© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30-31/13 19. Juli / 26. Juli 2013

Volksrepublik rettet Volkswagen
Autoindustrie: Der westeuropäische Markt bleibt das Sorgenkind der Hersteller / Deutscher Erfolg auf Überseemärkten hält an
Christian Schreiber

Die Auswirkunge der Finanz- und Euro-Krise sind dramatischer und langwieriger als die Regierenden vor der Bundestagswahl zugeben wollen. Das offenbaren nicht nur die milliardenschweren Rettungskonstrukte à la EFSF oder ESM oder Kapitalvernichter wie die vom Steuerzahler gedopte Commerzbank (JF 29/13). Ein Blick auf den westeuropäischen Automarkt zeigt, daß nicht nur Griechenland und Portugal in ihrer Dauerkrise verharren, sondern wichtige deutsche Exportmärkte zusammenbrechen.

„Verglichen mit dem Jahr 2007 hat sich in diesem Jahr der italienische Pkw-Markt nahezu halbiert, von 2,5 Millionen auf 1,3 Millionen“, klagt Matthias Wissmann, Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA). „Spanien liegt 44 Prozent unter dem 2007er-Niveau, Frankreich hat fast ein Fünftel verloren. Anders ausgedrückt: Allein in diesen drei Ländern werden 2013 2,5 Millionen Autos weniger verkauft als im Jahr 2007 – statt 6,2 Millionen nur noch 3,7 Millionen Neuwagen.“

Erholung ist nicht in Sicht: „Stagnation wird zur neuen Realität in der westeuropäischen Automobilbranche“, prognostiziert das Beratungsunternehmen Alix Partners. Mehr als die Hälfte der einhundert größten Autowerke in Europa sei nicht ausgelastet, die Verkäufe erreichten auch 2014 nur ein Niveau von zwölf Millionen, „weit weg vom historischen Höchststand des Jahres 2007, als 16,8 Millionen Fahrzeuge verkauft wurden“, so Alix-Experte Elmar Kades in der Wirtschaftswoche. Doch das Ende der kreditbefeuerten Autokonjunktur und die Verarmung der Mittelschicht gebiert nicht nur Verlierer wie den darbenden Volumenhersteller Opel, sondern auch Gewinner wie Dacia. Mit Kampfpreisen für äußerst geräumige Autos stieg der Absatz der Renault-Billigtochter im schrumpfenden französischen Markt allein in den ersten fünf Monaten dieses Jahres um 18,1 Prozent. In Deutschland legten die Rumänenautos 2012 um mehr als sieben Prozent zu.

Sogar das teure „Made in Germany“ zieht weiter Millionen von Autokäufern an – allerdings hauptsächlich auf dem Wachstumsmarkt China und in den USA. So konnte VW im ersten Halbjahr so viele Neuwagen verkauften wie nie zuvor. Die Auslieferungen stiegen weltweit um 4,4 Prozent auf 2,91 Millionen Autos. In der kommunistischen Volksrepublik kletterte der Absatz auf 1,19 Millionen, was sogar ein Umsatzplus von 19 Prozent bedeutet. In Eu­ropa verkaufte VW in den ersten sechs Monaten – trotz des jüngst erneuerten Dauerbrenners Golf – nur 843.600 Neuwagen. Das sind sieben Prozent weniger als ein Jahr zuvor. In Deutschland fiel der Umsatz sogar um 8,5 Prozent.

Dennoch lagen die Wolfsburger deutlich vor der französischen PSA-Gruppe, die in der ersten Jahreshälfte mit 1,46 Millionen knapp zehn Prozent weniger Peugeot und Citroën absetzen konnte. Auch der gestiegene PSA-Absatz in China blieb mit 280.000 Autos weit hinter VW zurück.

