© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/13 / 12. Juli 2013

Bruderzwist statt Breslau
Vertriebene: Der Streit zwischen der Kultureinrichtung „Haus Schlesien" und der Landsmannschaft hat tiefere Ursachen. Eine Bestandsaufnahme
Hinrich Rohbohm

Es kracht gewaltig zwischen dem Verein „Haus Schlesien" und der Landsmannschaft Schlesien. Angesichts dieses seit drei Wochen ausgetragenen Zwists innerhalb einer als konservativ geltenden Klientel dürften sich ideologisch motivierte Gegner der Vertriebenenverbände heimlich ins Fäustchen lachen.

Dabei ist es Niedersachsens neue rot-grüne Landesregierung, die bei den Vertriebenen in der Kritik stehen müßte. Die hatte zwar der Landsmannschaft Schlesien erneut einen Zuschuß in Höhe von 50.000 Euro für die Ausrichtung ihres alle zwei Jahre stattfindenden Deutschlandtreffens in Aussicht gestellt. Das Geld fließe jedoch nur, so die Bedingung, wenn auf der Veranstaltung der Versöhnungsgedanke im Vordergrund stehe. Eine äußerst vage Formulierung. Denn wie das genau auszusehen habe, sagte die Landesregierung nicht.

„Agiert wie ein Elefant im Porzellanladen"

Ihre offenbar beabsichtigte Wirkung hat die neue Maßgabe dagegen erreicht. Unter den schlesischen Vertriebenen ist ein handfester Streit ausgebrochen, der sich vor allem um den Kurs des Bundesvorsitzenden Rudi Pawelka entzündet hat. Mit dem Resultat, daß der Trägerverein des Hauses Schlesien in Königswinter der Landsmannschaft die Mietverträge für ihre Büroräume kündigte. Den Anstoß dafür gab die Rede Pawelkas zum diesjährigen Deutschlandtreffen. Zuwenig versöhnende Elemente und zu viele antipolnische Töne habe sie enthalten, sagen Kritiker (JF 27/13 und 28/13). Zu ihnen gehört vor allem der CDU-Politiker Michael Pietsch, der innerhalb der Landsmannschaft als Präsident der Bundesdelegiertenversammlung fungierte. Wenige Tage vor dem Treffen kam der schon länger gärende Konflikt zwischen Pietsch und Pawelka zum Ausbruch. Laut Pawelka soll Pietsch ihm ein Ultimatum gestellt haben: Grundlegende Änderungen in seiner Rede oder die Landesregierung ziehe sich vom Treffen zurück. So soll Pietsch von Referenten des niedersächsischen Innenministeriums gebeten worden sein, sie darüber zu informieren, ob die von ihnen geforderten Änderungen der Rede vorgenommen wurden oder nicht.

„Da wurde mir klar, daß meine Rede dem Ministerium zugespielt wurde", sagt Pawelka der JUNGEN FREIHEIT. Für ihn ein Vertrauensbruch. „Wie konnte das Innenministerium Kenntnis von meiner Rede haben? Sie war ja noch gar nicht auf dem Markt." Sein Verdacht: Pietsch habe die Rede weitergegeben.

Doch der verneint. „Das ist Quatsch. Pawelka selbst hat die Rede dem Ministerium gegeben, ich habe ihm dazu geraten. Ich habe ihm gesagt, er soll das Manuskript denen zuschicken, dann wird sich zeigen, ob man dort die Rede auch so harmlos ansieht wie er." „Stimmt nicht", sagt dazu wiederum Pawelka. Zwar habe er dem Ministerium eine Rede zugesandt. Dies sei jedoch lediglich die Begrüßungsrede gewesen. „Da ging es doch nur um kulturelle Fragen. Meine Hauptrede haben sie nicht von mir bekommen." Pietsch ist inzwischen zurückgetreten. Einen Tag vor Beginn des Deutschlandteffens hatte er sein Amt niedergelegt.

