© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30-31/13 19. Juli / 26. Juli 2013

Als der Lehrherr zur Marionette wurde
Sturz des italienischen Diktators Mussolini vor 70 Jahren: Ein Ende in Abhängigkeit von Hitlers Gnaden
Mario Kandil

Dem Sturz Benito Mussolinis am 25. Juli 1943 ging die Landung von US-Amerikanern und Briten an der Südspitze Siziliens am 10. Juli 1943 voraus, womit die alliierte Invasion in Europa ihren Anfang nahm. Bei dieser „Operation Husky“ wurden über 478.000 Soldaten an Land gesetzt. Mit Blick auf angelandete Truppen und den Frontaufbau war sie die größte amphibische Operation des Zweiten Weltkriegs und übertraf sogar die Landung in der Normandie im Juni 1944. Im Mittelmeerraum wurde die Lage für die „Achse“ damit fatal, und Italien trieb auf den Zusammenbruch zu.

Der „Duce“, müde und krank geworden, hatte immer mehr Macht verloren und war faktisch zu einer Marionette verkommen. Er plante nun, von Hitler die Erlaubnis zum Austritt aus der Allianz zu erlangen, doch Mussolinis einstiger „Schüler“ war zu gar keinen Debatten darüber bereit. Vielmehr bot Hitler sein ganzes rhetorisches Talent auf, um den „Duce“ bei der Stange zu halten. Drei Stunden redete er beim Treffen im ober-italienischen Feltre am 19. Juli auf Mussolini ein. Am Ende glaubte Hitler, seinen Alliierten wieder „ganz in die Reihe gebracht“ zu haben, doch dem war nicht so.

Tief betrübt hatte Mussolini Feltre verlassen, denn Hitlers Forderungen waren mit der Realität Italiens nicht mehr in Deckung zu bringen. Zwar ließ man sich in Rom nach außen hin nichts anmerken, doch in aller Stille wurden Mussolinis Sturz und der Abfall Italiens vom Deutschen Reich vorbereitet. Und obwohl der „Duce“ spürte, daß sein Fall bevorstand, blieb er nach seiner Rückkehr nach Rom passiv.

Tatsächlich war Mussolini über die Pläne der Verschwörer, ihn zu entmachten und durch ein Gremium anderer Faschistenführer zu ersetzen, informiert. Und trotzdem verhinderte er nicht, daß der Große Faschistische Rat in der Nacht vom 24. auf den 25. Juli zusammentrat. Noch in letzter Minute riet ein Getreuer Mussolini, die Verschwörung zu zerschlagen, aber der wollte nichts davon wissen. Und so entzog ihm in einer stürmischen, zehn Stunden dauernden Sitzung – die der „Duce“ wie in Trance verfolgte – der Große Faschistische Rat das Vertrauen. Am Nachmittag des 25. Juli 1943 entließ Italiens König Viktor Emanuel III. den Diktator im Einklang mit der Verfassung aus all seinen Ämtern und ließ ihn verhaften. Ohne daß sich jemand für ihn einsetzte, verschwand Mussolini mitsamt seinem Faschismus von der Bildfläche. Der politisch unerfahrene Marschall Pietro Badoglio, vom König zum ersten Ministerpräsidenten in der postfaschistischen Ära Italiens ernannt, löste die Faschistische Partei auf und enthob deren Funktionäre ihrer Posten.

Hitler, von diesem Umschwung arg betroffen, entwickelte schnell einen Plan zur Befreiung Mussolinis und zur Besetzung Italiens. Zudem plante er, „die ganze Regierung, den König, die ganze Blase sofort zu verhaften, vor allem den Kronprinzen (…) zu verhaften und sich dieses Gesindels zu bemächtigen, vor allem des Badoglios“. Letzteres fand zwar nicht statt; doch zumindest konnte er die deutschen Truppen in Italien so verstärken, daß er, als Badoglio bald darauf den – erst am 8. September publik gemachten – Waffenstillstand mit den Alliierten schloß, die numerisch überlegenen italienischen Kräfte blitzartig zu überwältigen und alle Schlüsselpositionen im Land einzunehmen vermochte.

Obgleich Mussolini zwecks Erschwerung einer Befreiungsaktion nach seiner Inhaftierung an unterschiedlichen Orten interniert gehalten wurde, befreite ihn am 12. September 1943 ein deutsches Kommando aus einem Berghotel auf dem Gran Sasso („Unternehmen Eiche“). Nach wie vor geradezu lethargisch, ließ der „Duce“ es geschehen, daß auf Hitlers Wunsch in Norditalien die nominell unter Mussolinis Führung stehende Marionettenregierung der faschistischen „Repubblica Sociale Italiana“ („Republik von Salò“) als Gegenregierung zu der Badoglios installiert wurde.

In der Folge fristete Mussolini ein würdelos gewordenes Dasein als Handlanger Hitlers, dessen „Lehrer“ er einst gewesen war. Im Oktober 1943 hatte Mussolini dem Deutschen Reich Südtirol, Triest, Istrien, Trient und Laibach abzutreten. Er war damit politisch praktisch schon ein toter Mann, bevor er am 27. April 1945 von kommunistischen Partisanen festgenommen und tags darauf erschossen wurde.

Mussolinis Sturz kann nicht ohne die zwei Wochen vorher erfolgte Landung der Alliierten auf Sizilien gesehen werden, da sie den politischen Umbruch in Italien erst auslöste. Allerdings war der „Erfinder des Faschismus“ unter dem Eindruck der zahlreichen schweren Niederlagen schon zuvor ein müder und resignierter Mann geworden, dessen früher imposante Gesten einfach nur noch überzeugungslos wirkten.

Aus der Sicht Joachim C. Fests schien dem italienischen Diktator in den Wochen vor seinem Sturz der „Lockruf der Geschichte, für dessen Zauber er sein Leben lang so anfällig gewesen war, (…) ebensowenig aus seiner Resignation aufzuhelfen wie der bloße Selbstbehauptungswille“. So klingt es nicht erstaunlich, daß er einer Verehrerin, die ihn während seiner Gefangenschaft um ein Autogramm bat, auf ein Bild schrieb: „Mussolini defunto“ (verstorben).

Dennoch hielt sich das Mitgefühl der meisten Betrachter nördlich des Brenners für ihn in Grenzen. Denn – so sieht es der Rommel-Biograph Maurice Philip Remy – „immerhin hatte Mussolini (…) unaufgefordert in Nordafrika und auf dem Balkan seinen Krieg vom Zaun gebrochen, in dessen Verlauf jeweils deutsche Truppen zum Eingreifen gezwungen waren. Das hatte wichtige Reserven für den Krieg im Osten und vor allem Zehntausende deutscher Soldaten das Leben gekostet.“

Foto: Mussolini drei Tage vor seinem Tod am 28. April 1945 in Begleitung der SS: Nur noch völlig apathisch

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