© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/13 / 16. August 2013

„Das Interesse wird wieder steigen“
Die Bundestagswahl naht und die Alternative für Deutschland kämpft gegen Desinteresse und stagnierende Umfragewerte. Kann die Partei den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde überhaupt schaffen? Ulrich Abramowski, AfD-Landeschef und Mitbegründer, ist zuversichtlich
Moritz Schwarz

Herr Abramowski, in fünf Wochen ist Bundestagswahl und die Alternative für Deutschland (AfD) liegt in den Umfragen nach wie vor bei zwei bis drei Prozent. Wie wollen Sie diesen Rückstand noch aufholen?

Abramowski: Mit einem gezielten Wahlkampf, der sich nicht nur der üblichen Mittel bedient.

Sondern?

Abramowski: Mit Plakaten und mehr oder weniger sinnfreien Sprüchen erreicht man die Wähler nicht mehr. Wir setzen auf den Straßenwahlkampf, um den Dialog mit den Wählern und Wählerinnen zu eröffnen, um unserer Partei Gesicht und Stimme zu geben.

Das soll genügen, um Ihren Umfragewert innerhalb weniger Wochen zu verdoppeln?

Abramowski: Davon bin ich überzeugt!

Tatsächlich ist die anfängliche AfD-Begeisterung doch längst verpufft.

Abramowski: Natürlich ließ das Interesse zuletzt nach. Das lag aber an der Ferienzeit. Wenn nun die heiße Phase des Wahlkampfes beginnt, wird das Interesse an der Wahl wieder steigen, das gilt auch für das Interesse an der AfD.

Die Medien räumen Ihnen kaum noch Chancen ein, die AfD sei im Volk „weitgehend unbekannt“. Selbst Ihr Parteichef gibt zu: „Unser Bekanntheitsgrad ist noch nicht befriedigend.“

Abramowski: Daran müssen wir mit aller Kraft arbeiten. Aber Meinungsforscher weisen immer wieder darauf hin, daß Wahlen in den letzten Tagen entschieden werden – dann, wenn die Unentschiedenen, die das Zünglein an der Waage sind, gewonnen werden müssen.

Gibt es dafür eine besondere Strategie?

Abramowski: Von zentraler Bedeutung ist, den Bekanntheitsgrad der Partei zu erhöhen. Im Netz und in den Talkshows haben wir eine sehr gute Präsenz, aber ein großer Teil der Bevölkerung hat nicht die Zeit, ständig im Internet zu sein und politische Talkshows zu schauen. Daraus folgt für uns, gerade diese Leute vor der Wahl noch zu erreichen. Vor allem Nichtwähler gilt es anzusprechen, die sich in den letzten Jahren praktisch völlig von der Politik abgewendet haben. Dabei genießen wir hier in Niedersachsen den Vorteil, daß Parteichef Bernd Lucke, der der bekannteste Vertreter der AfD ist, bei uns die Kandidatenliste anführt.

Allerdings finden sich in Ihrem Bundesland auch fünf Wochen vor der Wahl kaum AfD-Wahlkampfplakate. Was ist da los?

Abramowski: Es ist unsere Strategie, die Plakate nicht zu früh aufzustellen – wobei dennoch schon einige stehen.

Auch in anderen Ländern, etwa in Teilen Bayerns oder in Baden-Württemberg, findet man bis heute kaum ein AfD-Plakat. Ist das eine einheitliche Strategie?

Abramowski: Nein, ich kann nur für unser Bundesland sprechen. Was die Beweggründe anderer Landesverbände sind, müssen Sie diese fragen.

Was bitte soll der Nutzen dieser Zurückhaltung sein?

Abramowski: Wir wollen mit unserer Plakatierung dann einen neuen Akzent im Wahlkampf setzen. Dann, wenn die Plakate der etablierten Parteien bereits das Auge des Wählers ermüdet haben, kommen wir ins Spiel. Wir versprechen uns davon, daß der Eindruck, den unsere Plakate bei den Wählerinnen und Wählern machen, auf diese Weise bis kurz vor der Wahl noch frisch ist.

Hätte die AfD als Herausforderer nicht im Gegenteil zu den ersten gehören müssen, die mit Plakaten in die Öffentlichkeit gehen?

Abramowski: Das denke ich nicht, wichtig ist, daß es grundsätzlich eine Plakatpräsenz gibt, weil dies demonstriert, daß man mitspielt. Es bringt aber keinen Vorteil, als erster zu plakatieren. Im Gegenteil, der Eindruck, den ein Wahlplakat macht, erneuert sich ja nicht, deshalb setzen wird darauf, diesen, wie gesagt, in der Endphase ins Spiel zu bringen.

Aus der Partei dringen Gerüchte, die AfD habe gar nicht das nötige Geld für einen Plakatwahlkampf.

Abramowski: Das kann ich nicht bestätigen. Sicher haben wir nicht solche Mittel wie die etablierten Parteien, aber genug für eine ordentliche Plakatierung.

