© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/13 / 09. August 2013

Mit Rohstoffpfunden wuchern
Kasachstan: Der GUS-Staat nutzt seinen Ressourcenreichtum, um geopolitische Allianzen zu schmieden
Michael Paulwitz

In Kasachstan denkt man gern in Superlativen und großen Würfen. Besonders stolz ist man derzeit in der Hauptstadt Astana über die erfolgreiche Bewerbung für die Expo 2017: Nach dem ersten OSZE-Gipfel 2010 und den ersten Asiatischen Winterspielen 2011 wird Kasachstan nun auch das erste zentralasiatische und GUS-Land sein, das Gastgeber einer Weltausstellung wird. Mit dem Leitthema „Energie für die Zukunft“ hat sich Astana klar gegen die belgische Bewerbung mit dem Ausstellungsort Lüttich durchgesetzt.

Die Stadtoberen planen großzügig: 113 Hektar sind für das Ausstellungsgelände reserviert, das – ganz im Sinne des Mottos – mit alternativen Energien betrieben werden soll. Man erhofft sich fünf Millionen Besucher, signifikante Auslandsinvestitionen und neue Wahrzeichen für die an spektakulärer moderner Architektur ohnehin nicht eben arme Hauptstadt, mit der sich Alleinherrscher Nursultan Nasarbajew (bis 1991 Chef der kasachischen Kommunistischen Partei), der das Land seit der Unabhängigkeit im selben Jahr mit rücksichtslosen Knutenschlägen führt, ein futuristisches und rasant wachsendes Denkmal gesetzt hat.

Energiegewinnung aus erneuerbaren Quellen steht in dem zentralasiatischen Land, das sein ökonomisches Gewicht wesentlich dem Öl- und Gasexport verdankt, schon seit einigen Jahren höher im Kurs. Nach dem Zuschlag für die Weltausstellung rief Vizepremier Kairat Kelimbetow umgehend einen mit 62 Millionen Euro dotierten Fonds „Ka­zakhstan Expo-2017“ ins Leben, um entsprechende Forschungsprojekte zu unterstützen.

In einem Land, das achtmal größer als die Bundesrepublik Deutschland ist, aber nur von 17 Millionen Menschen bewohnt wird, das über weite unbewohnte Steppenflächen verfügt und in seinem Süden Regionen kennt, wo man die sonnenfreien Tage an einer Hand abzählen kann, sind Windkraft- und Photovoltaik-Parks zweifellos sinnvoller und rentabler als im dichtbesiedelten Deutschland. Dennoch sind die Ziele der kasachischen „Energiewende“ bescheiden: Auf elf Prozent soll der Anteil der Energie aus erneuerbaren Quellen bis 2030 steigen. Kohlekraftwerke werden in dem Land, dessen Boden 3,6 Prozent der Weltkohlereserven birgt, auf absehbare Zeit das Rückgrat der Energieversorgung bleiben.

Deutsche Unternehmen sind als Projektpartner für Wind- und Solarparks in Kasachstan punktuell gut im Geschäft. Doch in den entscheidenden Branchen ist die deutsche Wirtschaft, trotz günstiger Voraussetzungen, nicht vertreten oder gerät zunehmend ins Hintertreffen. Und das nicht nur beim in den letzten Jahren vollzogenen Aufstieg Kasachstans zum weltgrößten Uranexporteur. Mehr als ein Drittel der Welt-Uranproduktion kam 2012 aus dem zentralasiatischen Land, das vom weltweiten Trend hin zur verstärkten Nutzung von Kernenergie profitiert, von dem sich Deutschland freiwillig abgekoppelt hat.

Schwerer wiegt, daß die im vergangenen Jahr mit viel Begleitmusik geschlossene „Rohstoffpartnerschaft“ zwischen Kasachstan und Deutschland auf der Stelle tritt. Es gebe zwar viele Rohstoffkonferenzen, aber keine praktischen Schritte, moniert Kasachstans Vize-Industrieminister Albert Rau, der selbst der immer noch nach Hunderttausenden zählenden deutschen Volksgruppe entstammt.

