© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/13 / 12. Juli 2013

Tanz auf Messers Schneide
Ägypten: Das Militär reagiert mit Härte auf den Unmut der Mursi-Anhänger / Angst vor einem Bürgerkrieg
Marc Zöllner

Nach der Absetzung des ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi wächst die Sorge vor einem Bürgerkrieg im Land. Allein am Montag wurden in Kairo über 40 Menschen erschossen, als das Militär eine Sitzblockade von Anhängern der Freiheits- und Gerechtigkeitspartei (FJP), des politischen Arms der Moslembruderschaft, vor einer Kaserne im Osten der Hauptstadt Kairo gewaltsam aufzulösen versuchte.

Daß das Militär sich nicht scheute, mit derartiger Härte gegen Zivilisten vorzugehen, liegt vor allem darin begründet, daß in ebenjener Kaserne der inhaftierte Mohammed Mursi vermutet wird. Er war zusammen mit weiteren hochrangigen Politikern der Moslembrüder von Einheiten der Armee in der Vorwoche verhaftet und an unbekannte Orte gebracht worden. Parallel dazu suspendierte das Militär die vielfach von der Opposition kritisierte Verfassung Ägyptens und erließ Haftbefehle gegen Hunderte weitere Politiker der Freiheits- und Gerechtigkeitspartei.

Das Militär begründete seinen Eingriff mit dem Verstoß der FJP gegen Artikel 84 der Verfassung, welcher Nichtregierungsorganisationen verbietet, paramilitärische Flügel zu unterhalten. Doch auch internationale Beobachter betrachten Erklärungen wie diese lediglich als Vorwand.

„Tatsächlich haben manche Führer der Moslembruderschaft öffentliche Aussagen getätigt, welche einer Anstiftung zur Gewalt gleichkommen und für welche sie vom Gesetz her verurteilt werden könnten", erklärte ein Sprecher der Organisation Human Rights Watch: „Diese Massenverhaftung der meisten hochrangigen Moslembrüder scheint jedoch lediglich politisch motiviert und basiert einzig auf ihrer Mitgliedschaft in dieser Gruppe."

Vorwürfe, die ein Sprecher der Armee umgehend dementierte. „Die Streitkräfte haben keinen einzigen Ägypter aus politischen Gründen verhaftet oder interniert", lautet ein arabischer Kommentar auf der offiziellen Facebook-Seite der Armee. „Wir mahnen alle Ägypter zur Vorsicht beim Verbreiten von Informationen über das Militär." Diese würden nämlich nicht nur international gehandelt, sondern könnten auch „aus politischen Gründen ausgenutzt werden, um den Zustand der Freiheit in Ägypten zu beschmutzen".

Entmachtung Mursis von langer Hand geplant

Allein in der Bewertung der Vorfälle von letzter Woche sieht sich der SCAF, der „Oberste Rat der Streitkräfte", zusehends isoliert. Immer mehr Kommentatoren betrachten die Entmachtung Mursis als von langer Hand geplanten Coup d’Etat, als Militärputsch des SCAF gegen die Regierung der Moslembruderschaft. So zitierte die Nachrichtenagentur Associated Press kürzlich einen hochrangigen Informanten der FJP, man habe bereits am „23. Juni gewußt, daß es vorbei ist. Westliche Botschafter sagten es uns."

Fakt ist, daß nicht wenige Ägypter für die Absetzung der Regierung Mursi dankbar sind. Nicht umsonst kam es in den vergangenen Wochen immer wieder zu Massenprotesten gegen die FJP und ihre Politik, zuletzt mit mehreren hunderttausend Teilnehmern auf dem Tahrir-Platz in Kairo sowie in den Straßen von Alexandria und Suez.

Die Gründe für den Unmut waren mannigfaltig. Neben der zunehmenden Islamisierung aller gesellschaftlichen und politischen Bereiche wurde den Moslembrüdern vorgeworfen, den ägyptischen Sozialstaat zugunsten von Hilfskrediten des Internationalen Währungsfonds (IWF) schrittweise aufzulösen. Der Versuch der radikalen Liberalisierung sowie Privatisierung vormals staatlich kontrollierter Sektoren, wie der Öl- und Energieindustrie, wurde insbesondere vom Militär scharf kritisiert, das als Staat im Staate noch immer rund vierzig Prozent der heimischen Wirtschaft kontrolliert.

Die rigide Kompromißlosigkeit der regierenden FJP ließ schließlich sogar die mit den Moslembrüdern verbündete radikalsalafistische Al-Nour-Partei mit Mohammed Mursi brechen.

Parlamentswahlen stehen in den Sternen

„Doch es wird nicht lange dauern, bis die Menschen, die heute singen, die Armee und die Bürger gingen Hand in Hand, an die Vergangenheit erinnert werden", schreibt der ägyptische Blogger Mohamed el-Dahshan. „Nämlich daran, daß diese Armee die gleiche ist, die für das Maspero-Massaker verantwortlich war", bei dem im Oktober 2011 über 28 koptische Ägypter während einer Demonstration von Soldaten erschossen wurden, „und die während der Revolution über 12.000 Zivilisten vor Militärgerichte stellte".

Überhaupt muß sich das Militär auf eine längere Herrschaftszeit einrichten. Mit Mohammed el-Baradei und Siad Bahaa el-Din wurden bereits zwei Kandidaten für eine zivile Übergangsregierung von den verschiedenen Oppositionsbewegungen abgelehnt. Eine Neuwahl des Parlaments zieht der SCAF für frühestens Februar 2014 in Erwägung, und eine Beteiligung der Moslembrüder am politischen Prozeß lehnt er kategorisch ab.

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