© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/13 / 12. Juli 2013

„Ritter ohne Furcht und Tadel"
Katholisch, monarchistisch, deutschnational – er gehörte zu den erbittertsten Gegnern der Nationalsozialisten, überstand ihre Prozesse und Mordpläne, und er ließ seine Soldaten Juden retten. Die unglaubliche Geschichte des Generals Theodor Groppe erzählt dessen Sohn.
Moritz Schwarz

Pater Groppe, warum kennt jeder Oberst Stauffenberg, aber keiner General Groppe?

Groppe: Er paßt eben nicht in die politische Landschaft.

Inwiefern?

Groppe: Der Bundeswehr-Generalmajor Achim Oster schrieb 1977 über meinen Vater: „Er ist und bleibt noch heute ‘ein Ärgernis’ im biblischen Sinn. Theodor Groppe hat das vorgelebt (...) was viele seiner Standesgenossen, sei es aus Schwäche, sei es aus Opportunismus nicht vorgelebt haben. So bleibt er eine fortwährende Mahnung an eigenes Fehlverhalten und Versagen. Hätte es mehr Groppes gegeben, hätten Hitler und seine Verbrecherbande nicht so leichtes Spiel mit dem deutschen Volk gehabt."

Er soll von den von ihm geretteten Juden „wie ein Heiliger verehrt" worden sein.

Groppe: Das wurde von einem überlebenden Juden bezeugt.

Um ein Zeichen gegen ihre Verfemung zu setzen, zog Ihr Vater im November 1933 als Divisionskommandeur in Gleiwitz/Oberschlesien in ein auch von Juden bewohntes Haus.

Groppe: Das erregte natürlich Aufsehen und wurde von den Nazis registriert. Ebenso wie der Umstand, daß er, der er ob seines tiefen Katholizismus den Beinamen „der schwarze General" trug, grundsätzlich in Uniform zum Gottesdienst ging, um den Gläubigen Mut zu machen. Ein General mit Pour le mérite, dem höchsten deutschen Orden aus dem Ersten Weltkrieg, bestärkte katholische wie evangelische Christen in ihrem Bekenntnis. Das brachte die Nazis zur Weißglut.

„Er war konservativ und so immun gegen NS-Ideologie"

Um so mehr wundert man sich, daß Ihr Vater heute fast vergessen ist.

Groppe: Zum Geleit des von mir in Wien verfaßten Lebensbildes meines Vaters schrieb der Kirchenhistoriker Franz Loidl 1977, sein Beispiel sei „dazu angetan gewesen, seine Standesgenossen (...) im geistigen Widerstand gegen das Unrechtsregime (...) zu bestärken. Daß sein Beispiel im wesentlichen keine Schule machte, wird man diesem Ritter ohne Furcht und Tadel nicht zum Vorwurf machen können. Daß die deutsche Bundeswehr bis heute glaubt, das Beispiel dieses hervorragenden Soldaten mit Stillschweigen übergehen zu dürfen, stimmt nachdenklich, wenn nicht bedenklich." Nach 1945 hat sich wegen der Massenmorde an den Juden in Deutschland ja ein regelrechter Schuldkult entwickelt. Um so unbegreiflicher ist es, daß ein General, der Juden rettete, vergessen ist. Wie soll sich etwa unsere Jugend für ihr Vaterland begeistern, wenn ihr – mit Ausnahme von Stauffenberg – nur negative Beispiele für die Deutschen in der Zeit des Dritten Reichs vorgestellt werden?

Aber heute werden etliche Deutsche gewürdigt, die Widerstand geleistet haben.

Groppe: Stimmt, aber es sind oft namentlich nicht bekannte Leute. Professor Loidl meint: „Bei der Ablehnung der Widerstandskämpfer führt man gewöhnlich zwei Begründungen an, warum man sich mit ihnen nicht identifizieren könne: Sie hätten die Hand gegen den ‘Führer’ erhoben, seien eidbrüchig geworden, (oder) man wirft ihnen Landesverrat vor. Beide Vorwürfe, so unsinnig sie sind, kann man Theodor Groppe nicht machen. Sein ‘Verbrechen’ war, daß er sich unbeirrt von den Grundsätzen des Rechts und der Menschenwürde leiten ließ."

