© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/13 / 05. Juli 2013

„Bargeld ist für Verbrecher und deine Oma“
Trend beim Bezahlen: Münzen und Scheine werden von vier Seiten gleichzeitig angegriffen und könnten bald der Vergangenheit angehören
Ronald Gläser

Laufen wir bald schon ohne Geldbörse herum? Gibt es in wenigen Jahren ein Leben ohne Scheine, ohne Münzen? Nie wieder 50 Cent für die Toilettenfrau zurechtlegen? Kein Trinkgeld mehr für die Kellnerin, kein Extra-Taschengeld für den Junior?

Die Welt ohne Bargeld wäre komisch, aber sie ist nicht mehr weit weg. Ein kleiner Funkchip auf unseren Kontokarten namens Girogo (italienisch „Giro“, englisch „go“) soll uns in diese Zukunft bringen. Die in dem Chip gespeicherten Daten sollen das bargeldlose Zahlen stark vereinfachen und die meisten Bargeldgeschäfte ersetzen.

Schon heute zahlen viele Kunden an der Kasse mit ihrer EC-Karte. Aber die Abrechnung hat einen Haken: Sie ist umständlich. Die Transaktion dauert einige Sekunden, in denen die Identität des Käufers überprüft wird. Der Kunde muß einen Bon unterschreiben oder seinen Pin-Code eingeben. Online fragt der Computer nach, ob das Konto gedeckt ist. Wenn nicht, dann scheitert der Bezahlvorgang, was zu weiteren Verzögerungen führt. Ein Kunde, der mit Bargeld zahlt, ist in der Regel wesentlich schneller fertig.

Bei Girogo soll alles einfacher vonstatten gehen. Ein zusätzlicher kleiner Funkchip speichert Informationen und tritt mit der Kasse in Kontakt, ohne daß die Karte in einen Schlitz gesteckt oder hindurchgezogen werden muß.

Dank Nahfeldkommunikation (englisch abgekürzt NFC) reicht es, die Karten einmalig an eine Kontaktstelle im Abstand von vier Zentimetern zu halten. Und schwups – binnen einer Sekunde ist der Betrag von bis zu zwanzig Euro abgebucht.

Girogo ist nicht die Neuerfindung des Rades. Das Vorgängermodell Geldkarte, bei der der Chip ebenfalls aufgeladen werden konnte, ist kläglich gescheitert. Transaktionen, die damit vorgenommen wurden, machten nur 0,04 Prozent aller Zahlungsvorgänge aus. Die Kunden haben das System nie angenommen.

Aber das könnte sich jetzt ändern. Ein Pilotprojekt in der Region Hannover-Braunschweig-Wolfsburg ist zur vollen Zufriedenheit der Initiatoren verlaufen. Die Sparkassen, Volks- und Raiffeisenbanken haben dort zusammen über 1,3 Millionen Karten mit Girogo ausgegeben und den Handel mit entsprechenden Lesegeräten versorgt. Ketten wie Esso, Hussel, DM, Ditsch, Thalia und Famila haben sich an dem Projekt beteiligt.

„93 Prozent der Kunden sind zufrieden“

Ingo Limburg, der Marketingleiter von Girogo, glaubt an den Durchbruch seines Systems. Die Zahl der teilnehmenden Geschäfte ist während eines Jahres von 68 auf 400 gestiegen. Umfragen hätten ergeben, daß „93 Prozent der Kunden mit dem System zufrieden sind.“ Und zwei Drittel der Noch-nicht-Kunden fänden Girogo interessant. Am häufigsten wurde Girogo in Edeka-Märkten eingesetzt. Angesichts der Tatsache, daß die Deutschen das Barzahlen liebten, so Limburgs Arbeitgeber, die Eurokartensystem GmbH, seien dies „großartige Errungenschaften“.

Inzwischen läuft das Projekt im ganz großen Stil an. Marketingexperten sprechen vom „Rollout“: Bis 2015 sollen 45 Millionen Sparkassenkarten mit dem Funkchip ausgestattet werden. 2013 haben bereits die Mineralölkonzerne Jet und Esso sowie die Kosmetikkette Douglas mit der Ausstattung aller Filialen mit Girogo begonnen. Außerdem könnten, wenn es nach den Projektplanern geht, Smartphones mit einem entsprechenden Chip ausgerüstet werden. Das würde die Bezahlung mit Girogo nochmals vereinfachen.

Der Angriff auf die Bezahlung mit Bargeld läuft auf breiter Front. Er wird von drei Akteuren vorangetrieben: dem Handel, den Banken und von der Politik. Zudem sind es die Kunden, die die Bargeldabschaffung beschleunigen. Sei es aus Bequemlichkeit oder aus mangelnder Sensibilität für das Thema.

 

Die Banken

Girogo wird von der deutschen Kreditwirtschaft vorangetrieben. Die Motivation ist ganz einfach: Schalter mit Kassierer kosten Geld. Sie werden deswegen durch Geldautomaten ersetzt, bei denen seit rund zehn Jahren nicht nur ausgezahlt, sondern auch eingezahlt werden kann. Am besten wäre es aber aus Sicht der Banken, wenn das Geld ganz wegfiele. Filialen würden überflüssig. Beratung könnte ins Internet verlegt werden. Das Einsparpotential ist enorm.

