© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30-31/13 19. Juli / 26. Juli 2013

Ein ganzer Kerl
Als Männer noch Männer waren: Zum 75. Geburtstag des großartigen Schauspielers Götz George
Markus Brandstetter

Verkatert und gedankenverloren schlurft der Mann in die kleine unaufgeräumte Küche, nimmt aus dem Kühlschrank zwei Eier, schaltet die Kochplatte an, findet in der Spüle aber nur eine völlig verdreckte Pfanne. Unschlüssig, was er mit den Eiern tun soll, schlägt er sie kurzerhand in einem Glas auf und schluckt sie roh hinunter.

Mit dieser Eingangsszene aus dem „Tatort“-Krimi „Duisburg Ruhrort“ betritt Kommissar Schimanski 1981 zum erstenmal die Fernsehlandschaft. Mehr noch: Es bricht eine Urgewalt in das bis dahin eher bieder-beschauliche deutsche Fernsehen. Bis zu „Schimmi“ frühstückten TV-Kommissare, wenn man sie überhaupt frühstücken sah, Marmeladebrote mit Milchkaffee.

Götz George als Schimanski: cool, unaufgeregt, muskulös, mit Ringerschultern und einer Gewichtheberbrust. Von Anfang an ist klar: der ist ehrlich, der ist stark, das ist ein Mann, der weiß, was er sagt, und der sagt, was er meint. Das zeigt sich überall. Schimanskis Arbeitsuniform besteht aus einer alten amerikanischen Feldjacke und Jeans. Als sein Assistent Tanner, der den Sancho Panza zu Götz Georges Don Quijote gibt, ihm einmal ein Sakko anpassen will, lacht sich Schimanski im Modeladen halbtot und läßt es hängen.

Götz Georges Schimanski ermittelt in Duisburg, und allein der Schauplatz sagt alles: Der deutsche Fernsehkrimi ist in der Wirklichkeit angekommen. Bei „Derrick“ mordeten in Münchner Nobelvororten Männer in Anzug und Krawatte beziehungsweise Frauen in Kostüm möglichst diskret. Horst Tappert als Derrick ermittelte mit Hirn, Fingerspitzengefühl und Psychologie. Schimanski ist das genaue Gegenteil davon.

Der bewegt sich zwischen Nutten, Zuhältern, Kleinkriminellen, Asylanten, Türken, Tunten, Sozialhilfeempfängern und Grundstücksspekulanten wie ein Fisch im Wasser. Für den ist das Ruhrgebiet mit seinen sozialen Problemen Heimat. Da kennt er sich aus, da versteht er die Leute. Und weil er Bodenhaftung hat, begreift er, was Verbrecher antreibt, wo die dunklen Triebe, die in ihnen wühlen, herkommen.

Und noch etwas zeigen die Schimanski-Tatorte, vielleicht zum erstenmal im deutschen Fernsehen: Die Trennlinie zwischen Verbrecher und Polizist ist keineswegs so sauber und eindeutig gezogen, wie die lange Reihe der Gentleman-Ermittler von Sherlock Holmes bis zu Schimanskis Vorgänger Haferkamp es vermuten läßt. Der Junggeselle Schimanski mit den vielen Flirts, mit denen er auch immer wieder gerne im Bett landet, ist vielleicht nur durch Glück auf der richtigen Seite des Gesetzes gelandet. Das hätte auch ganz anders laufen können. Dafür sprechen auch Schimanskis Verletzungen der Dienstregeln, seine Respektlosigkeit gegenüber den Vorgesetzten und seine Sehnsucht nach Freiheit und Abenteuer.

Die Figur des Schimanski ist Götz Georges Alter ego geworden. Damit wurde er berühmt, damit wird er bis heute identifiziert. Kein Wunder: Schimanski ist einer der beliebtesten aller „Tatort“-Ermittler, viele der 29 Folgen mit ihm genießen Kultstatus in einer Fernsehlandschaft, die sonst wenig Kultiges zu bieten hat.

