© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/13 / 21. Juni 2013

Mit Tränen gegen die Flut
Bundestagswahl: Hundert Tage vor dem Urnengang ist das Rennen nur vordergründig schon entschieden
Paul Rosen

Kanzlerin Angela Merkel schwebt über den Parteien. Diesen Eindruck hat jedenfalls Roland Schatz, der Chef des Schweizer „Media Tenor“, der regelmäßig deutsche Medien auswertet. Sein Fazit zum politischen Jahr, das in weniger als 100 Tagen mit der Bundestagswahl seinem Höhepunkt zutreibt: „Mit ihrer Präsenz beherrscht die Kanzlerin die Arena, in den Hochwassergebieten festigt sie ihren Ruf als Krisenmanagerin, den sie weltweit hat und weiter ausbauen wird.“ Das Rennen scheint gelaufen, der SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück ohne Chance zu sein.

„Doch in den Umfragen spiegelt sich eine solche Dominanz nicht wider. Da hat die Kanzlerin keine eigene Mehrheit“, erkannte die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Die Unionsparteien liegen in allen Umfragen derzeit bei rund 40 Prozent, die SPD unter 30, die Grünen bei 15, Die Linke über und die FDP unter fünf Prozent. Piraten und „Alternative für Deutschland“ (AfD) werden noch kleiner gesehen. Auffallend beim neuen „Deutschland-Trend“ war in der Tat die thematische Dominanz der Union: Da trauten 45 Prozent der CDU/CSU zu, die Euro- und Schuldenkrise in den Griff zu bekommen, der SPD 14 Prozent.

Die CDU hat in der jüngsten Zeit alles versucht, um der Opposition thematisch das Wasser abzugraben: Bezahlbarer Wohnraum, mehr Kindergeld und höhere Freibeträge sind nur einige der jüngst wieder der Opposition abgenommenen Themen. Bisher waren die Versuche, besonders die SPD in die Demobilisierung zu treiben, durchaus erfolgreich.

Parallel dazu zerlegen sich die Genossen selbst, weil der Wahlkampf nicht läuft, wie er laufen soll. Er erwarte, daß sich „alle – auch der Parteivorsitzende – in den nächsten 100 Tagen konstruktiv und loyal hinter den Spitzenkandidaten und die Kampagne stellen“, sagte Steinbrück in einem Spiegel-Interview. Tatsächlich hatte man nicht nur beim Tempolimit-Streit der SPD den Eindruck, daß Parteichef Sigmar Gabriel und Steinbrück ganz unterschiedliche Interessen haben und daß sich der Kandidat auf die Unterstützung von Gabriels Parteiapparat nicht immer verlassen kann. Andererseits ließ auch Steinbrück selbst keinen Fettnapf aus, den er vorfand. Längst häufen sich die Berichte, in denen von einer „Erosion der Troika“ (Handelsblatt) aus Steinbrück, Gabriel und dem Fraktionsvorsitzenden Frank-Walter Steinmeier die Rede ist. Hinter den Kulissen geht es offenbar nur noch darum, wem am Wahlabend die Schuld für das sicher erscheinende Debakel zugeschoben werden kann.

Auf dem Berliner Parteikonvent am vergangenen Sonntag kam es schließlich zur emotionalen Explosion: „Es wird immer nur geguckt, wo können wir ihn erwischen“, sagte Gertrud Steinbrück, die Ehefrau des Kanzlerkandidaten. Sie könnten wie früher Scrabble spielen, spazierengehen – statt dessen habe sich ihr Mann für diese Kanzlerkandidatur entschieden. „Und dann wird er nur noch verhauen, für das, was er vorher gemacht hat“, klagte sie, während ihr Mann danach mit den Tränen kämpfen mußte. Vielleicht wurde an diesem Sonntag klarer, was der SPD im Wahlkampf fehlt: die menschliche Wärme. Steinbrück verlangte zwar für seine manchmal bullige Art mehr „Beinfreiheit“ von seiner Partei, aber wirkliche Nähe läßt er nicht zu.

Als Merkel von einem Damm zum anderen wanderte, die zahlreichen Helfer lobte und Opfer tröstete, lehnte Steinbrück dies mit dem Argument ab, er wolle sich nicht an einem „Gummistiefelwettbewerb“ beteiligen. Das war verletzend für Flutopfer und Helfer, dürfte aber nicht so wahlentscheidend gewesen sein wie das Zögern des damaligen CDU/CSU-Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber 2002, der zu spät auf den Deich kam. Wahlexperten verweisen darauf, die Sommerflut 2002 sei im August und damit nur wenige Wochen vor der Wahl gewesen. Jetzt seien es noch knapp 100 Tage, und da könne noch viel passieren.

In der Tat hat die Drohnen-Affäre um Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) gezeigt, wie schnell in Berlin ein Deich brechen kann. Doch die Solidarität in der CDU hielt, und Merkel wollte auch kurz vor der Wahl nicht mehr das Kabinett umbilden. Der von der Opposition angedrohte Untersuchungsausschuß dürfte die Geschlossenheit in der Unionsfraktion weiter stärken.

Schließlich könnte sich die Europa- und Währungspolitik zum Problem für Merkel entwickeln. Zwar wird im Moment von Brüssel und von der Europäischen Zentralbank alles versucht, um den dringend notwendigen Schuldenschnitt Griechenlands über den deutschen Wahltag am 22. September hinauszuschieben. Auch die Stabilisierung ausländischer Banken erfolgt über Kredite der deutschen Staatsbank KfW. Das Geld wird die KfW nicht wiedersehen, so daß der deutsche Steuerzahler wird eintreten müssen. Wenn diese Stärkungsmaßnahmen des Finanzsystems nicht wirken sollten, bricht der Damm, die Union könnte absaufen und die bisher außerparlamentarische Opposition AfD in den Bundestag einziehen. Das heißt nichts anderes als: Daß Merkel Kanzlerin bleibt, dürfte einigermaßen klar sein.

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