Pardon, das sind die Vorwürfe der fünfziger Jahre.

Groppe: Dann hier ein Beispiel dafür, wie heute die Stimmung ist: Der angesehene Politikwissenschaftler Konrad Löw hat unzählige Dokumente gesammelt, die belegen, mit wieviel Ablehnung die Mehrzahl der Deutschen auf die Verfolgung der Juden reagiert hat. 2010 erschien sein Werk „Deutsche Schuld 1933 bis 1945? Die ignorierten Antworten der Zeitzeugen." Wer aber kennt das Buch? Wird es im Schulunterricht behandelt? Ist es Grundlage für eine Guido-Knopp-Fernsehserie? Ganz im Gegenteil! Statt dessen behandelt man Löw fast wie jemanden, der den Holocaust relativieren wolle. Daß mit Klaus von Dohnanyi ein Nachkomme eines von den Nazis gehängten Widerstandskämpfers zu Löws Buch das Vorwort und der renommierte französisch-jüdische Philosoph Alfred Grosser das Nachwort verfaßt haben, wird natürlich geflissentlich ignoriert.

Ihr Vater war ein überzeugter Konservativer, die gelten heute gemeinhin als „Steigbügelhalter" der Nationalsozialisten.

Groppe: Gerade weil er ein Konservativer war, war er immun gegen nationalsozialistisches Gedankengut. Wir entstammen einer Familie, die sich stets zu ihrem Glauben bekannte. Mein Großvater väterlicherseits war Offizier und wurde dann Verleger. Im Kulturkampf druckte er die verbotenen Hirtenbriefe des Bischofs von Trier und wurde wegen Majestätsbeleidigung zu zwei Jahren Festung und hoher Geldstrafe verurteilt. Beides ruinierte den Verlag.

Ihr Vater beschloß, Soldat zu werden.

Groppe: Er war Monarchist und Patriot und wollte seinem Vaterland, das durch Frankreich und Rußland bedroht war, dienen. Er besuchte die Kriegsakademie, wurde als Vollblutsoldat hervorragend beurteilt. Er erhielt zahlreiche Tapferkeitsauszeichnungen darunter den Pour le mérite. In der Reichswehr wechselten seine Verwendungen von der Truppe in den Generalstab. 1933, inzwischen Generalmajor, wurde er entlassen, „weil er seiner ganzen Weltanschauung nach für das Heer des künftigen nationalsozialistischen Staates ungeeignet erscheine", wie ihm sein Vorgesetzter General von Blomberg, späterer Reichskriegsminister, mitteilen ließ. Da aber das Heer bald vergrößert wurde, wurde er zurückgeholt und im November 1933 in Gleiwitz Divisionskommandeur.

„Befehl, Gewalt gegen Juden mit Waffen zu verhindern"

Warum verweigerte er sich nicht?

Groppe: Einmal, weil es sein Beruf war, sodann weil er als Ruheständler keinerlei Einflußmöglichkeiten mehr gehabt hätte. Er verweigerte aber grundsätzlich den Hitlergruß und zeigte auch sonst seine Ablehnung der NS-Ideologie. Immer wieder beschwerten sich Partei und Gestapo über ihn. Schließlich sollte er im Zusammenhang mit dem „Röhm-Putsch" 1934 liquidiert werden. Durch eine gezielte Warnung wurde er davor bewahrt.

Wegen seiner konsequent christlichen Haltung sollte er erneut entlassen worden.

