeutete.

Polens Demographie-Papst Janusz Czapiński von der Warschauer Universität stellt nüchtern fest: „Die Bereitschaft, Kinder zu bekommen, ist wirklich drastisch gesunken. Wir sind da weltweit ganz unten. Das Volk schrumpft.“

Bis 2060 könnte die Zahl der Personen bis 18 Jahre von jetzt 7,1 Millionen auf 4,7 Millionen zurückgehen – 1990 waren mit elf Millionen allerdings noch über ein Viertel der Polen unter 18, rechnen die Experten der staatlichen Sozialversicherungsanstalt vor.

Die Zahl der Menschen im Rentenalter erhöht sich von 6,9 auf 10,5 Millionen – die schrittweise Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre schon eingerechnet. Das ist ein Anstieg um 52 Prozent. Was das umlagefinanzierte Rentensystem praktisch funktionsunfähig macht: denn damit kommen in knapp fünfzig Jahren auf tausend Arbeitnehmer 670 Rentner. Derzeit sind es noch 270.

„Die demographische Bilanz Polens wird zum größten Entwicklungshemmnis im 21. Jahrhundert“, kommentiert Wirtschaftsdemograph Stanisław Kluza von der renommierten Warschauer Haupthandelsschule (SGH) die Daten. Keine Kinder – keine Arbeitskräfte, keine Ideen und Innovationen. Doch Kluza will kein Pessimist sein. Seine Kollegin Anna Matysiak aus demselben Hause hat drei Vorschläge zur Debatte beigesteuert. Die sollen es jungen Leuten erleichtern, sich für eine Familie zu entscheiden: Erstens: Nach der Ausbildungsphase brauchen Berufsanfänger einen besseren Einstieg auf dem Arbeitsmarkt – die Zahl der Arbeitsplätze ist viel zu gering; Zweitens: Es muß leichter gemacht werden, die erste Wohnung zu kaufen. Schweden beispielsweise gewährt den Jungen finanzielle Unterstützung für das Abzahlen des Kredits; Drittens: Frauen müssen die Sicherheit haben, nach dem Mutterschaftsurlaub den Arbeitsplatz auch tatsächlich wiedereinnehmen zu können. Aber die Demographin weiß, daß sich private Entscheidungen gerade in Familiendingen der staatlichen Planung weitgehend entziehen.

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