© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/13 / 28. Juni 2013

Haltungsnote
Mehr Ehrlichkeit wagen
Thorsten Brückner

Mit Ehrlichkeit wollte Angela Merkel im Vorfeld der Bundestagswahl 2005 die Wähler überzeugen und kündigte im Unionswahlprogramm unter anderem eine Erhöhung der Mehrwertsteuer an – mit den bekannten Resultaten. Seither hat man sich bei der CDU wieder auf wahltaktischen Pragmatismus besonnen.

Mehr Ehrlichkeit will nun offenbar wieder der Wirtschaftsflügel der Union wagen. Kurt Lauk, Präsident des Wirtschaftsrates der CDU, plauderte auf der Jahrespressekonferenz seiner Organisation vor rund 40 Journalisten ganz locker über die Wahlversprechen seiner Partei. „Koalitionsvereinbarungen sehen anders aus als Wahlprogramme“, dämpfte er zunächst Erwartungen der Reporter, die ihm Kritik am Programm der Union entlocken wollten. Nur wenig später diktierte der redselige Schwabe den sichtlich verdutzten Journalisten dann Sätze in den Block, die Merkel im Wahlkampf noch einholen könnten. Die Wahlversprechen der Union müsse man trotz seiner vorherigen Bemerkungen sehr ernst nehmen, erwiderte er auf Nachfrage. „Wir wollen ja Wähler gewinnen.“ Solange Wahlversprechungen unter Finanzierungsvorbehalt stehen, ist für den ehemaligen Europaabgeordneten also alles in Butter. Mütterrenten, Erhöhung von Familienleistungen, Investitionen in den Straßenbau – für Lauk alles bloße Phrasendrescherei, um das Stimmvieh einzufangen, das „ohnehin keine Wahlprogramme liest und seine Wahlentscheidung am Wahltag nach dem Frühstück trifft“.

Der Beobachter bleibt mit der Frage zurück: Steht Lauk für eine neue Ehrlichkeit in der Politik, oder handelt es sich bei seinen Äußerungen um Giftpfeile in Richtung Bundeskanzlerin? Seit der Energiewende, die der Wirtschafsrat als Investitionshemmnis sieht, ist das Tischtuch zwischen beiden zerschnitten. Weltkriegs: Das körperliche und das geistige Augenpaar

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