© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/13 / 12. Juli 2013

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
„Fragen Sie ihn selbst"
Marcus Schmidt

Wenn sich die Vertreter zweier Verfassungsorgane in die Haare bekommen, läuten in der konsensverliebten Bundesrepublik die Alarmglocken.

Die Aufregung um das in der Welt am Sonntag veröffentlichte Interview mit Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), in dem dieser den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichtes, Andreas Voßkuhle, frontal angreift, war also abzusehen. Lammerts Vorwurf an Karlsruhe: Das Gericht mische sich zu stark in die Familienpolitik, vor allem bei der Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften ein. „Gelegentlich ist der Eindruck entstanden, es gäbe einen Gestaltungsehrgeiz des Bundesverfassungsgerichts, der über die Interpretation des Grundgesetzes hinausgeht", sagte Lammert, der dem Gericht gleichwohl zugestand, als Verfassungsorgan politischer Akteur zu sein.

Doch der Parlamentspräsident kämpft ganz offensichtlich darum, den Eindruck zu korrigieren, der Bundestag vollziehe etwa in der Frage der Gleichstellung der Homo-Ehe nur noch nach, was ihm Karlsruhe vorgebe. Vorsorglich bringt Lammert sich schon einmal gegen die erwartete Entscheidung des Gerichts zum Adoptionsrecht für homosexuelle Paare in Stellung: „Nach meinem Verständnis von Ehe und Familie muß der Anspruch auf Gleichstellung bei Steuern anders beurteilt werden als der Anspruch auf Gleichstellung bei der Adoption von Kindern", sagte der CDU-Politiker, der im übrigen nicht glaubt, daß die mittlerweile von Karlsruhe weit vorangetriebene Gleichbehandlung der Homo-Ehe zwangsläufig war. Die Einführung der Lebenspartnerschaft unter Rot-Grün sei im Bundestag hochumstritten gewesen, erinnerte er und fügte hinzu: „Die parlamentarischen Mehrheiten von damals gibt es heute nicht mehr."

Das war für Volker Beck das Signal zum Eingreifen. Immer wenn es in Berlin irgendwie um Homosexuelle geht, wacht der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen darüber, daß die Diskussion in den „richtigen" Bahnen verläuft. „Vielleicht wollte Lammert ja auch Beifall von Frau von Storch und der AfD, als er die Lebenspartnerschaft in Frage stellte", empörte er sich am Montag via Twitter, um wenig später den Parlamentarischen Geschäftsführer der Union, Michael Grosse-Brömer (CDU), um eine Interpretation der Interviewäußerungen Lammerts zu bitten. Die kühle Antwort Grosse-Brömers: „Fragen Sie ihn selbst."

Für Voßkuhle ist dies alles nichts neues. Wie kaum ein Verfassungsgerichtspräsident vor ihm stößt er im politischen Berlin auf Mißtrauen. Erst Anfang des Jahres hatte er mit seinem Auftritt vor den Hauptstadtjournalisten in der Bundespressekonferenz vor allem bei Politikern aus der Union für Aufregung gesorgt. Auch hier lautete der Vorwurf: Der Präsident mischt sich zu sehr ein. Als dann auch noch im Spiegel unter dem bezeichnenden Titel „Merkels Chef" aus dem als vertraulich eingestuften Hintergrundgespräch berichtet wurde, war der Skandal perfekt und Voßkuhle fürs erste vom Berliner Politikbetrieb bedient. Daran dürfte sich nach dieser Woche nichts geändert haben.

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