© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/13 / 16. August 2013

„Die lachen doch über die Behörden“
Garbsen: Nach dem Brand der evangelischen Willehadi-Kirche drängen die Bürger die Stadtführung zum Handeln
Thorsten Brückner

Als wollten sie ein Zeichen setzen. Auf dem Weg zur Bürgerversammlung durchquerten die Einwohner des Problemstadtteils „Auf der Horst“ im niedersächsischen Garbsen demonstrativ den Sperberhof, Treffpunkt einer Jugendgang, die das Viertel terrorisiert und von zahlreichen Bürgern für den Brand der Willehadi-Kirche
(JF 33/13) verantwortlich gemacht wird. Von der Gang ist zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nichts zu sehen. Doch genau sie steht im Mittelpunkt der Versammlung, zu der Bürgermeister Alexander Heuer (SPD) besorgte Garbsener Bürger am Freitag vergangener Woche eingeladen hatte.

Der Raum der Begegnungsstätte ist bis auf den letzten Platz gefüllt, vor dem Saal hat der Bürgermeister zusätzliche Bänke und Lautsprecher aufstellen lassen. Viele ältere Bürger sind erschienen, aber auch junge Frauen, die um ihre Sicherheit fürchten, sowie Mütter mit Kindern, die aus Sorge um ihren Nachwuchs zum ersten Mal in ihrem Leben an einer politischen Veranstaltung teilnehmen. Von ausländischen Einwohnern aus Garbsen ist nichts zu sehen, obwohl ganze Straßenzüge im Stadtteil Auf der Horst von Migranten bewohnt werden. Eine Frau hat hierfür eine Erklärung parat: „Ich finde es traurig, daß es den Aufruf nur in deutscher Sprache gab“, kritisiert sie.

Die Sorgen der Bürger werden ernst genommen, versichert der Bürgermeister immer wieder. Gleich am Eingang hat er eine Pinnwand anbringen lassen, an die die Bürger Kritik und Fragen heften können. Schon eine halbe Stunde vor Veranstaltungsbeginn ist sie bereits gut gefüllt mit Anregungen wie: „Ein tolles Fest für alle Generationen veranstalten“ oder „Sternmarsch der Schulen zur Willehadi“ oder auch durch Forderungen wie „Platz stärker besetzen durch positive Aktionen“. Doch auch ganz andere Vorschläge finden sich: „Schnupperknast statt Kuschelkurs“ steht da neben „Kriminelle Jugendgangs, warum wurde nicht früher reagiert?“

Wieviel Wut und Verzweiflung sich bei den Menschen angestaut hat, zeigt die Debatte. Der Behauptung des Bürgermeisters, in den vergangenen Jahren habe sich die Situation zum Besseren entwickelt, möchte sich kaum einer anschließen. „Ich wohne seit 1975 Auf der Horst“, ergreift ein Mann Mitte Fünfzig das Wort. „Es ist seitdem immer schlimmer geworden. Wenn hier jetzt nicht mal Nägel mit Köpfen gemacht werden, dann sehe ich für die Gemeinde schwarz“, sagt er. Auch die Polizei bekommt ihr Fett weg. „Vor ein paar Tagen haben die Jugendlichen Steine auf meinen Balkon geworfen, und ich habe die Polizei gerufen“, klagt eine junge Frau. Diese habe jedoch zu lange gebraucht und die Jugendlichen waren schnell wieder weg. „Es wird immer schlimmer, ich krieg‘s tagtäglich mit, ich habe kleine Kinder“, äußert sie ihr Leid. Eine andere junge Frau erzählt mit tränenerstickter Stimme, sie traue sich bei Dunkelheit nicht einmal mehr, die 800 Meter von ihrem Haus bis zur Sporthalle mit dem Fahrrad zu fahren.

Die Verantwortlichen sehen das Hauptproblem hingegen vor allem in der mangelnden Perspektive der jugendlichen Täter. Man brauche gezielte Jobcenterprojekte, damit man Jugendliche „über Sozialarbeiter erreichen kann, so daß diese nicht ihre Ausbildung abbrechen“, fordert die zuständige Jugendamtsleiterin. Zudem gehe nichts an der Einstellung von mehr Sozialarbeitern vorbei. „Wir beabsichtigen, zwei Streetworker zusätzlich einzustellen, die sich mit Freizeitangeboten auf die Jugendlichen zubewegen sollen.“

Bei den terrorisierten Bürgern kommen solche Äußerungen schlecht an. Sowohl die kurzen Rede der Jugendamtsmitarbeiterin als auch die des Bürgermeisters und der ebenfalls auf Beschwichtigung setzenden Städtebaumanagerin werden immer wieder von Raunen und höhnischem Gelächter unterbrochen. Mit Streetworkern, so ein älterer Herr, sei diesen Jugendlichen nicht mehr beizukommen, sondern nur mit Strenge. „Die lachen doch über die Behörden“, entrüstet er sich und fordert von der Polizei unter Beifall eine härtere Gangart.

Einen harten Kern von etwa 20 Jugendlichen erreiche man durch die Sozialarbeiter tatsächlich nicht, gesteht Heuer ein, „aber wir müssen am Umfeld der Gruppe arbeiten, daß sie nicht größer wird.“ Auch wehrt sich der Bürgermeister dagegen, alles schlechtzureden. „Ich laß mir meinen Optimismus nicht nehmen“, hält er den sichtlich um Fassung ringenden Bürgern entgegen.

Ein Kommunalpolitiker der Freien Wähler, der sich zu Wort meldet, geißelt neben der „rot-grünen Täterschutz-geht vor-Opferschutz-Politik“ vor allem die seiner Meinung nach mangelnde Durchsetzungsfähigkeit der Justiz: „Warum verlangt man jetzt von einem Polizisten, daß er sich in solche waghalsigen Situationen begibt, nur damit dann die
75. Anzeige auch noch eingestellt wird?“ Für Heuer ist dies „billiger Populismus“. Die Wortmeldung eines Grünen findet dagegen die Unterstützung des Rathaus-chefs. Dessen Angst, der Brand könnte nun die rechte Szene anheizen, müsse man ernst nehmen. Am Ende folgt ein überraschendes Bekenntnis des Bürgermeisters. Auch er gehe nachts mittlerweile nicht mehr über den Sperberhof. Er folgt damit dem Rat des Moscheevereins, die Gegend nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr zu betreten.

Der ebenfalls anwesende Polizeidirektor möchte zum derzeitigen Stand der Ermittlungen im Fall des Kirchenbrands keine Angaben machen, sichert den Bürgern aber zu: „Wir bemühen uns.“ Für die Garbsener ist das allerdings zuwenig. „Er hat sich bemüht“, bedeutet im Arbeitszeugnis nichts Gutes“, hält ihm eine Frau entgegen.

Foto: Zaun vor der zerstörten Kirche in Garbsen: Die Polizei hält sich bei den möglichen Tätern weiter bedeckt

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