© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/13 / 05. Juli 2013

Aus Schlägern werden Opfer
Frankreich: Der Tod eines Linksextremisten erscheint plötzlich in einem anderen Licht
Friedrich-Thorsten Müller

Groß war die Aufregung, als Anfang Juni bei einer Auseinandersetzung zwischen Links- und Rechtsextremisten in Paris der Linke Clément Méric tödlich verletzt wurde. Der Vorfall ereignete sich zu einem für die Linke denkbar günstigen Zeitpunkt: Seit Monaten waren die regierenden Sozialisten durch ihr inzwischen umgesetztes Projekt der Homo-Ehe und Homoadoption politisch massiv in die Defensive geraten.

Hunderttausende in Frankreich ganz selbstverständlich als „Rechte“ bezeichnete Bürgerliche demonstrierten auch nach Inkrafttreten des umstrittenen Gesetzes weiter gegen Präsident François Hollande und seine Regierung.

Videoaufnahmen brachten die Realität ans Licht

Die Zufriedenheit der Wähler mit der auch sonst eher glücklosen Regierung erreichte inzwischen Rekord-Tiefstwerte. Da schien ein politischer Mord durch Rechtsextreme eine dankbare Gelegenheit für die Regierung, das Heft des Handelns wieder in die Hand zu bekommen.

Über drei Wochen hinweg war von einem „Skinhead-Angriff“ und gar von „Lynchmord“ an dem 18jährigen die Rede. Sogar Hollande verzichtete auf die bei laufenden Ermittlungen übliche Zurückhaltung, sprach von einer „abscheulichen Tat“ und erklärte der Familie des toten Studenten, der zu einer linksextremen Gruppierung gehörte, seine „Unterstützung und Solidarität“. Der Chef der konservativen Oppositionspartei UMP, Jean-François Copé, sprach von einer „barbarischen Aggression“.

Regierungschef Jean-Marc Ayrault kündigte an, vom Faschismus oder Nationalsozialismus „inspirierte Bewegungen“ zu verbieten. Ganz oben auf der Liste standen dabei die rechtsextreme Nationalistische Revolutionäre Jugend (JNR) sowie die Gruppe Troisième Voie (Dritter Weg), die man mit dem mutmaßlichen Täter Esteban M. in Verbindung brachte.

Beide Organisationen mit jeweils mehreren Dutzend Mitgliedern haben sich aufgrund von sofort eingeleiteten Verbotsverfahren inzwischen selbst aufgelöst, ohne von ihrer Version, daß Esteban M. von dem Getöteten angegriffen worden sei, abgerückt zu sein.

Mehr als pikant ist, daß sich nun mit drei Wochen Verspätung diese Variante des Vorfalls durch unmittelbar nach der Tat sichergestellte Videoaufzeichnungen aus dem öffentlichen Nahverkehr zu erhärten scheint. Der Konflikt hatte zwar auf einem privaten Kleidermarkt mit bei Links- wie Rechtsextremisten beliebten Marken begonnen. Die eigentliche Auseinandersetzung fand aber in der Nähe des Pariser Bahnhofes Saint-Lazare unter den Augen von Überwachungskameras statt.

Wie die ermittelnden Behörden inzwischen einräumen, ist auf dem Videomaterial offensichtlich, daß der Getötete Esteban M. bedroht hat und nicht umgekehrt. Laut dem Sender RTL läuft auf dem Video der Linksextremist Méric auf Esteban M. zu, der mit dem Rücken zu ihm steht, „anscheinend, um ihm einen Schlag zu verpassen“. Daraufhin dreht sich dieser um und schlägt Méric mit der Faust mindestens einmal ins Gesicht. Offenbar stürzte dieser daraufhin unglücklich auf einen Poller.

Inzwischen begann in Frankreichs Politik und Medienlandschaft, die zuvor mehr oder weniger einhellig das Vorgehen der Regierung billigten, ein zaghaftes Nachfragen nach der Angemessenheit und Anständigkeit der staatlichen Reaktion.

Die Vorsitzende des Front National, Marine Le Pen, spricht von einer „völlig unwürdigen“ Reaktion der „Profiteure“ auf den „Unfall“ und forderte ein Vorgehen gegen gewaltbereite Gruppen beider politischen Extreme.

Der Mordverdacht und die Lynch-Hypothes sind in jedem Fall nach jetzigem Stand der Dinge vom Tisch, und die Ermittler sprechen nur noch von einer Schlägerei mit Todesfolge.

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