© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/13 / 09. August 2013

Tierversuche sind ein Auslaufmodell
Die Grundlagenforschung arbeitet mit Hochdruck an Alternativen / Bioinformatik steht noch am Anfang
Christoph Hartwig

Seit diesem Jahr sind Tierversuche, die der Kosmetikaherstellung dienen, in der EU verboten. Zwei Jahrzehnte nach der ersten Richtlinie zum Schutz von Versuchstieren (1986), die 1990 in deutsches Recht umgesetzt wurde, könnten Tierschützer mit diesem Verbot einen bedeutenden Etappensieg feiern. Doch große Freude will nicht aufkommen, da seit dem Jahr 2000 jenseits der Schönheitspflegemittel die Zahl der Tierversuche kontinuierlich steigt. Allein in Deutschland sind es jährlich zwei Millionen. Treibend wirkt hier die mit Mäusen und Ratten experimentierende molekulargenetische Forschung.

Daß Tierversuche für Kosmetik nun der Vergangenheit angehören, ist ein Verdienst pharmakologischer Grundlagenforschung, an der Monika Schäfer-Korting führend beteiligt ist. Die Pharmazeutin der FU Berlin ist Spezialistin für die Erzeugung biotechnologischer Hautmodelle. In jahrelanger Arbeit, gefördert vom deutschen Forschungsverbund DFG und dem Bund, haben sie und zahlreiche Kollegen aus angezüchteten menschlichen Hautzellen einen Organismus von konstanter Qualität entwickelt, der der Oberfläche der Menschenhaut ähnelt. Ihr Modell können große Kosmetikkonzerne heute selbst produzieren.

Das Kaninchen, bevorzugtes Versuchstier zur Erprobung der Hautverträglichkeit kosmetischer Substanzen, wird damit vor weiteren Quälereien bewahrt. Komplexere Tierversuchsalternativen jenseits von Schäfer-Kortings Hautmodell sind aber noch nicht verfügbar. Die Bemühungen um die Simulation ganzer Organe konzentrieren sich daher derzeit auf die Bioinformatik, die, wie Philipp Grätzel von Grätz berichtet (Fundiert, 1/13), zunehmend in der Lage sei, Signalketten im Computer zu modellieren.

Damit einher gingen biotechnologische Methoden, die Gewebe oder Organe „nachbauen“ sollen, oft mit Hilfe gewebespezifischer Stammzellen. Reiner Tierliebe sind diese mit üppig alimentierten Forschungen in Richtung Human-on-a-Chip jedoch nicht entsprungen. Denn parallel zu den moralisch argumentierenden Tierschützern ist in Wissenschaft und Industrie das Bewußtsein für die Problematik von Tierversuchen gewachsen, da sie die Realität des Menschen nur unzureichend widerspiegeln. Vorsicht sei daher geboten bei der Übertragung von Resultaten des Tierversuchs auf den Menschen. Dieser Skepsis trug zuerst die US-Wissenschaftspolitik Rechnung, die 2012 für die Human-on-a-Chip-Forschung ein Förderprogramm von 75 Millionen Dollar auf den Weg brachte. Begründet wurde dieser stolze Etatposten damit, daß Tierversuche bei der Suche nach neuen Arzneimitteln nicht mehr „erfolgreich genug“ seien.

FU-Wissenschaftsmagazin Fundiert, Sonderausgabe 1/13, „Das Tier und wir“:

www.fu-berlin.de

Foto: Laborratte als Versuchstier: Übertragung der gewonnen Resultate auf den Menschen birgt oft Gefahren

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