Wenige Tage zuvor war es unter den Vorstandsmitgliedern zu einer hitzigen Debatte gekommen. Vor allem zwischen Pietsch und Pawelka. Pietsch wollte in der Rede „mehr Empathie" beim Dank an die Landesregierung berücksichtigt sehen, mehr „positive Seelenmassage". Zu einem Drittel sollte Pawelka „positive Aussagen" tätigen. Würde dies nicht erfolgen, sei abzusehen, daß es zu einem Eklat kommen würde. „Für Außenstehende ist das alles schwer zu verstehen", sagt Pietsch der JF. Im Vorstand sei es schon früher hoch hergegangen. „Da haben sich die Leute regelrecht angeschrien", erzählt der 54jährige.

Daß aber die Personaldecke inzwischen so dünn sei und der Landsmannschaft die Bedeutungslosigkeit drohe, liege nach seiner Auffassung allein in der Person Rudi Pawelka begründet. „Ein Fortbestehen der Landsmannschaft ist nur denkbar ohne Pawelka", gibt er zu verstehen. Und spart nicht mit Kritik am Bundesvorsitzenden, dem er unter anderem „Eitelkeit" und „Narzißmus" vorwirft.

Pawelka agiere „wie ein Elefant im Porzellanladen", sei stets nur darauf aus, in die Zeitung zu kommen. Seine Präsenz in Schlesien sei mangelhaft. „Er glaubt ja, daß man ihn in Polen verhaften würde. Aber der Kalte Krieg ist vorbei, wir müssen jetzt mehr mit den Polen reden." Gerade die junge Generation in Schlesien suche heute nach den Spuren ihrer Geschichte. Das sei eine große Chance für die Heimatvertriebenen, etwas von dem über die Zeit zu retten, was ihre Kultur ausmache. Mit einer Aneinanderreihung von Vorwürfen gegen die polnische Seite gelinge das jedoch nicht. Am 20. Juni habe er für sich einen Schlußstrich gezogen. Er habe an diesem Tag mit Pawelka telefoniert, ihn erneut zu Änderungen seiner Rede bewegen wollen. „Dann kam etwas von wegen daß sein Laptop kaputt sei und daß die paar Änderungen nicht so ohne weiteres zu machen seien. Da war’s das für mich."

Nur wenige Minuten später stoppt der Verein „Haus Schlesien" in Königswinter den Aufbau seines Informationsstands auf dem Deutschlandtreffen in Hannover. Und sein Präsident Reinhard Blaschke schreibt Pawelka einen Brief. Das Schreiben, das der JUNGEN FREIHEIT vorliegt, hat es in sich. Blaschke sei von Pietsch telefonisch auf das Redemanuskript Pawelkas aufmerksam gemacht worden. „In diesen Reden sollen Passagen enthalten sein, welche von der neuen Niedersächsischen Landesregierung als Zuschußgeber sowie dem BKM (Beauftragter der Bundesregierung für Kultur und Medien, d. Red.) als weiterem Zuschußgeber für diese Veranstaltung nicht gebilligt werden", schreibt Blaschke.

Es sei aber Wunsch der Landesregierung und des BKM, den Versöhnungsgedanken in den Vordergrund zu stellen. Zwar liege es dem „Haus Schlesien" fern, Pawelka in seiner Redefreiheit einzuschränken. Jedoch könne es „auf keinen Fall mit irgendwelchen politischen Auseinandersetzungen, die zwischen dem Veranstalter und den Zuwendungsgebern entstehen, in Zusammenhang gebracht werden." Pawelka solle daher seine Reden nach den „Maßstäben der heutigen politischen Meinungen der staatstragenden Parteien" ausrichten.

„Dann wäre ich doch unglaubwürdig geworden"

„Wenn ich meine Reden aber so weitgehend geändert hätte, wie die das wollten, wäre ich doch unglaubwürdig geworden, die Leute hätten mich ja nicht mehr wiedererkannt", erklärt Pawelka. Einen Tag später sagen der niedersächsische Landtagspräsident Bernd Busemann (CDU) und Innenminister Boris Pistorius (SPD) ihre Teilnahme am Schlesiertreffen ab. „Wenn selbst Führungspersönlichkeiten des Verbandes den Kurs von Herrn Pawelka nicht mehr mittragen können, dann müssen Landesregierung und Landtagspräsident Abstand davon nehmen, bei dem Verband zum gegenwärtigen Zeitpunkt aufzutreten", läßt sich Pistorius in einer gemeinsam mit dem Büro des Landtagspräsidenten verfaßten Presseerklärung zitieren.

