© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/13 / 05. Juli 2013

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Es gibt ein übermäßiges Interesse an der häßlichen wie der faszinierend-schönen Seite des Bösen, es wäre wichtig, sich mit der alltäglichen zu befassen.

„In Amerika ist es in der Regel so, daß die Realität den zweiten Platz hinter einer attraktiv präsentierten Freiheitsphantasie einnimmt, sei es die Phantasie von ökonomischer Freiheit oder Bildungsfreiheit oder Freiheit im Irak.“ (Thomas Frank, amerikanischer Journalist)

Nun erhebt also wenigstens ein evangelischer Würdenträger Widerspruch gegen die Handreichung zur Ehe, die die Ad-hoc-Kommission der EKD in die Welt gesetzt hat. Das geschah zaghaft genug, vor allem aber ohne Rekurs auf den eigentlichen theologischen Skandal, der in dieser Abwertung von Gottes guter Ordnung in Gestalt von Ehe und Familie liegt. Auf den weisen auch die eigentlich Berufenen nicht hin, die Lehrer der Dogmatik und Systematik an den Universitäten. Aus der Gleichgültigkeit gegen das, was die Kirche als richtig und verbindlich ansehen muß, hat man offenbar die bequeme Schlußfolgerung gezogen, es komme auf Richtigkeit und Verbindlichkeit gar nicht mehr an. Das läßt sich zwar postmodern oder sonstwie aufrüschen, aber im Kern bleibt es doch: Gottlosigkeit.

Das mediale Interesse am Schicksal der inhaftierten Führer der türkischen Opposition und das Desinteresse am Schicksal der inhaftierten Führer der französischen Opposition, das demonstrative Mitleid mit den einen und die demonstrative Häme für die anderen, die Forderung nach Nachgiebigkeit des Staates in Istanbul und die Forderung nach hartem Durchgreifen in Paris, die Sympathie für die „Zivilgesellschaft“ einerseits, der Haß auf den „pays réel“ andererseits, sind keine Widersprüche. Der linksliberale Mainstream kennt immer nur ein Ziel: totale Durchsetzung seines gesellschaftlichen Modells, mit dem Staat oder gegen ihn.

Freundschaftliche Ausspähung I: Vielleicht kann ja die Enthüllung über die britische, gegen Deutschland gerichtete Spionage endlich den Mythos vom angelsächsischen Fair play beiseite räumen. Tatsächlich ist Fairneß keine Charaktereigenschaft der Vettern über See. Wie hätten sie sonst ihre nationale Einheit so früh erreichen, ein Imperium gegen mächtigen Widerstand etablieren, die Weltkarte „rot anmalen“ und uns zweimal (mit)besiegen können? Lässigkeit und gentlemanliness waren ein Luxus, den man sich leisten konnte, nachdem die Konkurrenten ausgeschaltet und die Gegner niedergeworfen waren, und oft genug stand die gekonnte Vortäuschung der reklamierten „Werte“ in ebensolchem Ansehen wie die tatsächliche Verinnerlichung.

Freundschaftliche Ausspähung II: Anders als der britische bietet der amerikanische Zugriff auf unsere Geheimnisse eigentlich keinen Anlaß zur Empörung. Der Grad der Kontrolle Deutschlands durch die USA ist hinreichend bekannt, wenngleich man sich normalerweise um bessere Kaschierung bemüht. Und selbst wer Egon Bahrs Diktum „Alle Bundeskanzler von Konrad Adenauer bis Helmut Kohl waren IM der CIA“ (Die Zeit vom 1. November 1996) für überzogen hält oder aus irgendwelchen Gründen meint, nach dem Abtritt Kohls hätte Washington die Bundesregierung von der Leine gelassen, muß doch davon ausgehen, daß jede amerikanische Führung alles tun wird, um die Kontrolle über Europa und dessen wichtigsten Staat aufrechtzuerhalten.

Zum Tod Henning Ritters: Die allseits respektvollen Nachrufe betonen die Gelehrtheit und Freundlichkeit Ritters, seine Kenntnis der europäischen Literatur, insbesondere der des 18. Jahrhunderts, seine Verdienste um die Wiederentdeckung verschollener Texte. Bei manchem schwingt Dankbarkeit mit, für selbstlose Hinweise oder die Unterstützung, die Ritter leistete – nicht nur durch die von ihm aufgebaute und lange Jahre geleitete Rubrik „Geisteswissenschaften“ der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, sondern auch durch das Netzwerk von Verlegern, Lektoren, Wissenschaftlern, Journalisten, dem er angehörte –, aber auch Bewunderung für die unerschöpfliche intellektuelle Neugier dieses Mannes. Sie erklärt zum Teil, warum er den von ihm bewunderten Moralisten in seiner Haltung so ähnlich war, die eben nicht ihre Umwelt mit Verbesserungsvorschlägen traktierten, sondern die „mores“, das heißt die üblichen Sitten, beobachteten und kommentierten. Trotzdem kann man sich nur schwer vorstellen, daß Ritter ganz distanziert war. Er hat immer wieder Bemerkungen eingestreut, die von Skepsis gegenüber dem Heute bestimmt waren; neben Rousseau gehörte eben auch Tocqueville zu seinen regelmäßig erwähnten Bezugsgrößen. Aber deutlicher wurde er nicht, er wußte zu genau, unter welchen Bedingungen eine Existenz wie seine geduldet wird – und unter welchen nicht.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 19. Juli in der JF-Ausgabe 30/13

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen