© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30-31/13 19. Juli / 26. Juli 2013

Gralshüter der Gleichbehandlung
Antidiskriminierungsstelle des Bundes: Seit sieben Jahren kämpft die Behörde gegen Rassismus, Homophobie und jede Art von Abwertung
Sverre Schacht

Kennen Sie ADS? Gemeint ist nicht die Aufmerksamkeitsdefizitstörung, also eine psychische Erkrankung. Das Kürzel steht seit 2006 auch für die Antidiskriminierungsstelle des Bundes, eine Behörde, die als Gralshüterin des ebenfalls 2006 von der Politik auf Grundlage der EU-Gleichbehandlungsrichtlinien verabschiedeten Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) ins Leben gerufen wurde.

Die Einrichtung soll in Fällen von „nicht hinnehmbarer“ Diskriminierung aufgrund ethnischer Herkunft, aus rassistischen Gründen, wegen des Geschlechts, der Religion, Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität beraten und Forschung betreiben. Die Kritik um das wegen einschneidender Eingriffe in Freiheitsrechte umstrittene Gesetz ist leiser geworden, auch wenn weiter milliardenschwere Kosten entstehen.

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes versteht sich bewußt als „unabhängige Anlaufstelle.“ Als Dienstelle mit eigenem Haushalt ist sie dem Bundesfamilienministerium unterstellt. Jedes Jahr widmet sie einer Form von Diskriminierung Aufmerksamkeit. 2012 war es das Merkmal Alter, dieses Jahr sind es Behinderungen, und nächstes Jahr wird es die ethnische Herkunft sein. „Die Anfragen an unsere Beratung zeigen, daß Rassismus in allen Lebensbereichen existiert: in der Arbeitswelt, im Bildungsbereich, bei Alltagsgeschäften, aber zum Beispiel auch bei Ämtern und bei der Polizei“, erklärte ein Sprecher der Behörde der JUNGEN FREIHEIT auf die Frage, welche Benachteiligungen als besonders belastend und besonders häufig erlebt würden.

Die Behörde in der Berliner Glinkastraße setzt auf den „horizontalen Ansatz“. „Das heißt, jede Form der Diskriminierung wird als gleichwertig betrachtet.“ In der Praxis kommt diese Sicht dem von Kritikern bemerkten „AGG-Hopping“ entgegen, also dem Versuch einzelner, beispielsweise in Ausschreibungen Diskriminierung zu sehen, ohne daß eine echte Bewerbungsabsicht besteht. Das Zivil- und das Arbeitsrecht bilden gemäß den Möglichkeiten des AGG die Hauptschauplätze aller Beratungsfälle. Die Möglichkeiten der Beamten sind indes begrenzt. Sie informieren über Ansprüche, rechtliches Vorgehen und Kontakte zu anderen Stellen. Konkret kann die ADS eine gütliche Einigung zwischen allen Beteiligten anstreben, was nach eigenen Angaben erfolgreich geschieht.

Die Steuerzahler kostet dieser Service 2013 knapp drei Millionen Euro. Von diesem Budget entfallen 959.000 Euro allein auf die Bezüge der in der Behörde beschäftigten Beamten. Für „Maßnahmen zur Verhinderung und Bekämpfung von Diskriminierung“ stehen laut Bundeshaushalt nur 250.000 Euro im eigenen Haushalt der Dienststelle bereit, ebensoviel für „Forschung, Untersuchungen und Ähnliches“.

Indirekte Kosten der Antidiskriminierung sind indes weit höher und können nur geschätzt werden. Eine Studie der Universität Dortmund ergab 2007, daß Unternehmen in jenem ersten Jahr nach Einführung des AGG mit 1,73 Milliarden Euro belastet wurden. Der größte Posten von 523 Millionen Euro entfiel auf Mitarbeiterschulungen. Firmen zahlten in Deutschland demnach für jeden sozialversicherungspflichtig beschäftigten Mitarbeiter rund 72,50 Euro im ersten Jahr des bis heute vielen unbekannten Gesetzes.

Die Leiterin der insgesamt drei Referate der ADS, Christine Lüders, setzt „alles daran, dieses Recht auf Gleichbehandlung bekannt zu machen“. Doch das, so Lüders, reiche noch nicht aus, um eine „diskriminierungsfreie Kultur zu schaffen“. Deshalb mache die ADS „konkrete Vorschläge, wie der Schutz des AGG ausgeweitet“ werden könne. Sie fordert vom Gesetzgeber die Möglichkeit der Verbandsklage für die ADS wie für Antidiskriminierungsverbände. Zur Ausweitung bedarf es allerdings einer ständigen Problemzuspitzung.

Entsprechend warnte Lüders vor dem Internationalen Tag gegen Homophobie und Transphobie am 17. Mai vor Schwulen- und Lesbenfeindlichkeit und plädierte dafür, sexuelle Vielfalt in Schulen und Jugendeinrichtungen „mutiger zu thematisieren“. Ende Juni verwies Lüders mit Blick auf Deutschland auf die Zigeunerfrage: „Wir erleben in den letzten Wochen eine unerträgliche Panikmache gegen Roma.“ Zu dem massenhaften ungesteuerten Zuzug und erheblichen Problemen allein bei der Unterbringung der Menschen verlor sie kein Wort.

Anlaß ihrer Einschätzung war zudem weniger eine eigene Ausarbeitung als eine Veröffentlichung der EU-Kommission zum „Roma-Fortschritt“. In ihr hatte die Kommission Ende Juni die Mitgliedstaaten aufgerufen, „ihre Zusagen einzuhalten, für Gleichstellung zu sorgen und mehr zu tun, um die wirtschaftliche und soziale Integration der zehn bis zwölf Millionen Roma in Europa voranzutreiben“.

Explizit wurde Deutschland nicht kritisiert, dennoch zeichnet die ADS ein düsteres Bild. Die Behörde verweist auf eine Studie „Antiziganismus“ des Landesverbandes der Sinti und Roma Baden-Württemberg. Es ist eine Studie, die vor allem die „Geschichtlichkeit“ ablehnender Einstellungen untersucht und sich hinsichtlich der entscheidenden Frage von Vorurteil und Diskriminierung auf alte Umfragen stützt, die teils noch in den 1990er Jahren entstanden.

So kommt viel Lobby-Wind auf, aber wenig konkrete Erkenntnisse zustande. Vielmehr spinnt die Stelle mit Interessenverbänden an einem gemeinsamen Netz. Die ADS vergibt „regelmäßig Forschungsaufträge, erstellt Handreichungen zum Thema Antidiskriminierung und entwirft Öffentlichkeitsmaterial“.

Der „Förderung des Dialogs mit gesellschaftlichen Gruppen und Organisationen, die sich den Schutz vor Benachteiligungen zum Ziel gesetzt haben“, dient auch ein eigener Beirat. In das Gremium beruft das Familienministerium 16 „Experten in Benachteiligungsfragen“ sowie zusätzliche Stellvertreter für die Dauer einer Legislaturperiode. Ziel des Beirats ist der Dialog.

Die Liste ist ein „Wer ist wer“ aus Behörden und Lobbygruppen vom Bundesarbeitsgericht, über den Zentralrat Deutscher Sinti und Roma bis zum Lesben- und Schwulenverband Deutschlands. Aber auch Einzelpersonen wie die Ombudsfrau für die NSU-Opfer, Vorsitzende des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin und Ex-Ausländerbeauftragte des Berliner Senats, Barbara John, oder der Islamwissenschaftler Hibaoui Abdelmalik, der sich für das Tragen des Kopftuches in der Schule einsetzt, gehören dem Gremium an.

Rund 143.000 Euro gibt Lüders laut Bundeshaushalt dieses Jahr zudem für befristete Arbeitskräfte aus, sie selbst verdient 107.000 Euro. Weitere Töpfe für Sachverständige stehen bereit.

Neben der Vernetzung legt die ADS großes Gewicht auf Aktionen in Unternehmen, insbesondere wirbt sie für anonymisierte Bewerbungsverfahren. Lüders spricht vor Unternehmern am „Diversity-Tag“. In ihren Berichten weitet die Behörde den Rahmen ihrer Aufgaben aus: Im Mai widmete sich ein entsprechendes Papier „mehrdimensionaler Diskriminierung“, also solcher, die aus mehr als einem Grund erfolgt. Kritisch ließe sich das, was dort umschrieben wird, als objektiv schwer nachvollziehbare Benachteiligung beschreiben: „Für das Erfahren und Erleben von Diskriminierung kann es einen großen Unterschied machen, ob man hinsichtlich eines oder mehrerer der Diskriminierungsgründe nicht in die vermeintliche Norm der Mehrheitsgesellschaft fällt“, so die Schrift. Konkreter wird der Bericht nicht. Dennoch fordert er mehr Mittel für die Forschung.

Diese fließen vor allem in die Kassen von Rechtsberatern, die Mitarbeiter in der Arbeitswelt schulen. „In den letzten Jahren haben die Haftungsfälle im Kontext des AGG in der Praxis der Kommunen zugenommen“, berichtet beispielsweise der Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung. Immerhin 215 bis 270 Euro bezahlen Teilnehmer dort für ihre Weiterbildung in Sachen AGG. So verwundert es kaum, wenn die ADS vor allem Firmen anspricht.

Die Verunsicherung ist groß, denn die deutsche Auslegung und Eingrenzung des AGG ist unerheblich. Es zählt der EU-Maßstab. So stehen Regeln zu Kündigung wie Vergütung in Unternehmen laut Rechtsexperten dank AGG vor einer tiefgreifenden Überarbeitung. Auch droht der Europäische Gerichtshof langfristig die noch mäßig hohen Strafzahlungen deutscher Rechtspraxis nach oben zu korrigieren, der Abschreckung wegen. Eine Klagewelle infolge der neuen Rechtslage blieb zwar bisher aus, doch viele Rechtsfragen sind noch offen, was der ADS wie den Antidiskriminierungsverbänden eine Ausweitung ihrer Spielräume gestattet.

Diese füllt die ADS mit Pilotprojekten wie dem anonymisierten Bewerbungsverfahren. Neben Post, Telekom und dem Bundesfamilienministerium beteiligten sich die Firmen L’Oréal, Mydays und Procter & Gamble daran, 8.500 anonymisierte Bewerbungen auszuwerten. Magere 246 Arbeits-, Ausbildungs- und Studienplätze wurden so besetzt. Die benötigten vorgegebenen Formulare oder gar nachträglichen Anonymisierungen bedeuteten für die Firmen einigen Aufwand, was das Fehlen von Mittelständlern erklärt.

Ein ADS-Leitfaden bescheinigt den Firmen zwar „durchdachte und bewährte Rekrutierungsmethoden“, Auswahlwege seien indes „oft nicht transparent und nachvollziehbar“. Die ADS-Methode gegen diesen unterstellten Mangel ist das Tilgen aller persönlichen Angaben vom Foto bis zum Namen der Bewerber.

Doch „Sicherheit gegenüber Rechtsverstößen (AGG)“, wie die Behörde verspricht, liefert das kaum. Der Bewerber ist dafür nur noch eine Nummer mit Qualifizierungen. Den Firmen indes wird die Entscheidungshoheit faktisch genommen. Die Zukunft der Behörde ist dank solch ständiger Ausweitung ihrer Aufgaben gesichert.

Dennoch bewegte sich das Kerngeschäft der Behörde der unmittelbar vom AGG abgeleiteten Beratungen (2006 bis Ende 2012) mit 8.740 eher in bescheidenen Größen. Insgesamt gingen in dieser Zeit 16.733 Anfragen ein. Behinderung (27 Prozent) gefolgt von Geschlecht und Alter (je 23 Prozent) sowie ethnischer Herkunft (22 Prozent) machten dabei die wichtigsten Anfragekategorien aus. 6,95 Prozent der Fragesteller sahen sich mehrfach, also „multidimesional“ benachteiligt.

www.antidiskriminierungsstelle.de

 

Koalition gegen Diskriminierung

„Um für das Thema Diskriminierung zu sensibilisieren, müssen Bund Länder und Kommunen an einem Strang ziehen“, erklärt die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS). Denn nur so könne man es schaffen, daß „mehr Menschen ihr Recht auf Diskriminierungsschutz kennenlernen“. Nur so könnten „gemeinsam Vorurteile und diskriminierende Strukturen abgebaut werden.“ Aus diesem Grund hat die ADS die „Koalition gegen Diskriminierung“ ins Leben gerufen. Bis dato sind Berlin, Hamburg, Brandenburg, Bremen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Thüringen dieser „Koalition“ beigetreten. Sie soll nicht nur dafür Sorge tragen, daß dem Thema Diskriminierung mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird, sondern es geht auch darum, daß der Diskriminierungsschutz auf Landes-, kommunaler und bezirklicher Ebene als „politische Aufgabe verankert“ wird.

Foto: Die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Christine Lüders, und Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD): Bei der politischen Verankerung des Diskriminierungsschutzes in die Gesellschaft stehen die SPD-geführten Länder an der Spitze

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