„Wir stehen unter gewaltigem Druck", nennt Blaschke gegenüber der JF den Beweggrund für sein scharfes Schreiben. Das „Haus Schlesien" sei auf Zuwendungen des BKM angewiesen, ein fast sechsstelliger Betrag stehe für den Verein auf dem Spiel. 2002 habe das Haus kurz vor der Insolvenz gestanden. Seinerzeit habe sich die Landsmannschaft „nicht mit dem geringsten Betrag" an einer Abwendung der Zahlungsunfähigkeit beteiligt. Blaschke sei damals selbst eingesprungen, hatte dem Verein finanziell ausgeholfen. Politischer Druck komme dabei aus den Amtsstuben des dem Kanzleramt unterstellten Bundesbeauftragen für Kultur und Medien.

Ministerialbeamte des BKM hatten voriges Jahr das „Haus Schlesien" beschuldigt, rechtsradikale Aktivitäten mit verfassungsfeindlichem Hintergrund zu betreiben. „Nach meinem Verständnis ist das krankhafter Schwachsinn des Erfinders dieser Behauptungen", schreibt Blaschke. Man habe ihm sogar zu verstehen gegeben, daß er von seinem Posten zurücktreten solle. Offenbar aus dieser Erfahrung heraus will der Verein weiteren Konflikten vorbeugen. So sei die Kündigung für die Landsmannschaft als „personenbezogen" zu verstehen. „Es geht hier in erster Linie um den Bundesvorsitzenden, welcher mit seinen Auftritten und Reden immer wieder das ‘Haus Schlesien’ mit in die öffentliche Kritik, gewollt oder ungewollt, hineinzieht." Andererseits war es gerade Rudi Pawelka, der in den vergangenen Jahren Versuchen rechtsradikaler Einflußnahme auf die Landsmannschaft entschieden entgegenwirkte. Dennoch erreicht fünf Tage später ein weiteres Schreiben Blaschkes die Landsmannschaft. „Der Verein ‘Haus Schlesien’ e.V., vertreten durch den Vorstand, hat beschlossen, den Mietvertrag vom 21.05.2005 mit der Landsmannschaft Schlesien mit sofortiger Wirkung fristlos zu kündigen", heißt es darin. Pikant: Im Vorstand vom „Haus Schlesien" übt Michael Pietsch die Funktion des Vizepräsidenten aus. „Die öffentlich negativen Stellungsnahmen über den Auftritt des Bundesvorsitzenden beim Deutschlandtreffen der Schlesier in Hannover belasten die Tätigkeiten und das Erscheinungsbild von Haus Schlesien schwer und haben letztendlich unsere Entscheidung herbeigeführt", begründet der Verein seinen Entschluß.

Einen Tag nach der Mietkündigung tritt auch das Landsmannschafts-Bundesvorstandsmitglied Peter Großpietsch zurück. Nach JF-Informationen soll sich das niedersächsische Innenministerium einen Tag danach bei Christian Kuznik, einem weiteren Vorstandsmitglied, erkundigt haben, ob er schon zurückgetreten sei. Kurze Zeit später erklärt auch Kuznik seinen Rücktritt.

„Das Haus sollte ein Stück Heimat bleiben"

„Den Rauch habe ich wohl mitbekommen, aber wie es zu solch einem Brand kommen konnte, habe ich bis heute nicht nachvollziehen können", beschreibt Heinz Meinhard sein Unverständnis über das Geschehen. Meinhard ist nicht zurückgetreten, gehört weiter dem geschäftsführenden Bundesvorstand der Landsmannschaft an. „Maulkorb mag ich nicht", sagt er. Auf dem Deutschlandtreffen habe er sowohl Kuznik als auch Großpietsch auf die Beweggründe ihres Rücktritts angesprochen. „Beide wollten mir aber darauf keine Antwort geben."