Außerdem würde in einer bargeldlosen Gesellschaft alles Geld auf den Konten liegen und nicht nur das, was Kunden einzuzahlen bereit sind. „Der Kampf gegen das Bargeld ist ein Kampf für die Zivilisation“, sagte 2012 der Chef der Vereinigung der italienischen Banken (ABI), Giovanni Sabatini.

Vereinzelt erhalten die Banken bei ihrem Kreuzzug gegen das Bargeld auch Rückendeckung von Gewerkschaften. In Schweden etwa, wo die Swedbank ihren Bargeldverkehr schrittweise einstellt: „Wo es kein Bargeld gibt, gibt es keine Raubüberfälle. Unsere Angestellten müssen sich sicherer fühlen können. Die Einzigen, die dein Bargeld brauchen, sind Verbrecher und deine Oma“, zitiert der Münchner Merkur einen Vertreter einer schwedischen Bankengewerkschaft.

Schließlich verdienen die Banken bei jeder Transaktion mit. Bei Geschäften, die mit der EC-Karte abgewickelt werden normalerweise 0,3 Prozent. Bei Kreditkarten ein Vielfaches davon – oft mehr als zwei Prozent. Girogo kommt dem Handel entgegen. Pro Transaktion bis zu fünf Euro wird ein Cent fällig. Unter zehn Euro dann zwei Cent und darüber hinaus drei Cent. Weniger als bisher, aber immer noch leichtverdientes Geld.

 

Der Handel

Die niedrigeren Gebühren sind einer der wichtigsten Gründe, warum der Handel diesmal mitzieht und kleine Hinweisschilder wie „Kartenzahlung erst ab zehn Euro möglich“ der Vergangenheit angehören.

Ketten wie Kaiser’s haben ein Interesse daran, es ihren Kunden so einfach wie möglich zu machen. Deswegen arbeiten die Großen der Branche an ihren eigenen Konzepten. Edeka und Netto beispielsweise haben gerade eine iPhone-App herausgebracht, mit der der Kunde in vielen Filialen zahlen kann.

Kein lästiger Besuch mehr vom Geldtransporter, der abends die großen Geldkassetten abholt, keine Überfälle mehr auf das Verkaufspersonal, wenn Zahlungen nur noch elektronisch erfolgen, so die Rechnung in den großen Handelshäusern. Ein weiterer, wichtiger Punkt: Kunden, die mit ihrer Karte bezahlen, geben mehr aus als Kunden, die bar bezahlen. Außerdem wird Druck von der Kasse genommen. Gerade an Bahnhöfen und anderen Orten, an denen eine sehr hohe Kundenfrequenz besteht und nur kleine Zahlungen erfolgen (im Schnitt drei Euro), sind EC-Kartenzahlungen umsatzhemmend. Kunden wenden sich bei langen Schlangen ab und setzen ihren Einkauf andernorts fort. Ein schneller bargeldloser Bezahlvorgang würde hier Abhilfe schaffen.

Es ist damit zu rechnen, daß die Finanzindustrie ihren Druck auf solche Branchen verstärken wird, in denen heute noch fast alles in bar abgerechnet wird: die Gastronomie zum Beispiel. Bei McDonald’s wird fast immer noch alles in Schein und Münze gezahlt.

 

Die Politik

Seit über 2.500 Jahren zahlen Menschen mit Bargeld. Die Erfindung aus Kleinasien und Griechenland war ein großer Schritt für die Menschheit, die bis dahin nur den Tauschhandel kannte. Es ist ein Treppenwitz der Geschichte, daß ausgerechnet in Griechenland heute schon ein Bargeldverbot für Zahlungen von über 1.500 Euro gilt.

Warum? Weil die besonders klammen griechischen Politiker alle Zahlungen ihrer Bürger überprüfen und ihren Regeln unterwerfen wollen. Sie nennen es Kampf gegen Schwarzarbeit und -markt. Für die Griechen sind diese jedoch ein Weg, sich gegen den korrupten und überbordenden Staat zu wehren, der – Euro-Krise hin, Euro-Krise her – noch immer den nationalen „Eliten“ als Selbstbedienungsladen dient.

Dieser Angriff der Politik auf Barzahlungen läuft in ganz Europa. In Spanien liegt die Höchtsgrenze bei 2.500, in Italien bei 1.000 Euro. Er wird in allen Ländern mit den gleichen Argumenten begründet: Geldwäsche, Finanzierung des Terrorismus und Steuerbetrug. Mit dieser Dreifaltigkeit an Vorwürfen soll das Bargeld in eine zweifelhafte, rechtsfertigungsbedürftige Ecke gestellt und damit verunglimpft werden. In Italien ist die Situation seit Jahren grotesk: Selbst Kleinsttransaktionen (2,50 Euro für einen Cappuccino in einer Bar) müssen vom Kunden hinterher bewiesen werden können. Wird er im Umkreis von mehreren Metern ohne Quittung angetroffen, machen er und der Barista sich strafbar.

