© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/13 / 28. Juni 2013

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„Der Postillon“: Die politisch nicht ganz so korrekte Internet-Zeitung erfreut sich zunehmender Beliebtheit
Ronald Berthold

Hätten Sie es gewußt? „Wiesbaden (dpo) – Schlaflosigkeit in der Schule ist nach wie vor eines der häufigsten chronischen Schülerleiden. Zu diesem Ergebnis kamen Wissenschaftler des Ferris-Bueller-Instituts für Optimierte Schulleistung in einer großangelegten Studie.“ Auf den ersten Blick klingt die ausgedachte Meldung angesichts der Probleme des deutschen Schulsystems fast plausibel.

Die Online-Satire-Zeitung „Der Postillon“ versteht es, gekonnt aktuelle Nachrichten ironisch aufzuspießen und dabei an manchen Stellen auch an der politischen Korrektheit zu kratzen. So heißt es etwa zum Staatsbesuch des US-Präsidenten in der vergangenen Woche: „Der amerikanische Präsident Barack Obama besuchte am Mittwoch die deutsche Hauptstadt Berlin. Entgegen anderslautender Medienberichte und Liveticker kam es dabei zu keinen besonderen Vorkommnissen.“ Auch zur Posse um den Bau des Berliner Flughafens BER meldete sich der „Postillon“ spitzfindig zu Wort und riet dazu, das Bauprojekt einfach „zu sprengen“. Die Begründung klingt fast einleuchtend: Die Trümmer würden „allein aus purem Zufall“ korrekter „aufeinanderliegen als zum jetzigen Zeitpunkt.“

Das trifft offenbar den Humor der Netzgemeinde. Fast 140.000 Facebook-Freunde hat der Satire-Blog mittlerweile. Zum Vergleich: Die Frankfurter Allgemeine Zeitung kommt auf etwa 85.000. Mit ungefährt einer Million Seitenaufrufe im Monat ist der Postillon das erfolgreichste Blog Deutschlands. Es ist „ohne Bestechung“, wie Macher Stefan Sichermann betont, mit einem Grimme-Online-Award in der Kategorie „Information“ ausgezeichnet worden . Die Leser haben ihren Spaß, auch wenn „Postillon“ wöchentlich nur eine Handvoll Texte veröffentlicht. Die haben es dafür nicht selten in sich.

Zum Gerangel um die Journalistenplätze beim NSU-Prozeß titelte Sichermann: „Beate Zschäpe bietet türkischer Zeitung ihren Sitzplatz an“. Das Wort „Türklinke“ benutzte der „Postillon“ als Einleitung, um in seinem „Newsticker“ zu berichten „Anatolische Sozialisten finden Eingang ins Parteiensystem“. Der Satiriker zeigt, was ein fehlender Bindestrich so alles ausmachen kann.

In die Nesseln hat er sich damit bisher noch nicht gesetzt. Sichermann sichert  sich politisch ab. Besonders geeignet, um nicht in den Verdacht einer zweifelhaften Gesinnung zu kommen, das weiß der frühere Werbetexter, ist die Attacke gegen Rechts.

Keine Partei ist vor dem  beißenden Spott sicher

Dafür benutzt er dann lieber statt des sonst üblichen Floretts den Säbel. Die zahlreichen konservativen Leserzuschriften unter den Artikeln von Welt online nerven ihn. In solchen Momenten wird es derb: Die Kommentarfunktion beim Internet-Auftritt der Tageszeitung sei „in Wirklichkeit ein Trick, um arrogante rechte Arschlöcher vom restlichen Internet wegzulocken“. Betrieben werde Welt online „von professionellen Provokateuren, die von allen deutschen Verlagen finanziert werden“. Diese verfaßten aggressive Texte unter Pseudonymen wie „Ulf Poschardt“ oder „Dorothea Siems“, die sich in der Regel gegen „Multikulti“, „Homoehe“ und den „linksgrünen Sozialismus“ wendeten. Diese Namen hat Sichermann nicht erfunden. Die Genannten sind Journalisten beim Springer-Blatt und bürsten manches Thema gegen den Strich. Dafür erhalten sie viel Zuspruch ihrer Leser.

Solche Entgleisungen sind nicht die Regel. Angehörige aller politischen Richtungen kommen auf ihre Kosten. Und auch die Anhänger der Alternative für Deutschland dürften geschmunzelt haben, als Sichermann sie aufs Korn nahm. „Sie sind angetreten, um den Euro abzuschaffen, doch meinen sie es wirklich ernst?“ fragte er, um gleich mit der verblüffenden Aussage hinterherzukommen: Parteispenden nehme die AfD „ausgerechnet in der ach so verhaßten Währung Euro an“.

Sichermann witzelt: „Will die Partei den Euro etwa nur madig machen, damit wir uns leichter von ihm trennen?“ Ein weiterer Satz in dieser Meldung trifft eher deren Kritiker als die AfD: „Politik- und Wirtschaftsexperten halten die Glaubwürdigkeit der Euro-Skeptiker angesichts dieser Enthüllungen für schwer angeschlagen.“ Der Satire-Blog spielt inzwischen so viel Geld ein, daß aus dem ehemals  arbeitslosen Stefan Sichermann ein erfolgreicher Unternehmer wurde.

Von der Arbeitsagentur hatte er 2008 einen Gründungszuschuß beantragt, um seine Selbständigkeit zu fördern. Das Konzept überzeugte die Beamten, und die Investition lohnte sich. Der 32jährige liegt dem Staat seitdem nicht mehr auf der Tasche.   www.der-postillon.de

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