Groppe: Der Ausbruch des Krieges 1939 verhinderte dies, und er wurde Kommandeur der 214. Infanteriedivision am Westwall. Als die Partei am 12. Dezember 1939 eine „spontane Volkskundgebung gegen Juden" anordnete, gab mein Vater den Befehl, Ausschreitungen gegen Juden notfalls mit Waffengewalt zu verhindern. Sein Vorgesetzter, der Armeebefehlshaber Generaloberst von Witzleben, dehnte diesen Befehl schließlich auf den gesamten Bereich der 1. Armee im Westen aus. So wurde dort keinem Juden ein Haar gekrümmt. Am 11. Dezember 1939 erhielt mein Vater dann Kenntnis vom „SS-Befehl für die gesamte SS und Polizei", in dem Heinrich Himmler seine Leute aufforderte, auch außerhalb der Ehe Kinder guten Blutes zu zeugen. Da dieser Befehl gegen alle Grundsätze des Offizierkorps verstieß, glaubte mein Vater, ein scharfer Protest würde nun auch die „vorsichtigen" Generale zum gemeinsamen Protest dagegen bei Hitler bewegen. Mit Ausnahme Walter von Reichenaus waren tatsächlich auch sämtliche Spitzengenerale empört. Als sie aber hörten, daß Hitler persönlich hinter diesem Befehl stand, schwiegen sie. Lediglich die damaligen Generalobersten von Witzleben und Ritter von Leeb, die direkten Vorgesetzten meines Vaters, stellten sich hinter ihn. Sie drohten, sofort ihr Kommando niederzulegen, wenn er auch nur verabschiedet würde. Leeb schrieb an den Oberbefehlshaber des Heeres: „Ich stelle mich mit ganzer Person vor Generalleutnant Groppe, auch dann, wenn er sich in berechtigter Empörung über den Befehl des Reichsführers SS im Wortlaut vergriffen haben sollte." Dies verhinderte die Absicht Himmlers, einen Heimtückeprozeß gegen meinen Vater anzustrengen.

Hatte Ihr Vater sonst keinen Rückhalt?

Groppe: Es gab in allen Diensträngen, vom Leutnant bis zum Feldmarschall, Offiziere, die im Rahmen ihrer Möglichkeiten Widerstand leisteten. Ich denke an den Chef der Heeresjustiz, Karl Sack, den Generalrichter Dr. Hoffmann, an Admiral Wilhelm Canaris oder an Major Werner Krehan, einen Ortskommandanten im Bereich der Division meines Vaters, der auf eigene Faust Schießbefehl gegen Judenverfolger gab.

1941 trat Ihr Vater als Entlastungszeuge für einen Regimegegner im sogenannten „Stolper Prozeß" auf.

Groppe: Ja, und zwar so erfolgreich, daß der Angeklagte mit einer für ein Sondergericht milden Strafe davonkam. Allerdings kam er anschließend ins KZ. Martin Bormann, Leiter der Parteikanzlei, war über den Auftritt meines Vaters so wütend, daß er 1942 einen persönlichen Befehl Hitlers durchsetzte, meinen Vater zu degradieren und aus der Wehrmacht auszustoßen. 1944 kam er wegen Wehrkraftzersetzung und Defätismus vor das Reichskriegsgericht – das an sich gar nicht mehr zuständig war. Generalrichter Hoffmann kratzte aber alles Entlastende zusammen und stellte das Verfahren mangels Tatbestands ein.

Der Einsatz der Wehrmachtsjuristen ist erstaunlich und paßt gar nicht in das Bild, das man sich heute von ihnen macht.

Groppe: Eben. Nach Meinung vieler war die Wehrmacht ja eine Verbrecherorganisation. Doch leider nutzte der geradezu heroische Einsatz des Reichskriegsgerichts meinem Vater zunächst nichts, da Himmler seine Verhaftung und Einweisung ins Staatspolizeigefängnis Darmstadt befahl. Im Januar 1945 wurde er in die Festungshaftanstalt Küstrin verlegt, deren Kommandant, ein Major der Reserve, ein kluger, engagierter Nazigegner war. Über den Befehl Ernst Kaltenbrunners, Chef des Reichssicherheitshauptamtes, vom Februar 1945, „die Hunde zu hängen" – gemeint waren neben meinem Vater noch Sippenhäftlinge des 20. Juli, – setzte er sich hinweg und flüchtete mit den Gefangenen an den Bodensee. Dort konnte mein Vater den Einmarsch der Alliierten abwarten.