Wo bereits plakatiert wird, wie etwa in Berlin, häufen sich die Meldungen von Gewalt gegen AfD-Plakate und Plakatierer.

Abramowski: Nicht nur gegen Plakatierer, gegen AfD-Wahlkämpfer allgemein. Wir erleben das bei uns, vor allem in Göttingen, aber auch anderswo.

Zum Beispiel?

Abramowski: Trauriger Höhepunkt ist der versuchte Brandanschlag auf das Wohnhaus eines AfD-Wahlkämpfers in Göttingen, der zum Glück von der Polizei vereitelt werden konnte. Andernorts mußten AfD-Wahlkämpfer nach Angriffen ins Krankenhaus gebracht werden.

Was sind die Ursachen für die Gewalt?

Abramowski: Ich sehe das unter anderem als eine Folge der Diffamierungs- und Hetzkampagne in zahlreichen Medien. Etwa wenn die Bild-Zeitung über die „Kleinparteien Freie Wähler, Piraten oder die Euro-Hasser der AfD“ schreibt. Oder denken Sie an den skandalösen Aufruf unter anderem aus den Reihen der Grünen Jugend in Göttingen – der Jugendorganisation der Grünen –, den Wahlkampf der „nationalistischen, rassistischen und antisemitischen“ AfD zu sabotieren. Und wenn ich dann lese, wie etwa die Hannoversche Allgemeine, eine der führenden Zeitungen hier, darüber berichtet, nämlich nicht mit klarer Kritik und Distanz zum undemokratischen, latent zur Gewalt auffordernden Gebaren der Grünen Jugend, sondern ganz „neutral“, so als sei deren „Kritik“ eine legitime Meinungsäußerung, dann empfinde ich das wirklich als empörend.

Die Unzufriedenheit über die Euro-Rettung beim Wähler ist enorm. Warum schlägt sich das nicht automatisch in Umfragezustimmung für die AfD nieder?

Abramowski: Das habe ich mich auch schon gefragt, denn wenn dem so wäre, dann müßte die Partei ja längst einen zweistelligen Umfragewert haben. Ich glaube, es liegt daran, daß die Euro-Rettung zwar ein vom Bürger mißtrauisch beäugtes Thema ist, das er aber nicht recht durchschaut. Daher die Scheu, etwas Neues zu wagen. Ein wenig ist es so, wie Passagiere von einem langsam sinkenden Schiff ins Rettungsboot zu kriegen. Hoffend, es noch auf dem Schiff bis in den Hafen zu schaffen, bleiben sie lieber, wo sie sind, statt sich in einem kleinen Boot der rauhen See auszusetzen.

Wie reagieren Sie darauf?

Abramowski: Wir müssen die Bürger nicht nur in der Sache überzeugen, sondern auch davon, daß es wirklich nötig ist, sich von den etablierten Parteien abzunabeln. Wir müssen klarmachen, daß der Dampfer nicht nur leckt – das haben viele Bürger eh begriffen –, sondern daß die Euro-Politik der Etablierten zu einem Absaufen des Schiffs vor dem Hafen führen wird und es daher des Mutes bedarf, in die Boote zu steigen.

Wer ist ihr Hauptgegner im Wahlkampf?

Abramowski: Es ist schwer, einen zu benennen, weil die Zustimmung für uns von Wählern aus allen Lagern kommt. Kein Wunder, denn die Euro-Rettung wird von den Etablierten fast einmütig betrieben, so daß wir eigentlich Herausforderer gegenüber allen sind.

Müßte Ihr Hauptgegner nicht die ebenfalls eurorettungskritische Linke sein?

Abramowski: Wer das von der Linken glaubt, irrt sich gewaltig. Die Linke ist nicht deshalb eurorettungskritisch, weil sie die Probleme des Euro und deren Konsequenzen für Deutschland erkannt hat, sondern weil sie eine andere Art von Euro-Rettung will. Dabei mag sie manch wunden Punkt treffen, aber unterm Strich würde mit der Linken der Euro nur anders gerettet und zwar noch mehr auf Kosten des deutschen Steuerzahlers. Aber ich glaube, daß die Geschichte der Linken – Stichwort SED-Vergangenheit – unsere eher bürgerlichen Wähler sowieso davon abhält, für diese zu stimmen.

Laut einer Umfrage im Auftrag der „Zeit“ kommen die AfD-Sympathisanten vor allem aus den Reihen der Linken-Wähler: 35 Prozent derer, die 2009 die Linke gewählt haben, könnten sich vorstellen, AfD zu wählen. Bei FDP- und CDU-Wählern waren es nur 33 beziehungsweise 18 Prozent.

Abramowski: Es stimmt, daß wir Sympathisanten haben, die zuvor die Linke gewählt haben. Allerdings aus Protest, nicht aus Überzeugung – das ist ein Unterschied.

Wie wird nach Ihrer Erfahrung im Straßenwahlkampf die AfD vom Bürger wahrgenommen: als Ein-Themen-Partei oder als Gesamtalternative zu den Etablierten?

