© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/13 / 21. Juni 2013

Napoleon schleuderte den Hut auf den Boden
Eine Wutrede des Korsen mit Österreichs Staatskanzler Metternich beendete das seit 1809 bestehende Bündnis
Mario Kandil

Am 26. Juni jährt sich zum zweihundertstenmal das welthistorisch zu nennende Gespräch zwischen Frankreichs Kaiser Napoleon I. und Österreichs Staatskanzler Clemens Wenzel von Metternich im Palais Marcolini in Dresden. Die zu einem verbalen Duell ausartende Unterredung hatte zur Folge, daß die Habsburgermonarchie am Ende der antifranzösischen Koalition beitrat, womit Napoleons Sturz so gut wie besiegelt war.

Österreich hatte bereits 1809 – einige Jahre vor den Befreiungskriegen – gegen das napoleonische Frankreich die Waffen ergriffen, war jedoch gescheitert. Nach dem Frieden von Schönbrunn (14. Oktober 1809) verfolgte Metternich als neuer österreichischer Staatskanzler eine Politik des Ausgleichs gegenüber dem unbesiegbar erscheinenden Napoleon. Da dieser Aufnahme im Kreis der erlauchten Häupter Europas finden wollte, entsproß dieser Politik 1810 die Heirat des Korsen mit Marie Louise, der Tochter von Österreichs Kaiser Franz I. – und dieser Ehe 1811 der von Napoleon so sehr erhoffte Thronfolger, der „König von Rom“.

Damit nicht genug, stellte die Donaumonarchie 1812 zu Napoleons „Grande Armée“ für den Rußlandfeldzug ein 30.000 Mann umfassendes Hilfskorps. Doch nach dem Untergang von Napoleons Vielvölkerheer in den Weiten Rußlands hielt sich Österreich einerseits aus den Kampfhandlungen, die 1813 wieder begannen, heraus, doch andererseits wollten Kaiser Franz und Metternich auch nicht den Bündnisvertrag mit Frankreich brechen. So gelangte man über den Frühjahrsfeldzug von 1813 und den Waffenstillstand vom Juni 1813 zu der Zusammenkunft zwischen Napoleon und Metternich.

Für die mehr als acht Stunden dauernde Redeschlacht existieren keine Ohrenzeugen, so daß die Kenntnisse davon auf späteren Notizen der beiden Kontrahenten oder auf denen Dritter basieren. Der Imperator versuchte zunächst, Metternich einzuschüchtern, und nannte seine Heirat mit Marie Louise „eine große Dummheit“. Als Metternich einen Frieden nur dann für möglich erklärte, wenn Frankreich einen großen Teil seiner Eroberungen aufgebe, konnte Napoleon nicht mehr an sich halten: „Nun gut, was will man denn von mir? (…) Daß ich mich entehre? Nimmermehr! (…) Eure Herrscher, geboren auf dem Throne, können sich zwanzigmal schlagen lassen und doch immer wieder in ihre Residenzen zurückkehren, das kann ich nicht, ich, der Sohn des Glücks! Meine Herrschaft überdauert den Tag nicht, an dem ich aufgehört habe, stark und folglich gefürchtet zu sein.“

Einen neuen Zornesausbruch bekam der Kaiser, als der Staatskanzler darauf hinwies, daß die frischrekrutierten Soldaten Napoleons oft noch Kinder seien: „Sie sind nicht Soldat (…). Ich bin im Felde aufgewachsen, und ein Mann wie ich schert sich wenig um das Leben einer Million Menschen.“ Den Hut, den der Korse daraufhin zu Boden warf, hob der Österreicher nicht auf, sondern erwiderte in für ihn typischer Selbstbeherrschung: „Öffnen wir die Türen, und mögen Ihre Worte von einem Ende Frankreichs bis zum andern ertönen. Nicht die Sache, die ich vor Ihnen vertrete, wird dabei verlieren.“ Napoleon mußte erkennen, daß seine Auffassung, die Österreicher seien seine Verbündeten, ein Irrtum war. Metternich hatte die Maske fallen lassen.

In der Retrospektive vertrat Napoleon den Standpunkt, es hätte im Lebensinteresse Österreichs und „aller wahren Deutschen“ gelegen, ihn mit diplomatischen wie militärischen Mitteln im Sattel zu halten. Er habe bei Österreichern wie Deutschen die Erkenntnis vorausgesetzt, daß seine politische Existenz für Europas Ruhe, Sicherheit und Gleichgewicht unabdingbar sei. Dennoch hätten sie, seine „natürlichen Verbündeten“, ihn im Stich gelassen und zu Fall gebracht.

Kurz vor Metternichs Abreise akzeptierte Napoleon die bewaffnete Vermittlung Österreichs sowie den Kongreß, der in Prag über einen allgemeinen Frieden verhandeln sollte. Dafür verlängerte man den Anfang Juni geschlossenen Waffenstillstand von Pläswitz bis zum 10. August 1813. Es war besonders perfide, daß Metternich erst dann, als die Rüstungen der Koalition weit genug gediehen waren und Österreich in diplomatischer Hinsicht frei geworden war, Napoleon ein Ultimatum mit für ihn völlig unannehmbaren Bedingungen (unter anderem der Auflösung des Rheinbunds) stellte.

Der Kaiser ließ die Frist ohne Antwort verstreichen, und die Folge war, daß sein Schwiegervater Franz I. als Kaiser von Österreich ihm am 11. August 1813 den Krieg erklärte. Damit war geschehen, was der Franzosenkaiser immer für unmöglich erachtet hatte: Seine Feinde hatten ihre so unterschiedlichen Interessen unter einen Hut gebracht. So sah sich Napoleon der umfassendsten Koalition gegenüber, die jemals gegen Frankreich existiert hatte, und dieser sollte er letztlich erliegen. Die Völkerschlacht bei Leipzig (16. bis 19. Oktober 1813) brachte den Anfang vom Ende der napoleonischen Herrschaft in Europa.

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