© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/13 / 16. August 2013

Das dicke Ende kommt
Im Wahlkampf spielt die Euro-Krise keine Rolle. Nach dem 22. September droht ein böses Erwachen
Paul Rosen

Europa tanzt auf dem Vulkan, und niemand will das sehen. Die Schuldenblase der europäischen Staaten entwickelt sich zu einem Desaster, die Euro-Währung entpuppt sich als größte Fehlentscheidung auf dem alten Kontinent seit dem Zweiten Weltkrieg.

Doch Deutschland scheint Mittelpunkt der paradox wirkenden alten Welt zu sein: Berliner Politiker streiten, ob die Olympischen Winterspiele in Rußland wegen dort angeblich herrschender Homophobie boykottiert werden sollen. Sie wollen Deutschland zur spionagefreien Zone machen und empören sich über gedopte Sportler. Für weitere Aufregung sorgt in diesem Sommer nicht ein Problembär, sondern eine große bissige Schildkröte. Um das Panzertier zu jagen, wurde in Bayern schon ein Badesee leergepumpt.

Haben wir keine anderen Sorgen? Der Münchener Ökonom Hans-Werner Sinn erinnerte schon im Juli an das eigentliche Problem, das in Deutschland herunterdiskutiert, wegretuschiert und möglichst sogar verschwiegen wird: „Die Euro-Krise war nie verschwunden.“ Zahlen geben dem Professor recht. Trotz aller Sparpakete machen die europäischen Staaten immer mehr neue Schulden und schicken damit ihre Bürger auf den Marsch der Lemminge zum Abgrund, in dem sie ihren mühsam erarbeiteten Wohlstand durch höhere Steuern und Entwertung des Geldes verlieren werden.

Insgesamt betragen die Schulden der Euro-Länder zum Ende des ersten Quartals 2013 unvorstellbare 8,75 Billionen Euro. Im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt sind das 92,2 Prozent (nach 90,6 Prozent im Vorjahresquartal). Trotz Troika und Hilfspaketen stieg die Schuldenquote in Griechenland um 24 Prozentpunkte auf 161 Prozent, in Italien um sieben Punkte auf 130 Prozent, in Portugal um 15 Punkte auf 127 Prozent, in Irland um 18 Punkte auf 125 Prozent. In Deutschland blieb der Wert mit 81 Prozent stabil.

Die Zahlen zeigen, wo das europäische Domino der zusammenbrechenden Währung und damit der Prozeß der zugrundegehenden Wirtschaft und das Ende des Wohlstands beginnen wird: in Griechenland. „Es ist klar, daß Griechenland früher oder später einen weiteren Schuldenschnitt brauchen wird“, sagte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, Anfang August im Handelsblatt. Der Ökonom ist Berater der Bundesregierung und durchbrach das von den Berliner Parteien und Medien bis dahin eisern eingehaltene informelle Schweigegelöbnis, durch das die Bundesbürger bis zum Wahltermin am 22. September ruhig gehalten werden sollen.

Andere Botschaften kamen hinzu: Die DZ Bank erwarte einen weiteren Schuldenschnitt mit einem Volumen von 102 Milliarden Euro, der den deutschen Bundeshaushalt mit 20 Milliarden belasten würde – weit mehr als der Solidaritätszuschlag in einem Jahr einbringt. Auch die Bundesbank geht laut Spiegel davon aus, die Europäer müßten 2014 „wohl in jedem Fall ein neues Kreditprogramm für Griechenland beschließen“.

Doch es gab keine großen öffentlichen Debatten, keine Sondersitzungen und keine Fernsehsondersendungen. Wenn im Berliner Reichstag in diesen Tagen Aufregung herrscht, dann wegen der Spionageaktivitäten befreundeter Mächte. Die schleichende Entwertung des Vermögens des eigenen Volkes durch Niedrigzinsen und kommende Milliardenbelastungen lassen jene Politiker kalt, die wie Kanzlerin Angela Merkel (CDU) geschworen haben, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden.

Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), der schon 2010 versicherte, „die Rettungsschirme laufen aus. Das haben wir klar vereinbart“, will jetzt von einem neuen Griechenland-Paket nichts wissen. Wirtschaftsminister Philipp Rösler, dessen FDP der Enteignung deutscher Sparer tatenlos zusieht und die finanzielle Strangulierung Deutschlands durch immer weitere Bürgschaften hinnimmt, dementiert bis zum Wahltermin: „Für einen Schuldenschnitt sehe ich keine Notwendigkeit.“ Die Lage in Athen sei besser als vor einem Jahr. Mit dieser Aussage steht der Wirtschaftsminister allein auf weltweiter Flur.

Jeder weiß, daß die Euro-Währung den Niedergang erst Griechenlands und dann weiterer Länder beschleunigen wird. Die in Brüssel ersonnenen und dann diktierten Sparpakete erinnern an den Versuch, einen Tankstellenbrand mit Benzin zu löschen. Wie ein einsamer Rufer in der Wüste erscheint Bernd Lucke, der Vorsitzende der Alternative für Deutschland (AfD): „Die Regierung versucht mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln, die Euro-Krise aus dem Bewußtsein der Bürger zu verdrängen. Das ist eine gezielte und verantwortungslose Strategie“, so Lucke.

Auf die heutigen Oppositionsfraktionen im Bundestag ist schon lange kein Verlaß mehr. Sie setzen der Regierung keine Grenzen, sondern wollen die Dämme endgültig brechen sehen: „Die Pläne für eine Vergemeinschaftung der Schulden über Eurobonds und die Einführung eines Schuldentilgungsfonds gehen meilenweit über das hinaus, was die Bundesregierung an Risiken zu akzeptieren bereit ist“, erkannte die Welt ganz richtig.

Am härtesten wird es die Deutschen treffen. Für die Rettungsschirme, die natürlich nicht auslaufen, stehen sie mit Milliardensummen in der Haftung: Beim ersten Schirm sind es bisher 95,3 Milliarden, aus denen 211 Milliarden werden können. Der zweite Schirm kann mindestens 190 Milliarden kosten. Südeuropäer stehen bei der Bundesbank mit 576 Milliarden Euro in der Kreide.

Seit 2009 entgingen den deutschen Sparern und Lebensversicherten wegen der Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) 87 Milliarden Euro Zinsen, die bei den Altersbezügen fehlen werden. In diesem Jahr kommen 13 Milliarden hinzu. Noch tanzt Europa – im letzten schönen Sommer vor heranrückenden dunklen Jahrzehnten.

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