© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/13 / 21. Juni 2013

Ungleicher Kampf mit Pfeil und Bogen
Indonesien: In ihrem Widerstand gegen die Zerstörung der Heimat und Kultur stehen die Ureinwohner West-Papuas auf verlorenem Posten
Marc Zollner

Als die Amungme, die Ureinwohner West-Papuas, erschaffen wurden, so erzählen sich noch heute ihre Ältesten nachts an den Lagerfeuern der kleinen Siedlungen mitten im Dschungel West-Papuas, herrschte im Land eine große Hungersnot. Damals, vor 60.000 Jahren, seien sie nur zwei Knaben und zwei Mädchen gewesen. Vaterlos, wie viele andere Naturvölker neben ihnen. Um die spärlichen Reste der Nahrung unter ihren Kindern aufteilen zu können, suchte Mutter Amungme eines Abends den Freitod. Doch als die Kinder am nächsten Morgen aufwachten, erhob sich, wo einst der Kopf ihrer Mutter lag, ein gewaltiger, Speisen, Wasser und Schatten spendender Hügel: der Grasberg.

Sechzig Jahrtausende zogen seitdem ins Land, doch noch heute ist dieser Berg den Amungme heilig. Auch sie selbst pflegen noch immer ein karges, stolzes Leben in der Tradition ihrer Vorfahren.

Spärlich bekleidet, fischen sie zu Füßen ihrer Ahnenmutter mit Stöcken am Fluß, jagen die von ihnen verehrten heiligen Wildschweine in den Urwäldern und schmücken sich farbenprächtig mit dem Blut und den Stoßzähnen ihrer Beute. Als die neugegründete Republik Indonesien im Sommer 1963 West-Papua von der einstigen Kolonialmacht, den Niederlanden übernahm, änderte sich ihr Schicksal jedoch dramatisch.

„Seit 50 Jahren kämpfen wir Papuaner nun schon gegen die tiefverwurzelte Brutalität der indonesischen Sicherheitskräfte“, erzählt der indigene Menschenrechtler Ronny Kareni. „Wir riskieren selbst unsere Leben hierbei an den Frontlinien in West-Papua und im Ausland.“

Die Ureinwohner wehren sich beharrlich und üben sich im Guerillakrieg nicht nur gegen das indonesische Militär, sondern auch gegen Großprojekte wie die Grasberg-Mine, die größte Goldmine der Welt auf der Halbinsel. Fast täglich kommt es am Rande des Minengeländes zu Anschlägen und Schußwechseln. Das Militär reagiert brachial, läßt bei seinen Konteraktionen neben Rebellen auch Zivilisten und Dorfoberhäupter hinrichten.

Es herrscht ein ungleicher Krieg, der sich im Dschungel West-Papuas abspielt. Die Widerständler unter den Ureinwohnern, welche sich gegen die Zerstörung ihrer Heimat und ihre Entrechtung durch den Staat Indonesien zur Wehr setzen, sind oftmals nur mit Speer, Pfeil und Bogen bewaffnet. Ihre Gegner jedoch besitzen Elitesoldaten und Scharfschützen, Helikopter, Flammenwerfer – und bald auch 104 „Leopard 2“-Kampfpanzer.

Bereits 1936 entdeckte der damals 28jährige holländische Geologe Jean-Jacques Dozy auf seiner Expedition zur Carstensz-Pyramide, dem höchsten Berg Ozeaniens, die bis dahin vor der Welt verborgenen gewaltigen Kupfer- und Goldvorkommen West-Papuas. Doch nur durch Zufall, denn eigentlich war er auf der Suche nach neuen Ölquellen. Den Reichtum an Ressourcen, welcher inmitten des unwegsamen Dschungels unter dem Grasberg ruhte, bezeichnete er in seinen später veröffentlichten Reiseberichten von daher treffend als unerreichbaren „Berg von Gold auf dem Mond“.

Vierzig Jahre sollte es dauern, bis die Technologie ausgereift war, um das Gold zu bergen. Unzählige aus den indonesischen Kerninseln eingeflogene Arbeiter wurden mit Helikoptern im Regenwald abgesetzt. Sie schlugen Lichtungen, montierten Fahrzeuge und Maschinen und errichteten Trabantenstädte für mehrere zehntausend Bergwerker. Schon zwei Jahrzehnte später wuchs die neue Grasberg-Mine unter der Leitung des US-amerikanischen Freeport-McMoRan-Konsortiums zur größten Goldmine der Welt an.

Für die 13.000 verbliebenen Amungme entwickelte sich der Reichtum ihrer Muttererde jedoch zum Ressourcenfluch. Wo einst ihr heiliger Berg stand, klafft nun nur noch ein riesiges Loch.

Um den Konflikt zwischen Ureinwohnern und Staat zu verstehen, lohnt auch ein Blick über den Inselrand hinaus. Für Indonesien ist West-Papua von besonderer ökonomischer, aber auch von geostrategischer und vor allem ideologischer Bedeutung.

Als Indonesien nach einem blutigen dreijährigen Guerillakrieg gegen die Niederländer von diesen im Dezember 1949 seine Unabhängigkeit erreichte, erhofften sich die damaligen Führer des nationalistischen Flügels der Separatisten, der spätere Präsident Achmed Sukarno sowie sein Vize Mohammad Hatta, das gesamte, über 17.000 Inseln umfassende Kolonialreich unter sich vereinen zu können.