In Deutschland gilt Wolfgang Schäuble als einer der führenden Gegner des Bargeldes. Sein Finanzministerium bezeichnete Bargeld 2012 als „intransparente Zahlungsmethode“, die es besser zu kontrollieren gelte. Schäuble kennt sich damit aus, hatte er doch einmal eine 100.000-Mark-Parteispende persönlich entgegengenommen.

In diesen Zusammenhang gehört die Forderung nach einem Grundrecht auf ein Girokonto. Dieses bislang noch nicht mehrheitsfähige Anliegen vorwiegend sozialdemokratischer Politiker und der Europäischen Union, die auch die Ein- und Zwei-Cent-Münzen abschaffen will, verfolgt natürlich auch den Zweck, sämtliche Transaktionen elektronisch abwickelbar und damit nachvollziehbar zu machen. Dem Recht auf ein Girokonto wird schnell die Pflicht zum Führen eines Girokontos folgen. 30 Millionen EU-Bürger ohne Girokonto soll es noch geben.

 

Die Kunden

Letztlich würden alle bargeldlosen Zahlungsmodelle erfolglos bleiben, wenn niemand mitmachte. Aber Zahlen mit der Karte, mit dem Funkchip ist bequem. Nie mehr an den Automaten rennen und dort hinter einem finsteren Typen warten müssen. Nie mehr Kleingeld in den Taschen herumtragen, das die Waschmaschine verstopfen und die Kontrolle am Flughafen unnötig hinauszögern kann. Nie mehr die Angst, etwas verlieren zu können, weil die Geldbörse ja schnell weg ist.

Halt: Natürlich ist auch die Plastikkarte schnell weg, und mit ihr das Geld. Denn die Information auf dem Chip kann auch von Fremden ausgelesen werden, weshalb im Internet hilflose bis aberwitzige Tips kursieren, wie Kunden den Funkchip am besten zerstören oder die Karte in eine Aluhülle einwickeln.

Die Frage angesichts der steigenden Beliebtheit bargeldloser Transaktionen wird am Ende sein, ob zehn oder zwanzig Prozent hartnäckige Bargeldzahler ausreichen, um das Bargeld als gleichberechtigtes Zahlungsmittel zu erhalten.

Trotz aller Erfolge mußten auch die Girogo-Befürworter feststellen, daß von allen ausgegebenen Karten nur zehn Prozent überhaupt aktiviert worden sind. Das heißt: Allein in der Pilotregion Braunschweig-Hannover-Wolfsburg gibt es mehr als eine Million Bargeldlos-Verweigerer.

Doch die Bargeldgegner arbeiten schon jetzt mit allen Mitteln, um die öffentliche Meinung gegen Scheine und Münzen in Stellung zu bringen. So wurde im März eine Studie der Steinbeis-Stiftung lanciert, die die angeblichen Kosten von Bargeld thematisierte. Die Zahlen, die in der Expertise genannt werden, klingen absurd hoch. Zehn Milliarden koste die Deutschen das viele Bargeld – unter anderem für das Personal, das das Geld transportiert oder zählt, und für entgangene Zinsgewinne. Ein anderes Gutachten verbreitete die Kunde, Bargeld mache krank wegen der vielen Bakterien, die sich darauf sammelten.

Unser Alltag wird immer weniger anonym

Kritik an der Bargeldabschaffung wird bislang nur verhalten geäußert. Zwar toben Nutzer in Internetforen über die schleichende Bargeldabschaffung, aber ein großes Thema, das wie der Prism-Skandal in den meinungsbildenden Medien debattiert wird, ist der Kampf gegen das Bargeld nicht. Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung (AK Vorrat) warnt davor, daß die steigende Zahl von Funkchips (JF 13/12) wie bei Girogo „auf kurz oder lang dazu führen, daß umfangreiche Bewegungsprofile und Verhaltensmustererfassungen der Bevölkerung angelegt beziehungsweise ermittelt werden können“.

Ferner führe das Girogo-Projekt dazu, daß „anonymes Handeln (in diesem Fall: Zahlen) immer unüblicher wird. Mehr und mehr unseres alltäglichen Lebens und Verhaltens wird der Unsichtbarkeit, der Anonymität entzogen, wir werden immer gläserner.“

Zuvor hatte der Datenschutzbeauftragte der Bundesregierung, Peter Schaar, im September 2011 einmal an die Bundestagsabgeordneten appelliert, als diese das anonyme elektronische Bezahlen per Geldwäschegesetz verbieten wollten. Es gehöre zur verfassungsrechtlichen Identität Deutschlands, daß das, was die Bürger machen, nicht total erfaßt und registriert werden dürfe, so Schaar.

„Es ist kein Raum für weitere anlaßlose Speicherungen, die auf eine möglichst flächendeckende vorsorgliche Speicherung aller für die Strafverfolgung oder Gefahrenprävention nützlichen Daten zielt“, äußerte Schaar im September 2011. Sein Einwand blieb ungehört. Das Gesetz wurde beschlossen und trat 2012 in Kraft.

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