© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/13 / 05. Juli 2013

Heißer Tanz um die Taliban
Afghanistan: Während Washington und London Gesprächsbereitschaft signalisieren, gerät Präsident Karzai mehr und mehr ins Abseits
Marc Zöllner

Seit vier Jahren befindet sich Bowe Bergdahl bereits in Geiselhaft. Am 30. Juni 2009 war es, als Aufständische der Taliban den jungen Sergeant von seinem Posten nahe der südostafghanischen Stadt Yahya Khel entführten und ins benachbarte Pakistan verschleppten. Seitdem gilt der mittlerweile 27jährige als Amerikas einziger bekannter „Prisoner of War“, als Kriegsgefangener einer ausländischen Macht. Vier Jahre lang hörten seine Eltern nichts von ihm, bis im Juni das Internationale Rote Kreuz plötzlich einen handgeschriebenen Brief übermittelte.

„Seit dieser Woche fühlen wir uns endlich wieder zuversichtlich“, berichtet seine Mutter Jani freudestrahlend am Rande einer Gedenkveranstaltung in ihrer Heimatstadt Hailey (Idaho).

Daß ihr Sohn nun „Teil des Friedensprozesses“ würde, wie Bowes Vater Bob der Menge unter Tränen erzählt, ist für jeden in Hailey eine erfreuliche Neuigkeit. Tatsächlich ließen die afghanische Taliban nicht nur den Brief des Sergeants an seine Familie übermitteln, sondern ebenso das Angebot, zum ersten Mal seit dem Kriegsbeginn vom September 2001 direkte Gespräche mit den Vereinigten Staaten aufzunehmen. Bowe Bergdahl soll dabei als erstes Faustpfand dienen und gegen fünf in Guantánamo gefangengehaltene Talibanmitglieder ausgetauscht werden.

Angriff auf Karzais Palast als Machtdemonstration

Die Taliban scheinen ihr Angebot ernst zu meinen. Am 18. Juni erst eröffneten sie zum Zwecke der Bildung dauerhafter diplomatischer Kontakte eine offizielle Außenstelle in Doha, der Hauptstadt des Golfemirats Katar. „Wir werden dieses Büro nutzen, um unsere Beziehungen zu sämtlichen Ländern der Welt zu verbessern“, so Mohammad Naeem, der künftige Pressesprecher der Taliban. Nun seien die Taliban wieder „eine politische Kraft auf internationalem Level“.

Ihren neuen Einfluß stellten die Taliban auch sogleich unter Beweis. So firmiert ihre ständige Vertretung in Doha zum Ärger des afghanischen Präsidenten Hamid Karzai unter dem Namen „Islamisches Emirat von Afghanistan“, der offiziellen Bezeichnung des Landes während der Herrschaft der Taliban.

Nur wenige Tage nach der Eröffnung ihres Büros attackierten die Taliban überdies zeitgleich den Präsidentenpalast Karzais in Kabul, das Verteidigungsministerium sowie das Hotel „Ariana“, den Hauptsitz des US-Geheimdienstes Central Intelligence Agency (CIA) in Afghanistan.

„Mit diesem Angriff“, erläutert der ehemalige Parlamentsabgeordnete Moeen Marastial, „wollten die Taliban sowohl der afghanischen Regierung als auch den am Friedensprozeß beteiligten Staaten zeigen, daß sie allein in Afghanistan an der Macht sind. Wann immer sie wollen, können sie kommen und den Präsidentenpalast schließen, den Hauptsitz der Nato und natürlich auch die US-amerikanischen Militärstützpunkte.“

Eine Machtdemonstration, die Früchte trug. Nur wenige Tage nach den verheerenden Angriffen der paschtunischen Miliz in Kabul äußerte Großbritanniens Premierminister David Cameron, was sich vorher niemand zu sagen traute: „Wir wollen Frieden und Stabilität in Afghanistan“, so der Premier auf einer Stippvisite in der afghanischen Hauptstadt. „Wir wollen ebenso, daß die Taliban ins Land zurückkehren. Wir wollen, daß sie wieder Teil der Gesellschaft und der Politik werden und für das Wohl ihres Landes arbeiten.“

Hoffnung darauf, daß sich die „Tauben“ durchsetzen

Ob ein dauerhafter Frieden mit den Taliban jedoch überhaupt möglich ist und wie künftige Friedensgespräche gestaltet gehören, ist jedoch noch vollkommen offen. Zugute kommt der Miliz ihre Abkehr vom islamistischen Netzwerk al-Qaida, dem sie nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in Afghanistan politisches Asyl gewährte. Der offene Bruch mit Osama bin Ladens Terrororganisation war demzufolge auch ausschlaggebend für die USA, überhaupt mit den Taliban in Verhandlungen zu treten. Mit der Öffnung diplomatischer Kanäle „erhoffen manche nun, die Taliban selbst spalten zu können“, analysiert so auch das „International Centre for the Study of Radicalisation“, einer der einflußreichsten außenpolitischen Think Tanks im angloamerikanischen Raum. „Andere bevorzugen, die Entwicklung einer politischen Partei der Taliban zu unterstützen. Und es besteht die Hoffnung, daß sich bei den Taliban die Fraktion der Tauben über jene der Falken durchzusetzen vermag.“

Denn daß es nicht nur in Idaho, sondern auch am Hindukusch den sehnlichen Wunsch nach Frieden gibt, ahnt niemand besser als der Vater des entführten Sergeants Bowe Bergdahl. „Ich wünschte, Bowes Mutter wäre die einzige, die derart leidet“, sagt er in mittlerweile fließendem Paschtu, der Sprache der Entführer seines Sohnes, in die laufenden Kameras. „Doch überall auf der Welt leiden Mütter unter diesem Krieg. Das vergesse ich keinen einzigen Tag.“

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