Der Euro-krisenfreie Überseemarkt ist auch der Gewinnbringer für die deutsche Oberklasse. Dank reißender Nachfrage auf den weltgrößten Fahrzeugmärkten in China und den USA konnten Audi, BMW, Daimler und Porsche die Absatzschwierigkeiten in Europa mehr als wettmachen. Der Münchner BMW-Konzern setzte sein außereuropäisches Wachstum fort und steigerte seine Verkaufszahlen im ersten Halbjahr um sechs Prozent auf 955.000 Fahrzeuge. Der Dauerrivale Daimler und die VW-Tochter Audi konnten immerhin jeweils um 5,3 Prozent aufstocken.

Der überaus gute Ruf von deutschen Automobilbauern in Übersee gründet auf Image und Langlebigkeit. Zudem gilt nicht nur in den Weiten Nordamerikas oder den Ölemiraten, sondern auch unter konsumhungrigen Aufsteigern in China das Motto: „Big is better“ – je größer (und teurer) desto besser. So führen in den US-Verkaufszahlen trotz Krise nicht sparsame Kleinwagen aus Südkorea, sondern Spritfresser wie die Pritschenwagen (Pickups) F 150 von Ford. Der riesige Dodge Ram läßt – durch die Übernahme von Chrysler – die Kasse bei Fiat in Turin mitklingeln. Ökologische Bedenkenträger beruhigen ihr Gewissen mit Hybridfahrzeugen, der Kombination von Benzin- und Elektromotor von Toyota & Co.

Und während sich China und Japan leise von den Verheißungen reiner Elektroautos verabschieden, scheinen den bayerischen Autobauern die sprudelnden Gewinne in den Kopf gestiegen zu sein. Der BMW-Konzern, der hart verdiente Milliarden durch die Rover-Übernahme verbrannte (1994–2000), stürzt sich nun auf das rein politisch motivierte Abenteuer Elektromobilität. Sieben Jahre hat man bereits herumexperimentiert und sich von den negativen Erfahrungen der Konkurrenz nicht schrecken lassen. BMW kommt jetzt mit dem I3 auf den Markt.

Weniger als 40.000 Euro soll dieser Kleinwagen kosten, der aber nur 130 bis 160 Kilometer weit fährt. Immerhin kommen E-Mobile auf Automessen, in den Medien und bei der Poltik von Grün bis Schwarz gut an. Der hochverschuldete französische Staat zahlt seit 2012 sogar 7.000 Euro Kaufprämie für ein E-Mobil sowie 4.000 Euro für ein Hybridauto. Bei den Händlern bleiben sie Ladenhüter, weshalb die Regierung 15.000 Stück direkt aufkaufen will. Auch in Japan oder den USA bezahlt der Steuerzahler für die E-Mobilität mit.

Daß wegen der von VDA-Chef Wissmann bis 2014 angekündigten 16 neuen Elektro-Modelle „ein neues Kapitel aufgeschlagen“ wird und statt derzeit 8.500 Mitte des Jahrzehnts „eine sechsstellige Zahl“ über deutsche Straßen rollt, ist unwahrscheinlich. Audi hat beim reinen Elektroauto bereits den Stecker, Mercedes zumindest die Handbremse gezogen. Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) appelliert dennoch unverdrossen an die deutsche Industrie, die zugesagten 17 Milliarden Euro für die Entwicklung „von alternativen Antrieben“ unbedingt zu investieren. Nur so sei das von Angela Merkel auf der jüngsten Konferenz zur Elektromobilität im Mai bekräftigte Ziel von einer Million Elektro-Autos auf Deutschlands Straßen erreichbar.

Einer, der zur Verheißung der Kanzlerin beitragen soll, ist der kleine VW E-Up – mit einem Einstiegspreis von 26.900 allerdings weder ein Volks- noch ein familientauglicher Wagen. Die für solche potentiellen Verlustbringer investierten Gelder und vergeudeten Ingenieursstunden gefährden zugleich das Stammgeschäft, wie die imageschädigenden Probleme mit dem an sich genialen automatischen Doppelkupplungsgetriebe von VW zeigen: Im Wachstumsmarkt China mußten im Frühjahr 384.000 Autos teuer zurückgerufen werden.

Foto: VW auf Automesse in Tsingtau: Das exzellente Image von „Made in Germany“ sorgt für neue Absatzrekorde

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