© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/13 / 21. Juni 2013

„Das fördert eher den Terrorismus“
Interview: Der renommierte Datenschützer Thilo Weichert zeigt sich erschüttert vom Ausmaß des Überwachungsskandals
Christian Vollradt

Herr Dr. Weichert, hat Sie das Ausmaß der jüngst bekanntgewordenen Telekommunikationsüberwachung durch den amerikanischen Nachrichtendienst NSA überrascht?

Weichert: Die gesetzlichen Regelungen, auf die sich die US-Regierung stützt, sind uns seit Jahren bestens bekannt und verursachen bei uns Horrorvisionen über das, was damit möglich ist. Inzwischen wissen wir, daß diese Visionen seit Jahren Realität sind. Von Überraschung kann ich nicht sprechen, da ich die Haltung der Obama-Administration zum Datenschutz und die Wünsche der US-Sicherheitsbehörden, etwa im Kontext von „Swift“ oder „Passenger Name Record“, seit Jahren erlebe. Schockiert bin ich dennoch über die Überwachungsrealitäten. Froh bin ich natürlich über jede Aktion zu mehr Transparenz.

Laut NSA-Chef Keith Alexander habe die Datenspionage geholfen, „Dutzende“ Terrorattacken zu verhindern. Rechtfertigt dies das Vorgehen der Amerikaner?

Weichert: Diese Nachweise würde ich gerne genauer analysieren. Aber selbst wenn einzelne Terrorattacken verhindert worden sein sollten, so heißt das nicht, daß dies nicht auch mit verhältnismäßigen Kontrollmaßnahmen möglich gewesen wäre. Aus dem Blick gerät, daß die von den USA praktizierte Form der Überwachung Ausgrenzung und Aggression bei vielen Menschen schürt. Und dies sind wichtige Hintergründe für Terroranschläge. Ich behaupte, die praktizierte Überwachung fördert eher den Terrorimus, als daß damit ein Eindämmen möglich wäre.

Halten Sie die Aussage der Bundesregierung, deutsche Dienste seien an der Spionage der Amerikaner nicht beteiligt gewesen, für plausibel?

Weichert: Nein. In der Vergangenheit haben deutsche Dienste immer wieder Informationen von US-Behörden erhalten, bei denen – wenn etwas darüber nachgedacht worden ist – deren Ursprung erkennbar gewesen sein muß. Wie weit die aktive Kooperation geht, ist mir bisher nicht bekannt; es ist aber klar, daß es sie gibt. Ich hoffe insofern auf weitere Offenlegungen.

Mancher Internetnutzer wird sagen: Ich habe nichts zu verbergen, sollen sie meine Daten doch sammeln. Was würden Sie dem aus Sicht des Datenschützers entgegnen?

Weichert: Wer nichts dagegen hat, daß US-Sicherheitsbehörden in den eigenen Internet- oder E-Mail-Verkehr reinschauen, der soll getrost weiter US-Dienstleister nutzen. Das ist eine – besondere – Form der „informationellen Selbstbestimmung“. Aber niemand kann wissen, was mit den Daten tatsächlich gemacht wird. Und zu verbergen hat garantiert jede und jeder etwas.

Läßt sich Ihrer Meinung nach das legitime Sicherheitsbedürfnis eines Staates mit einem rigiden Datenschutz in Einklang bringen?

Weichert: Es geht nicht um rigiden Datenschutz. Es geht um vernünftige Sicherheitsmaßnahmen und vernünftigen Datenschutz. Wie der Ausgleich zwischen diesen Interessen aussehen kann und muß, hat das deutsche Bundesverfassungsgericht in vielen Entscheidungen ausgeführt. Es kommt nicht von ungefähr, daß Deutschland im Vergleich zu den USA nicht nur den besseren Datenschutz, sondern auch die geringere Kriminalität vorweisen kann. Das hat beides etwas miteinander zu tun.

 

Dr. Thilo Weichert ist seit 2004 Landesbeauftragter für den Datenschutz Schleswig-Holstein und damit Leiter des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz in Kiel (ULD).

www.datenschutzzentrum.de

 

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