© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/13 / 14. Juni 2013

Er jauchzt und juckt
Axel Matthes sucht das alltäglich Heilige
Claus-M. Wolfschlag

Eine seltsame Textsammlung hat der Berliner Verleger Axel Matthes zusammengetragen. „Das Heilige im Alltag“ nennt sich der Band, und in diesem sollen sich literarisch festgehaltene Momente vereinen, die Autoren erregt oder ermutigt, ihnen die Sinne geöffnet oder die Fassung geraubt haben.

Es finden sich Texte so unterschiedlicher Schriftsteller wie Heinrich Heine, Rainer Maria Rilke, Friedrich Nietzsche, Botho Strauß, Hans-Jürgen Syberberg oder Hans Magnus Enzensberger. Die Absicht des über 500 Seiten staren Bandes erfüllt sich allerdings nur bedingt. Zu heterogen sind die literarischen Zeugnisse von Schriftstellern unterschiedlicher Jahrhunderte, zu vage der Versuch einer Gliederung. Manch alter Klassiker dürfte heute nur noch auf Erbauung bedachte Kleinstzirkel ansprechen.

Da „quillt“ und „ergießt“ es sich bei Klopstock zur „Erquickung“ in der „seligen Stunde“. Da „wähnt“ und „jauchzt“ es bei Goethe im „Traumglück“ und der „Seligkeit“ in „Wonnestunden“. Und auch bei Friedrich Wilhelm Korff „rauscht“, „überflockt“ und „klaubt“ es noch gewaltig. So ist man vom Wortschwulst ermattet regelrecht froh, als man auf Theo Homanns sperrige Novelle „Starkstromfrau“ stößt, die im „Laß jucken Kumpel“-Jargon eine sexuelle Liaison auf dem Gabelstapler schildert.

Abgesehen von diesen Extremen finden sich aber naturgemäß auch viele Perlen und tiefsinnige Gedanken nicht nur unter den zahlreichen Aphorismen bekannter Persönlichkeiten. Antoine de Saint-Exupéry schildert eindrucksvoll Momente seiner Gefangennahme im Spanischen Bürgerkrieg. László F. Földényi hat in „Zwei Augenpaare“ tiefsinnige Gedanken zur menschlichen Seele niedergeschrieben, zu denen ihn die Geburt seines Sohnes veranlaßt hat.

Martin Mosebach gelingt es mit einem längeren Text ausgezeichnet, Ursprung und Zweck des Gebets zu vermitteln. Und so findet man beim Weiterblättern einen erschütternd geschriebenen Überlebenden-Bericht vom Untergang der „Titanic“, einen interessanten Briefwechsel zwischen Leopold Ziegler und Walther Rathenau, einen Bericht Roberto Calassos über John Cage und die Lynchmeute sowie nachdenkliche Zeilen Guido Ceronettis über das Alter und den Krebs. Wer sucht, findet also sein Glück in diesen 576 Seiten.

Axel Matthes (Hrsg.): Das Heilige im Alltag oder Vom Swing der Dinge. Diederichs Verlag, München 2012, gebunden, 576 Seiten, 29,99 Euro

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