© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  32/13 / 02. August 2013

Die Kutte des Idioten
Publizistik: Ein neuer Essay des Dramatikers und Reaktionärs Botho Strauß sorgt für gehörigen Zündstoff
Günter Zehm

Nichts Neues aus der Uckermark, doch es wird gut gesagt. Im Spiegel findet sich ein Vorabdruck aus dem neuen Buch von Botho Strauß, welches Ende August im Eugen Diederichs Verlag erscheinen und „Lichter des Toren“ heißen wird. Es spiegelt (wieder einmal) die ungeheure Skepsis, ja Verachtung, die der berühmte Autor gegenüber der aktuellen Medien- und Massengesellschaft hegt, aber seine Befunde sind hier derart originell in Worte gefaßt, daß man auf das Buch gespannt sein darf.

Über die politische Korrektheit beispielsweise: „Die Überwachung des neu-bürgerlichen Lebens regeln die Vorschriften des politisch Korrekten und Guten. Es ist dieser entpaarte Teil der Moral, das Gute allein, oft nur eine Form der Wiedergutmachung, die vertretungsstarken Minderheiten zukommt, die früher einmal lauter tüchtige Individuen waren.“

Oder über die „sexuelle Befreiung“: „Vielleicht bleibt noch die eine oder andere Liebesnacht geheim, aber sonst stehen alle Türen offen. Was gäbe es außer Mafiazirkeln, das nicht jedermann zugänglich wäre? Transparenz!“

Strauß beansprucht für sich selbst, aus der „totalen Außenseiterposition“ heraus zu sprechen. Er hat sich ganz und gar aus jeglicher kommunikativer Gemeinschaft verabschiedet und lehnt jede Einordnung auf irgendeiner soziologischen oder politologischen Skala vehement ab. Er wähnt sich jenseits von allen Einordnungen, möchte Außenseiter sein und sonst nichts. „Eine moralische Position, die man mitunter ‘rechts’ nennt, gibt es nicht korporiert“, schreibt er, um dann fortzufahren: „Rechts kann nur der Neugierige abseits stehen. Er hält eigentlich keine Position, sondern ist, wie gesagt, ein Idiosynkrat, den kollektive Selbsttäuschung, routinierter Gesinnungsbetrieb, intellektuelle Liebedienerei erschrecken. Er ist mithin eher eine Alarmanlage für eingeschlafene Füße des Geistes, ein Mentekel, ‘daß jeder erkletterte Thron zum Fußschemel eines neuen einschrumpft’ (Jean Paul).“

Natürlich geht es bei der Kennzeichnung von Außenseitertum heutzutage nie und nimmer um irgendwelche Valeurs modischen Linksseins, sondern einzig um die Markierung dessen, was rechts ist, und so eben auch bei Strauß. Er beschäftigt sich ausführlich mit der Unterscheidung zwischen „konservativ“ und „reaktionär“, und seine Sympathien gelten eindeutig dem Reaktionär: „Der Reaktionär läßt, was niemals war, geschehen sein. Er verklärt als der echte Epiker das Gewesene, um es jederzeitlich zu machen (…). Der Reaktionär ist Phantast, Erfinder (der Konservative dagegen eher ein Krämer, des angeblich Bewährten). Gerade weil nichts so ist, wie er’s sieht, noch gar nach seinem Sinn sich entwickelt, steigert er die fiktive Kraft seiner Anschauung, und verteilt die nachhaltigen Güter des Geistes und des Gemüts. Oder die lange anhaltenden. Oder die im Erhalten sich erneuernden (um der entleerten Vokabel ein wenig variablen Sinn zu unterlegen).“

Botho Strauß = Außenseiter = Reaktionär = Hüter und Verteiler der wahrhaft nachhaltigen Güter des Geistes und des Gemüts – so und nicht anders muß man den Spiegel-Essay von Strauß lesen. Es ist, läßt sich ohne weiteres erkennen, ein mutiger, weil für die herrschenden Politiker und Zeitgeist-Aufseher höchst unbequemer Text, nicht nur für den dominierenden linken Flügel, sondern auch (und beinahe mehr noch) für das kleinmütige und mediengeile konservative Begleitpersonal in Berlin und München, das sich so gern als „eigentlicher Bewahrer des Fortschritts“ aufführt und jeglichen „reaktionären, ewiggestrigen“ Begleitton empört von sich weist.