Aber wer George nur auf Schimanski reduziert, der kennt nur die halbe Wahrheit. Der Schauspieler hat viel mehr und viel gewichtigere Rollen gespielt, was keinen wundern darf, denn bei George trifft die alte Schote: ihm wurde die Schauspielerei in die Wiege gelegt zur Abwechslung mal zu. Schon Georges Eltern Heinrich George und Berta Drews waren große Schauspieler; sein Vater arbeitete mit Fritz Lang sowie Brecht und Piscator zusammen, seine Mutter war noch in Schlöndorffs Verfilmung der „Blechtrommel“ zu sehen. Trotz dieser guten Kinderstube dauerte es eine Zeitlang, bis sich Götz Georges wahre Klasse erwies. Nach Unterhaltungs-, Heimat- und Karl-May-Filmen zeigte er erstmals 1978, was er wirklich kann, als er Rudolf Höß spielte, den Kommandanten von Ausschwitz („Aus einem deutschen Leben“).

Mit Mördern, Diktatoren und Figuren aus ihrem Umfeld ging es von da düster weiter. 1989 in „Blauäugig“ heißt George Johann Neudorf und ist ein deutscher Geschäftsmann, der mit der argentinischen Militärjunta so lange gute Geschäfte macht, bis seine Tochter von Vertretern dieser Junta gefoltert und ermordet wird. 1995 spielte er beklemmend intensiv Fritz Haarmann, einen homosexuellen Serienmörder aus dem Hannover der 1920er Jahre, der in der Schwulen-Szene bis heute einen merkwürdigen Kultstatus genießt („Der Totmacher“). Vier Jahre später verkörperte George in „Nichts als die Wahrheit“ den KZ-Arzt Josef Mengele und zuletzt 2009 in „Mein Kampf“ den Juden Schlomo Herzl, der im Wien des Jahres 1910 Hitler in einem Männerwohnheim kennenlernt und ihn über die Ablehnung der Kunstakademie hinwegtröstet.

Nicht alle diese Filme sind gut. Manche sind nur gut gemeint und versuchen ziemlich bemüht, die Vergangenheit so hinzubiegen, wie wir sie vielleicht gern gehabt hätten, wie sie aber nicht war. Aber das ist nicht Götz Georges Schuld. Der verfügt tatsächlich über eine enorme Wandlungsfähigkeit und eine fast schon unheimliche Gabe, sich in höchst problematische Figuren hineinzudenken und einzufühlen.

Neben diesen Tragödien hat George immer wieder auch in Komödien mitgespielt. Da ist er einmal ein Skandalreporter, der die gefälschten Hitler-Tagebücher an Land zieht („Schtonk“), der abgedrehte Schicki-Micki-Regisseur Uhu Zigeuner („Rossini“) oder ein hochverschuldeter Alt-68er, der es auf reiche Witwen abgesehen hat („Lüg weiter, Liebling“).

Diese kurze Aufzählung kann den Umfang und die Bandbreite von Georges Schaffen auch nicht annähernd wiedergeben. Der Schauspieler hat in annähernd 50 Kinofilmen und mehr als 120 Fernsehproduktionen mitgewirkt und wie kaum ein anderer den deutschen Film nach dem Zweiten Weltkrieg geprägt. Dafür hat er alles an Auszeichnungen abgeräumt, was es im deutschsprachigen Raum gibt, zuletzt in diesem Jahr den Deutschen Schauspielerpreis für sein Lebenswerk.

Götz George kann es in seinem Metier lange schon selbst mit internationalen Größen aufnehmen. Und genau wie diese, wie John Wayne, Sean Connery oder Clint Eastwood, ist er ein Mann, der Filme definiert und in jeder Rolle so viel von sich gibt, daß er immer auch ein bißchen sich selber spielt. In einer Zeit mimetischer Chamäleons, die jede Rolle gleich unaufgeregt und stromlinienförmig spielen, ist das altmodisch und herrlich unkorrekt – wie der ganze George selber.

Es gibt ein Fernsehinterview, da sagt George sinngemäß, daß man die Schimanski-„Tatorte“ heute nicht mehr drehen könnte, weil damals, als sie entstanden, die Kommunikation in der deutschen Gesellschaft noch funktioniert habe. Da war ein Mann noch ein Mann und eine Frau noch eine Frau, und jeder wußte, was damit gemeint ist.

Am 23. Juli wird der Ausnahmeschauspieler Götz George fünfundsiebzig.

Foto: Götz George in seiner Paraderolle als Schimanski: Mit dieser Filmfigur wird er bis heute vornehmlich identifiziert

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