Kuznik und Großpietsch waren auch für eine Stellungnahme gegenüber der JF nicht zu erreichen. „Ich hatte die Rede gelesen und nichts Anstößiges daran gefunden", sagt Meinhard. Für ihn sei das lediglich eine „typische Pawelka-Rede" gewesen. „Die haben das eingefädelt", sagt Pawelka selbst. Und meint damit vor allem das Niedersächsische Innenministerium und Michael Pietsch. Auch das Adenauer-Haus sei involviert gewesen. „Reine Verschwörungstheorie", meint darauf Michael Pietsch. Mit seinen anti-polnischen Ressentiments habe Pawelka selbst den Konflikt heraufbeschworen. Die Landsmannschaft müsse endlich nach vorn blicken.

„Heute hört man bei den Deutschlandtreffen doch fast nur noch Rollatoren surren und Hörgeräte piepsen", meint ein Pietsch-Befürworter, der vermutet, daß der Mediziner nun „die Nase voll" haben könnte. Gegner von Pietsch sprechen hingegen von Karriere-Ambitionen des in Kassel geborenen CDU-Mitglieds. Den Vorsitz der Landsmannschaft strebt er allerdings nicht an. „Das geht bei mir aus zeitlichen Gründen gar nicht", winkt er ab.

Unterdessen ist das „Haus Schlesien" um Schadensbegrenzung bemüht. In einer Presseerklärung betont der Verein, daß er sich in der Vergangenheit nicht in die Angelegenheiten der Landsmannschaft eingemischt habe und das auch nicht in Zukunft zu tun gedenke. Jedoch werde oft nicht verstanden, daß es sich bei der Landsmannschaft und dem „Haus Schlesien" um voneinander unabhängige Einrichtungen handele. Speziell durch „teilweise problematische Bücher" des zur Landsmannschaft gehörenden Silesia-Verkaufslädchens werde der Verein „belastet", weil jeder meine, der Laden werde vom „Haus Schlesien" betrieben. 2005 sei der Mietvertrag mit der Landsmannschaft aufgrund „politischer Handlungen" schon einmal gekündigt worden. Man sehe sich nun „gezwungen, erneut diesen Weg zu beschreiten".Behauptungen, das „Haus Schlesien" sei eine Gründung der Landsmannschaft, tritt der Verein entgegen, nicht alle Gründungsmitglieder seien Angehörige der Landsmannschaft gewesen. Blaschke appelliert an das Zusammengehörigkeitsgefühl der Schlesier, wirbt um Treue zu beiden Institutionen. Und stimmt versöhnliche Töne an: „Wir haben unsere Heimat verloren, Haus Schlesien sollte ein Stück Heimat bleiben."

 

Haus Schlesien

Das Haus Schlesien ist ein Zentrum für Kultur und Geschichte der heimatvertriebenen Schlesier. Es befindet sich auf den Rheinhöhen in Königswinter und besteht aus einem Bildungszentrum mit Tagungs- und Begegnungsstätte, einem Dokumentations- und Informationszentrum für schlesische Landeskunde sowie einer Präsenzbibliothek. Darüber hinaus verfügt das Anwesen über eine eigene Gastronomie und Gästezimmer. Das Haus wird vom Verein „Haus Schlesien" geführt. Die Grundfinanzierung erfolgt durch die Bundesrepublik Deutschland. Weitere Kosten werden durch das Land Niedersachsen als Patenland der Schlesier und die Stadt Königswinter sowie durch Spenden abgedeckt.

Im Haus hat auch die Landsmannschaft Schlesien ihren Sitz. Sie ist ein unabhängig vom Haus Schlesien agierender Vertriebenenverband. Die Landsmannschaft ist Mitglied im Bund der Vertriebenen. Eigenen Angaben zufolge hat sie derzeit rund 200.000 Mitglieder.

www.hausschlesien.de

www.schlesien-lm.de

 

Foto: Kontrahenten: Michael Pietsch auf der einen … … und Rudi Pawelka auf der anderen Seite

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