Abramowski: Immer stärker als letzteres. Wir merken, daß die Bürger enttäuscht sind von den Etablierten, weil sie erkennen, wohin die Euro-Rettung führt. Da sprechen die Fakten ja für sich.

Jetzt sind wir wieder beim Thema Euro. Welche Themen sind es noch, um derentwillen die Bürger Sie als Gesamtalternative begreifen?

Abramowski: Etwa das Thema Alterssicherung ...

Man interessiert sich für die AfD wegen des Themas Alterssicherung? Im Ernst?

Abramowski: Alterssicherung ist ein großes Thema. Angesichts der Niedrigzinspolitik bei gleichzeitiger Inflation ist das auch kein Wunder. Zumal die Inflation tatsächlich deutlich höher als etwa 1,7 Prozent ist. Daß sie nominell so niedrig erscheint, liegt am Berechnungsmodus. Wenn man aber die Warenkörbe heute und zum Zeitpunkt der Euro-Einführung vergleicht, erkennt man einen irrsinnigen Realverlust!

Welche Rolle spielt die Einwanderung?

Abramowski: Es ist ein Thema, das bei den Bürgern, die zu uns kommen, polarisiert. Von „Grenze zu!“ bis zur Forderung nach weiterer Liberalisierung der Zuwanderungsbegrenzung findet man da bei AfD-Interessierten alle möglichen Meinungen. Allerdings gehört das Thema, nach allem, was ich in Niedersachsen erlebe, nicht zu jenen, die von AfD-Interessierten vordringlich diskutiert werden.

Ursprünglich gehörte zum Manifest der AfD die Zurückweisung der politischen Korrektheit. Dieser Punkt wurde dann auf dem Parteitag gestrichen.

Abramowski: Weil es ein Nebenthema ist. Wir wollten uns auf die für die Bürger drängenden Probleme konzentrieren.

Laut Umfragen sind 33 Prozent der Deutschen der Meinung, man könne hierzulande nicht offen seine Meinung sagen.

Abramowski: Das sehe ich nur teilweise so. Sicher gibt es Themen, da gibt es so etwas wie eine „öffentliche Zensur“. Aber es gibt auch Themen, bei denen wir berechtigterweise mit öffentlichen Meinungsäußerungen vorsichtig sein sollten.

Zum Beispiel?

Abramowski: Zum Beispiel das Thema Holocaust – und das finde ich auch richtig so. Bei allen anderen Themen aber erleben wir, daß wir die Dinge ansprechen können. Daß man damit nicht immer auf Gefallen stößt, das gehört zur Meinungsfreiheit dazu. Daß wir mitunter dafür ignoriert oder gar diffamiert werden, nun, dem muß man sich stellen.

Im AfD-Vorstand sitzen mit Alexander Gauland und Konrad Adam zwei dezidiert Konservative. Entspricht dieser konservative Akzent den Verhältnissen an der Basis?

Abramowski: Nach meiner Erfahrung ja. Dabei sind wir offen für viele Strömungen – natürlich nicht für radikale. Wir sind sicher keine konservative Partei, aber ein konservatives Element sehe ich durchaus. Die Partei vereinigt eine Mischung aus konservativen und liberalen Grundhaltungen. Wobei ich mit liberal wirklich liberal im altehrwürdigen Sinn meine, nicht das, was die FDP macht.

Was ist nun Ihr Tip für den Wahlabend?

Abramowski: Fünf Prozent plus x.

Und wenn nicht? Wäre das das Ende der AfD?

Abramowski: Nein, das glaube ich nicht. Dann werden wir ganz bestimmt im Mai 2014 ins Europaparlament einziehen.

 

Ulrich Abramowski, führt den Landesverband Niedersachsen und – hinter dem Spitzenkandidaten und Bundesparteichef Bernd Lucke – auf Platz zwei die dortige Landesliste der Alternative für Deutschland an. Zunächst engagierte sich Abramowski gemeinsam mit Bernd Lucke in der „Wahlalternative 2013“ – dem Vorläufer der AfD –, die damals noch den eurorettungskritischen Bundesverband der Freien Wähler unterstützte. Doch nach dem Scheitern der Freien Wähler bei der niedersächsischen Landtagswahl am 20. Januar 2013 mit nur 1,1 Prozent beteiligte er sich an der Gründung der AfD (Logo oben) am 6. Februar in Oberursel. Im Gegensatz zu vielen anderen Mitgliedern der Alternative für Deutschland war Ulrich Abramowski zuvor noch in keiner anderen Partei engagiert. Geboren wurde der Volkswirt und Unternehmensberater 1956 in Düsseldorf.

www.afd-niedersachsen.de

Foto: AfD im Wahlkampf (in Berlin): „Wahlen werden in den letzten Tagen entschieden, nämlich dann, wenn die Unentschiedenen, die das Zünglein an der Waage sind, gewonnen werden“

 

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