Auch Sie wurden von der Gestapo verhört.

Groppe: Als Zwölfjähriger, wegen „Schmähung des Führers". Ich wurde aber weder bedroht noch geschlagen. Schließlich konnte ich mich herausreden. Nach dem 20. Juli 1944 aber hatte ich zwanzigmal mit der Gestapo zu tun.

Trotz Ihrer Erlebnisse wurden Sie später bisweilen als „Rechtsextremer" verunglimpft. Wie paßt das zusammen?

Groppe: Die Antifaschisten bezeichnen alle, die nicht links sind, als „Rechte". Rechts ist dann gleich rechtsextrem, rechtsradikal. Die Haltung meines Vaters beweist, daß konservative und nationale Werte absolut nichts mit Nazismus zu tun haben. Ganz im Gegenteil. Aber wer sich heute nicht der Political Correctness unterwirft, ist eben „rechts". Ich habe mich als Militärseelsorger, als Dozent an der Führungsakademie der Bundeswehr und in zahlreichen Reden, Vorträgen und Veröffentlichungen immer darum bemüht, zu einer gerechten Beurteilung der Wehrmacht und der deutschen Vergangenheit, besonders während der zwölf Jahre der Nazidiktatur, beizutragen. 1998 sprach ich im Rathaussaal in Dresden zum Politischen Aschermittwoch der DSU – vormals Schwesterpartei der CSU –, das führte zu einem giftigen Kommentar im Deutschlandfunk. Deshalb brachte ich das Beispiel meines Vaters und meine Erlebnisse mit der Gestapo an die Öffentlichkeit. Danach wurde ich vom „Rechtsextremen" zum „Rechtskatholiken" begnadigt.

„Weder Deutschland noch Israel, nur der Papst ehrt ihn"

Bis heute gibt es keine Bundeswehrkaserne, die nach Ihrem Vater benannt ist.

Groppe: Dabei würdigte Verteidigungsminister Rudolf Scharping in einer Ansprache am 20. Juli 2000 fünf Soldaten der Wehrmacht, vom Feldwebel bis zum General, die sich unter Einsatz ihres Lebens für Verfolgte eingesetzt haben. Vier von ihnen wurden inzwischen in die „Allee der Gerechten" in der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem aufgenommen. Nicht aber General Groppe. Als ich mit einem prominenten Historiker darüber sprach, sagte der nur: „General und Katholik – das ist zuviel!" Wenn sich auch die Bundeswehr nicht zu einer angemessenen Ehrung entschließen kann, zeichnete Papst Pius XII. meinen Vater 1952 als einzigen Soldaten der Wehrmacht mit dem Komturkreuz des Gregoriusordens aus.

 

Pater Lothar Groppe SJ ist der Sohn des ehemaligen Generalleutnants der Wehrmacht und Widerständlers Theodor Groppe (1882–1973). Geboren 1927 in Münster/Westfalen studierte Lothar Groppe Jura, 1948 wurde er Jesuit, war Militärseelsorger, Dozent und Militärdekan an der Führungsakademie der Bundeswehr und leitete eine Zeitlang die deutsche Sektion von Radio Vatikan. Papst Johannes Paul II. berief ihn 1993 zu einem der neun Richter im Seligsprechungsprozeß des in NS-Haft gestorbenen Berliner Dompropsts Bernhard Lichtenberg. Bis heute setzt sich Lothar Groppe für eine Würdigung seines Vaters (Bild rechts) ein. Trotz Anerkennung durch Verteidigungsminister Georg Leber und Rudolf Scharping gibt es bis heute keine Kaserne, die Groppes Namen trägt – nur ein Kompanietrakt der Rommel-Kaserne in Augustdorf/NRW wurde nach ihm benannt. 2008 erschien im Hess-Verlag: „Theodor Groppe der ‘Schwarze General‘. Ein katholischer Soldat im Kampf für Recht und Sitte".

 

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