„Von Sabang bis Merauke“ lautete die Losung von Sukarnos Partai Nasional Indonesia (PNI) – von der westlichsten Stadt der im Westen des Landes gelegenen Provinz Aceh bis zur südöstlichsten Stadt des zu dieser Zeit noch immer niederländisch verwalteten West-Papua.

Bis 1963 sollte West-Papua jedoch noch unter niederländischer Verwaltung bleiben. Erst als aus dem Konflikt zwischen der einstigen Kolonialmacht und Indonesien ein offener Krieg zu werden drohte – Indonesien hatte im Rahmen seiner Militäroperation „Trikora“ Truppen auf der Insel landen lassen –, drängten die USA Amsterdam auf eine Übergabe der Provinz an Jakarta. Das Versprechen der Niederländer, die Völker West-Papuas ab 1970 in ihre Unabhängigkeit zu entlassen, konnte nicht mehr eingehalten werden.

Die Losung „Von Sabang bis Merauke“ ist bis heute integraler Bestandteil indonesischer Innenpolitik. Vor allem ethnische Gründe sind hier ausschlaggebend. Von den über 240 Millionen Bürgern Indonesiens, dem bevölkerungsreichsten moslemischen Staat der Erde, sind lediglich rund 40 Prozent gebürtige Javaner, das Volk der Insel Java.

Der große Rest des Landes teilt sich auf in über 350 Ethnien und Stämme, die sich fast alle in Sprache und Kultur unterscheiden. Um den Einfluß der Javaner auch in anderen Provinzen zu vergrößern, betrieb der aus Java stammende Präsident Haji Mohamed Suharto ab 1969 eine Politik der großflächigen Umsiedlung („Transmigrasi“). Seitdem wurden über sieben Millionen Javaner gezielt auf anderen Inseln und Archipelen angesiedelt, woraus sich nicht selten auch kulturelle sowie religiöse Langzeitkonflikte entwickelten, beispielsweise in Aceh oder auf den Molukken.

West-Papua traf diese Migrationspolitik besonders hart: Von den drei Millionen Einwohnern des Eilands sind knapp nur noch die Hälfte melanesischer Abstammung. Der Rest setzt sich aus Einwanderern der zentralen Inseln zusammen.

Die Abspaltung Osttimors im Mai 2002 empfanden viele Indonesier bereits als territoriale Demütigung. Auf West-Papua zu verzichten würde aus Sicht Jakartas jedoch den Zusammenbruch des gesamten Staates nach sich ziehen. Nicht nur, daß die in Sukarnos Losung glorifizierte Stadt Merauke Teil der melanesischen Halbinsel ist, auch in der die Stadt Sabang umfassenden Provinz Aceh sind mehrere separatistische Gruppierungen aktiv, die teils mit militanter Gewalt gegen die Staatsmacht vorgehen. Sollten sich Aceh oder West-Papua formell vom Inselreich lösen können, bedeutete dies weiterhin einen Motivationsschub für die bestehenden Unabhängigkeitsbewegungen auf Borneo, im westlichen Riau sowie auf den Molukken. Allesamt Provinzen, welche unter der kulturellen Dominanz der Javaner sowie ihrer Transmigrasi-Politik zu leiden haben.

Auf West-Papua geht Jakarta von daher mit besonderer Härte gegen mutmaßliche Separatisten vor. Anders als im Rest der Präsidialrepublik gelten hier auch drakonische Strafen. Geschätzte fünfhunderttausend Opfer soll dieser Konflikt seit der Annexion der Halbinsel durch Indonesien bereits gekostet haben. Genaue Zahlen sind jedoch nicht zu verifizieren. Seit über zehn Jahren ist es Journalisten und Menschenrechtlern offiziell verboten, West-Papua zu betreten. Die wenigen Nachrichten, die die Öffentlichkeit dank couragierter Berichterstatter erreichen, zeigen jedoch allein schon ein Bild des Grauens.

„Ich wurde in diesen Konflikt geboren, ich gehöre bereits der dritten Generation an, die unter ihm zu leiden hat“, erklärt Ronny Kareni. Was sich der im australischen Exil lebende Aktivist wünscht, ist insbesondere das beherzte Eingreifen der internationalen Gemeinschaft. Doch diese stellt sich, abgesehen von wenigen benachbarten Inselstaaten wie Vanuatu, Fidschi und den Solomonen, zur Freude Indonesiens bislang taub.

Daß Jakarta trotz seiner militärischen Übermacht papuanischen Ureinwohnern entgegenkommen wird, ist überdies aus drei weiteren Gründen unwahrscheinlich: Denn nicht nur ist die Grasberg-Mine die größte Goldmine der Welt. In ihrer Umgebung hat man kürzlich erst neue gewaltige Kupfervorkommen entdeckt, welche ab 2024 erschlossen werden sollen. Und der Betreiber sämtlicher dieser Minen, Freeport-McMoRan, ist mit einem Jahreserlös von 18 Milliarden Dollar mittlerweile der größte Steuerzahler Indonesiens.

Fotos: Protest für die Unabhängigkeit West-Papuas in Indonesiens Hauptstadt Jakarta: Seit 50 Jahren streiten die Ureinwohner für ihre Rechte; Grasberg-Gold- und Kupfermine in West-Papua: Zerstörtes Heiligtum der Ureinwohner

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