© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/13 / 05. Juli 2013

CD: Prokofjew
Es bleibt Musik
Sebastian Hennig

Sergej Prokofjew studierte, wie Igor Strawinsky, noch bei Rimski-Korsakow. Nach 1918 verließ er Rußland, ohne im Westen richtig Fuß fassen zu können. In den späten zwanziger Jahren konzertierte er wieder daheim und erwog eine Rückkehr, die er dann 1936 vollzog. Und wie einem Antäus stiegen auf dem Mutterboden neue Schaffenskräfte in ihm auf.

Es war die Zeit der großen „Säuberungen“. Daß seine Ehefrau eine gebürtige Spanierin war, führte zu Schwierigkeiten. Er flüchtete sich darüber in die Affäre mit einer jüngeren Frau. Aus diesen unerträglichen Zuständen wuchsen die besten Stücke seines Werks. Darunter jene drei Sonaten, die etwas unkorrekt als „Kriegssonaten“ bezeichnet werden.

Da die erste bereits im Frühjahr 1940 entstand, kommt nur ein innerer Krieg, im Komponisten und seinem Heimatland in Frage. Bereits diese 6. Sonate stolpert gebrochen daher, so wie das Europa jener Jahre von einem Blutbad ins nächste taumelte. Zarte Tonfolgen, die sich zwischendurch erheben, werden von mächtigen Baß-Clustern förmlich niedergedroschen wie frische Keimlinge vom Hagel. Diese Musik wirkt bizarr und böse, wie die Zeit, in der sie entstanden ist. Von der neuen Klassizität des Orchesterwerks von Prokofjew ist das unendlich weit entfernt.

Es ist gleichsam die Abraumhalde für die neue volkstümliche Einfachheit der repräsentativen Werke. Selbst die Lebhaftigkeit des Vivace erhebt sich aus einer Dumpfheit, die immer wieder durchstößt, bis sie die verdächtige Heiterkeit zur Strecke gebracht hat. Schließlich gipfelt die Sonate in einem völlig unerwartbaren Höhepunkt.

Der Mittelsatz der 7. Sonate beginnt deutlich mit dem Motiv eines Lieds von Robert Schumann. In „Wehmut“ heißt es: „Ich kann wohl manchmal singen, als ob ich fröhlich sei, doch heimlich Tränen dringen, da wird das Herz mir frei.“ Weiter ist darin von Nachtigallen die Rede, deren Lied aus dem Kerker schallt, „doch keiner fühlt die Schmerzen, im Lied das tiefe Leid“.

Der Pianist der Epoche, Swjatoslaw Richter, begann seine Laufbahn mit der 6. Sonate und liebte ganz besonders die 8. Sonate, die er mit einem Baum verglich, „der sich unter dem Gewicht seiner Früchte beugt“. Der Komponist empfand dieses Werk in besonderer Weise von seiner Beziehung zu Mira Mendelssohn durchdrungen, die der Ungeschiedene 1948 heiratete. Das Erlöschen der ersten Ehe erfolgte schlichtweg per bürokratischem Erlaß, und die Gattin verschwand kurz darauf für Jahre im Gulag. Ein letztlich wohl unklärbarer, unfaßbarer Vorfall. Uns aber bleibt Musik.

Erstaunlich, wie diese schmerzliche Musik von einem jungen Mann mit solcher Dringlichkeit vorgetragen werden kann, wie es Denis Kozhukhin hier macht. Seit vier Jahren räumt der 1986 in Nischni Nowgorod geborene Preise bei internationalen Klavierwettbewerben ab. In diesem Jahr spielt er sämtliche Klaviersonaten von Prokofjew in Tokio und die drei Werke dieser Aufnahme in der Londoner Queen Elizabeth Hall zum Southbank Festival. Mittels dieser Musik verkündet er ein tief verwurzeltes, unbewußtes Lebensgefühl, welches eine Kontinuität in der Entwicklung seiner russischen Heimat widerspiegelt. Es ist die Empfindung einer großen würdevollen Resignation, die in einer überragenden Form bewahrt wird.

Prokofiev, The War Sonatas Onyx Classics, 2013

www.onyxclassics.com

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