© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30-31/13 19. Juli / 26. Juli 2013

„Wir sitzen alle in einem Boot“
Absatzflaute: Der traditionsreiche Fernsehgerätehersteller Loewe kämpft ums Überleben / Kapitalerhöhung soll riskanten Strategiewechsel finanzieren
Markus Schleusener

Wer einen Loewe-Fernseher kauft, der muß tief in die Tasche greifen. Dafür erhält der Kunde aber Glasscheiben, Metallverkleidung in Titanfarben, Luxusstoffe – angepaßt an den individuellen Bedarf. Hinzu kommt die Gewißheit: Geht das Gerät einmal kaputt, so wird es nicht entsorgt wie die Produkte der Billigkonkurrenz, sondern vergleichsweise günstig repariert.

Loewe ist seit 90 Jahren im Geschäft, eine deutsche Traditionsfirma, die sich einen guten Ruf aufgebaut und eine Marktnische erobert hat. „Premium“ nennen das Unternehmenssprecher. Doch diese Strategie, hochwertige Produkte zu sehr hohen Preisen anzubieten, geht seit Jahren nicht mehr auf. Seit 2007 ist der Umsatz fast um ein Drittel gesunken, seit 2010 werden rote Zahlen geschrieben. Voriges Jahr waren die Ergebnisse katastrophal. Im Juni war das Grundkapital aufgebraucht. Und in dieser Woche mußte das Unternehmen beim Amtsgericht Coburg einen Schutzschirm beantragen, der es vor Gläubigern schützt. Vorübergehend. Loewe ist jetzt offiziell ein Sanierungsfall.

Alles hofft auf einen unbekannten Investor und einen riskanten Strategiewechsel: Loewe aus Kronach in Oberfranken will in den Massenmarkt, ins Wohnzimmer von Max Mustermann, ins Ikea-Regal neben die Geräte aus Fernost.

Bislang hat Loewe vier Gerätelinien im Angebot: Xelos (ab 800 Euro), Connect (2.000), Individual (4.350) und Reference (5.900). Die japanische Konkurrenz und der Marktführer Samsung aus Südkorea haben große und hochwertige Flachbildschirme schon für unter 1.000 Euro im Angebot. Chinesische Anbieter oder die in türkischen Händen befindliche Traditionsmarke Grundig werfen Geräte für 599 Euro auf den Markt. Die Kunden haben sich an die Preisspirale nach unten gewöhnt.

Die Loewe-Preise blieben dennoch konstant. „Die Schere ist einfach zu groß geworden“, gesteht Pressechef Roland Reinelt ein. Trotzdem will das Unternehmen kein Billiganbieter werden. „In einem Preiswettbewerb haben wir keine Chance“, zitierte die Welt Loewe-Chef Matthias Harsch, der die Trendwende trotzdem eingeleitet hat: Zum einen wurden die Preise für einige bestehende Geräte gesenkt. Zum anderen kommen neue Produkte wie die Einsteigerlinie „My First Loewe“ dazu, die neue Kundengruppen ansprechen soll.

Das alles läßt sich nicht mehr im Stammwerk Kronach herstellen. Es gilt als offenes Geheimnis, daß die Xelos-Geräte vom türkischen Produzenten Vestel geliefert werden, der auch die Markenrechte an Telefunken besitzt. Das Qualitätssiegel „Made in Germany“ weicht dem verschämten „Designed in Germany“ – analog dem „Designed by Apple in California“. Bei iPhone & Co. klappt die Ablenkung vom „Assembled in China“, doch auch bei Loewe?

Ein Händler stöhnt: „Bei mir kommt nicht ein Kunde mehr ins Geschäft, nur weil das teuerste Produkt statt 6.000 nur noch 5.000 Euro kostet. Aber ich muß mehr Geräte verkaufen, um den gleichen Gewinn zu erwirtschaften. Und: Alle Kunden, die vor der Preissenkung gekauft haben, sind nun unzufrieden.“

Treue Loewe-Kunden sind nicht besonders preissensibel, dafür markenbewußt und aufmerksam. Als im März die ersten Presseberichte über Loewes Rekordverluste („Loewe schaut in die Röhre“) auftauchten, brach der Umsatz noch einmal ein. Ein Händler berichtet: „Eine Woche lang kam kein einziger Kunde.“ Es habe sich eine Unsicherheit breitgemacht, die verheerende Auswirkungen auf den Umsatz habe. Die Meldung vom beantragten Gläubigerschutz dürfte ähnliche Auswirkungen auf das Geschäft haben.

Kleinere handwerkliche Fehler verschärften die Lage: So brachte Loewe beispielsweise einen Blue-Ray-Spieler auf den Markt, der von der Hifi-Standardbreite 43 Zentimeter sichtbar abwich, was das Gerät im Regal möglicherweise wie einen Fremdkörper wirken läßt. Auch klappt die Vernetzung aller Geräteklassen untereinander noch nicht so, wie sie sollte. Ein Techniker bewirbt das Loewe-Konzept so: „Ich will sehen, was ich will, wann ich will, wo ich will, werbefrei.“ Schade nur, wenn das Gerät im Schlafzimmer nicht mit dem im Wohnzimmer kommunizeren kann.

Der neue Firmenchef Harsch entwickelte einen Restrukturierungsplan und begab sich auf Investorensuche. Seine Sparmaßnahmen beinhalteten Kostensenkung durch Personalabbau, Verzicht auf Weihnachtsgeld und Kurzarbeit. In der Produktion in Kronach sind nur noch etwa 170 Personen beschäftigt.

Teil zwei des Rettungsplanes lautet: Statt 200.000 Geräten lieber eine Million Geräte verkaufen, so die unternehmensintern kommunizierte Wunschzahl des Vorstandes. Denn wenn Loewe bei asiatischen Zulieferern statt 20.000 gleich 100.000 Bildschirmpanele bestellt, könne das den Preis stärker drücken. Ob der Kurswechsel aufgeht?

Massenproduktion heißt Massenware, bei der die Qualität häufig auf der Strecke bleibt. Autokäufer können ein Lied davon singen. Loewe riskiert, seinen guten Namen zu verlieren, wenn künftig auch weniger hochwertige Geräte verkauft werden. Außerdem legen solvente Kunden Wert darauf, sich durch ein Luxusgut vom Durchschnittskonsumenten abzusetzen. Geht das noch, wenn Loewe demnächst bei Otto Normalverbraucher im Wohnzimmer steht?

Weil die Strategie keinen sofortigen Erfolg zeitigte (Umsatzeinbruch im ersten Quartal: 35 Prozent), bleibt Harsch nur die Hoffnung auf einen potenten Investor. Zu diesem Zweck kommt die Aktionärsversammlung am 31. Juli in Berlin zusammen – eine Kapitalerhöhung soll Platz für einen Geldgeber schaffen. Angeblich verhandelt die Firmenspitze mit mehreren asiatischen Konzernen. Eine chinesische Firma gilt als Favorit. Der Retter soll auf der Hauptversammlung präsentiert werden.

Zudem kündigt Harsch in einem internen Schreiben, das der JF vorliegt, eine weitere „radikale Neuausrichtung der Loewe AG“ an. Das Experiment, der „Umbau von Loewe alt zu Loewe neu“, müsse gelingen, denn: „Wir sitzen alle in einem Boot.“

Loewe-Unternehmensinformationen: corporate.loewe.tv

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