Kasachstan erwartet, daß ausländische Investoren direkt in die Rohstofferschließung einsteigen. Deutsche Unternehmen scheuen das Risiko langfristiger Engagements – auch, weil es kaum noch staatliche Hermes-Bürgschaften für die Finanzierung gibt, seit deutsche Förderbanken in der Finanzkrise auf Forderungen von rund 300 Millionen Euro an kasachische Banken sitzengeblieben sind, die der kasachische Staat nicht übernehmen will. Chinesen und Südkoreaner, mit denen Kasachstan ebenfalls Rohstoffabkommen schließen will, wissen genau, was sie wollen, und bringen schon die komplette Finanzierung mit. Das erwarte er auch von Deutschland, erklärt Albert Rau ungerührt. Der Vizegouverneur einer rohstoffreichen Provinz im Osten wird gegenüber der Wirtschaftswoche noch deutlicher: „Wenn die Deutschen die Rohstoffe nicht wollen, arbeiten wir mit China.“

Aussagen wie diese zeugen ebenso wie der Ehrgeiz, sich mit Großereignissen wie der Expo auf der Weltbühne zu profilieren, vom gewachsenen Selbstbewußtsein eines Landes, das seine Position als Rohstoffmacht in den politischen Status einer regionalen Vormacht ummünzen will, die zwischen den großen Machtblöcken ihre Unabhängigkeit auf Augenhöhe behauptet. Tatsächlich hat das zentralasiatische Land mit einer Fläche von der Größe Westeuropas fast alles zu bieten, was die moderne Weltwirtschaft braucht – neben Öl, Gas und Uran auch Kohle, Eisenerz, Bunt- und Edelmetalle sowie seltene Erden. Wie Rußland erhöht Kasachstan seit Jahren kontinuierlich seine Goldreserven, während die Deutsche Bundesbank verkauft.

Das Bruttoinlandsprodukt steigt solide, im ersten Quartal 2013 um 4,5 Prozent. Auch die Industrieproduk-tion nimmt zu. Der Investitionsbedarf ist aber enorm und ohne ausländische Partner nicht zu stemmen. China mit seinem unersättlichen Rohstoffhunger steht bereit; beide Länder sind in der Schanghai-Kooperations-Organisation (SCO) verbunden, die erst vor wenigen Wochen in Südkasachstan das gemeinsame Vorgehen gegen Terroristen geprobt hat.

Um nicht einseitig von dem Riesenreich mit seiner achtzigmal größeren Bevölkerung abhängig zu werden, ist Kasachstan auf der anderen Seite mit Rußland und Weißrußland in einer Zollunion verbunden, die bis 2015 zur „Eurasischen Wirtschaftsunion“ ausgebaut werden soll. Kasachstan profitiert vom vereinfachten Zugang zum russischen Markt; der Warenexport mit den Ländern der Zollunion ist im Vergleich zum Vorjahr fast um ein Viertel gestiegen. Rußland wiederum steigert mit dem regionalen Zusammenschluß sein geopolitisches Gewicht gegenüber dem Westen; beim letzten Treffen des höchsten Organs des einheitlichen Wirtschaftsraums in der kasachischen Hauptstadt wurde mitgeteilt, daß auch die Ukraine den Beobachterstatus anstrebt (JF 11/13).

Geht es nach dem kasachischen Staatschef Nasarbajew, wird die Eurasische Wirtschaftsunion Teil eines ausbalancierten geopolitischen Systems, in dem stabile Zusammenschlüsse und Großräume „ohne Block-Psychologie und geopolitischen Snobismus“ friedlich koexistieren und zusammenarbeiten. „Konstruktiver Multilateralismus“ nannte Nasarbajew kürzlich auf dem jährlichen internationalen Wirtschaftsforum in Astana dieses Konzept, das die Einteilung in „kleine“ und „große“ Länder für „überholt“ erklärt. Wer zu spät kommt, weil er nur mit sich selbst und der Euro-„Rettung“ beschäftigt ist, den bestraft auch hier das Leben.

Foto: Im Zentrum von Astana (früher Zelinograd), der Hauptstadt Kasachstans: Gigantismus als Verkörperung neuen Selbstbewußtseins

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