Von Strauß kann man sich nun darüber belehren lassen, daß der kluge Reaktionär, wie schon sein Name sagt, nicht für stumpfsinniges Bewahren von zufällig erworbenen Privilegien oder auch „echten historischen Errungenschaften“ um jeden Preis steht, sondern für ein aktives Sichkümmern um das, was immer war und immer sein wird und was man früher „das Ewige“ oder „das Unantastbare“ nannte, eben das ewig Gestrige. Daran zu erinnern, ist eine gute Tat.

Wenn aber in diesem Kontext etwas an Strauß zu kritisieren ist, so sein geradezu wilder Eifer, mit dem er die notwendige Erinnerung aus jedem sozialen Kommunikationszusammenhang herauszulösen versucht und sie exklusiv für gewisse „Außenseiter“ reservieren möchte, die gefälligst die Finger von jeder Politik und jedem zugelassenen Diskurs zu lassen hätten. Da besorgt er plötzlich – ungewollt – das Geschäft jener Kräfte, gegen die er doch angeblich angeht, macht sich zum Narren, der nicht einmal ein ordentlicher Hofnarr ist, nur ein harmloser Trottel, den niemand ernst zu nehmen braucht, weil er kein einziges Geschäft stört, auch das schmutzigste nicht.

Echt bekümmerlich zu lesen, wie ungeniert und richtig begeistert er sich die Kutte des „Idioten“ anzieht. Für ihn hat dieser Idiot ein Janusgesicht: „Nach vorn blickt die Parodie des Informierten, der Info-Demente. Zurück blickt die Heiterkeit des Ungerührten.“ Info-dement und dabei ungerührt heiter – hier liefert einer die Karikatur seiner selbst. Das sollte sich ändern, das kann er vielleicht wenigstens noch aus seinem neuen Buch herausstreichen.

Im alten Griechenland, aus dem das Wort „Idiot“ stammt, bedeutete es soviel wie „Privatperson“. Idioten hießen jene freien, gutgestellten Bürger Athens, die sich aus allen öffentlich-politischen Angelegenheiten heraushielten und keine Ämter wahrnahmen, auch das kleinste nicht. Statt dessen pflegten sie ausdrücklich das Im-Verborgenen-Leben, den Aufenthalt in einer Schutzzone aus Gediegenheit und Diskretion, „im Garten der Befreundeten, wo noch Überlieferbares gedeiht“, wie der Philosoph Epikur es ausdrückte.

Auch bei Strauß findet sich gelegentlich die Aufforderung: „Lebe verborgen!“ Es ist reines Epikureertum und als solches nicht frei von Selbstsucht. Ist es dem Autor wenigstens zum Guten ausgeschlagen? Wie schrieb er einst in seinem legendären „Bocksgesang“? „Wer sich bei einer privaten Unterhaltung von Millionen begaffen läßt, verletzt die Würde und das Wunder des Zwiegesprächs, der Rede von Angesicht zu Angesicht und sollte mit einem lebenslangen Entzug der Intimsphäre bestraft werden. Das Regime der telekratischen Öffentlichkeit ist die unblutigste Gewaltherrschaft und zugleich der umfassendste Totalitarismus der Geschichte. Es braucht keine Köpfe rollen zu lassen, es macht sie überflüssig.“

Das wurde 1993 geschrieben, ist also genau zwanzig Jahre her. Botho Strauß stand damals noch mitten im Kampfgetümmel. Die „Lichter des Toren“ werden möglicherweise etwas altersweiser flackern. Aber hoffentlich nicht allzu außenseiterisch.

Foto: Botho Strauß: „Rechts kann nur der Neugierige abseits stehen. (…) Er ist mithin eher eine Alarmanlage für eingeschlafene Füße des Geistes.“

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