© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30-31/13 19. Juli / 26. Juli 2013

Emotionales Testament
Ein Filmprojekt über Heinrich George ruft das traurige Schicksal des Schauspielers ins Gedächtnis
Helmut Hentschel

Heinrich George kam aus der Theaterwelt des deutschen Kaiserreichs, stieg auf zum vielleicht bedeutendsten deutschen Schauspieler und ging mit dem NS-Staat, in dem er Triumphe feierte, schicksalhaft unter. Seitdem ist seine darstellerische Kraft fast vergessen, oder sein tragisches Ende (er verstarb in Sachsenhausen, einem zuvor als KZ genutzten Lager des sowjetischen Geheimdienstes NKWD) wird volkspädagogisch verwertet – gäbe es nicht seinen Sohn Götz George und den Regisseur Joachim Lang.

Götz George, der jüngere der zwei Söhne Heinrich Georges, ist als volksnaher Tatort-Kommissar Schimanski und Akteur in zahllosen Kinoproduktionen bekannt und einer der wenigen wirklichen Stars der bundesdeutschen Schauspielergarde. Wer konnte die Rolle seines problematischen Übervaters besser spielen als Götz George?

Die ARD sendet zu seinem 75. Geburtstag (23. Juli) eine aufwendige Produktion (beteiligt waren SWR, Arte, WDR, RBB und NDR). Wenn der Sohn den eigenen Vater spielt und sich mit dem heiklen Thema der exponierten Stellung Heinrichs im Nationalsozialismus auseinanderzusetzen versucht – dann lohnt es sich einzuschalten. Daß George sich einer all zu zeitgemäßen, gar dem eindimensionalen Bewältigungszeitgeist von 1968 verpflichteten Bearbeitung unterstellt hätte, braucht der Zuschauer nicht zu befürchten.

Der Autor und Regisseur des Doku-Dramas, der sich seit zwölf Jahren mit dem Thema beschäftigt und in Archiven im In- und Ausland geforscht hat, beansprucht, den neuesten Stand der Erkenntnisse über Heinrich George zu präsentieren. Das George-Bild selbst soll präzisiert werden.

Mit einer Verbindung von Original-, Dokumentar- und Spielfilmszenen will der Drehbuchautor „nicht nur eine Wirklichkeit zeigen“, sondern das Themenfeld perspektivisch ausleuchten.

Zahlreiche Zeitzeugen, Freunde Georges und auch Leidensgefährten aus den NKWD-Lagern kommen zu Wort, deren Aussagen zu den interessantesten Bausteinen des Films gehören. Bewußt vermeidet Lang eine geschlossene Spielhandlung mit einer vermeintlich objektiven Wahrheit und erwartet von dieser offenen Form, daß der Zuschauer sich mit seinem eigenen Urteil einschaltet.

Wenn Götz George im Zusammenhang mit den letzten Worten des sterbenden Vaters sagt: „Man kann ja da deuten, was man will“, so ist dies durchaus als das Credo des Films zu verstehen. Subtile Motivketten legen den Gedanken nahe, der Filmkünstler Lang agiere wie vormals seine Kollegen in der DDR, wenn auch unter völlig anderen Bedingungen.

Das Gerüst des vielschichtigen, über hundert Minuten dauernden Films besteht aus fast zwanzig Verhörszenen im NKWD-Gefängnis, die von unterschiedlichen Beiträgen und szenischen Ausflügen unterbrochen werden, um dem Zuschauer Verstrickungen und Größe des Heinrich George vor Augen zu führen.

Der sowjetische Geheimdienstoffizier Bibler ermittelt gegen George, befragt ihn, läßt ihn verprügeln, hört gebannt zu, zieht Zeugen und Denunzianten heran, verdreht Aussagen und setzt Befehle um, damit auch dieser „Nazi“ dingfest gemacht werde. George wurde von Rußland übrigens im Jahr 1998 offiziell rehabilitiert.

Warum einige aufschlußreiche russischsprachige Dialoge nicht durch Untertitel erhellt werden, mag das Geheimnis des Drehbuchautors bleiben. In all diesen Szenen und ihren geschickten Verschränkungen, darin liegen Anspruch und Versprechen des Doku-Dramas als Filmformat, geht es um die „Wahrheit“ und die damit notwendig verbundenen ständigen Interpretationen unterschiedlichster Tatsachen. Der Film setzt ein urteilsfähiges Publikum voraus. Es lohnt sich, den Film gleich zweimal anzusehen. Wie praktisch, daß er erst bei Arte, dann in der ARD ausgestrahlt wird.

Gegen Ende des ersten Drittels des Films gibt es eine über das Werk hinausweisende Schlüsselszene, als Götz George allein auf der Bühne des Schiller-Theaters stehend die Eröffnungsrede seines Vaters vom 15. November 1938 mit einer Überlegung unterbricht, die als sein emotionales Testament bezeichnet werden kann. Dabei sagt er, wie beiläufig: „Wenn du hier stehst, für mich ist es was viel Aufregenderes und was viel Heiligeres als die Kirche.“

George. 22. Juli, 20.15 Uhr, Arte und 24. Juli, 21.45 Uhr, ARD.

www.swr.de/george/

Foto: Filmszene: Der Schauspieler Heinrich George (Götz George) in seiner Zelle im Gefängnis Hohenschönhausen

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen