© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/13 / 14. Juni 2013

CD: B. Britten
Frieden und Wut
Jens Knorr

Immer gerade dann, wenn der nächste Krieg der kunstvollste zu werden verspricht, aller Hirnwindungen von allen Einsprüchen freigeräumt worden sind und alle hehren Ideale in sie hinein, streuen ungediente Akkordarbeiter, statt eisern zu stahlgewittern, ihre wehrkraftzersetzenden Noten ins Militärgetriebe und entfremden dem Krieg die Kunst.

Die Lieder aus Benjamin Brittens vorletztem Liedzyklus „Who are these Children?“ Op. 84 nach Gedichten von William Soutar, im Sommer 1969 komponiert, sind von der Ironie Schostakowitschs und Mahlers; ihnen ist das Wissen darum einkomponiert, daß gesellschaftlich immer erst gelernt wird, nachdem eingetreten ist, was durch Lernen hätte verhindert werden sollen.

Ian Bostridge und Antonio Pappano schlagen für vier ausgewählte Lieder aus dem Zyklus (Nr. 3, 6, 9, 11) einen sachlich kühlen, aber auch schneidend intensiven Ton an, der sich als der einzig angemessene erweist. Er kündigt den Kriegern die Nachtmahre an, die ihnen in Friedensnächten schwer auf der Brust liegen werden. Er tröstet die Täter, ohne daß ihre Schuld wegmusiziert würde. Immer mit gebotener Höflichkeit!

Als schmerzlich resignierender Kommentar darauf lassen sich die „Songs of the Chinese“ Op. 58 von 1957 hören, auf der Gitarre zärtlich begleitet von Xuefei Yang, mit denen Bostridges neues Album „Britten Songs“ schließt.

Vor Jahren hatte sich der heute 48jährige, in London geborene Tenor in seinem „British Songbook“ mit britischen Liederkomponisten des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts auseinandergesetzt; für sein neues Britten-Album hat er Liederzyklen ausgewählt, mit denen sich sein Komponist dezidiert von jener pastoral-romantischen Tradition abzusetzen suchte; vor den genannten die „Winter Words“ Op. 52 nach Thomas Hardy von 1953, die „Seven Sonnets of Michelangelo“ Op. 22 von 1940 und die „Six Hölderlin Fragments“ Op. 61 von 1958.

Britten hält Ausschau nach dem nahen Kontinent, wo die Sprache Hölderlins und Michelangelos gesprochen wird, und nach den fernen, auch wenn die musikalische Ausbeute von da nur Chinoiserie scheint, und Rückschau auf Purcell, um das eigene Idiom von dem „Englischtum“ – für Britten das Synonym musikalischer Provinzialität – zu reinigen. Mit seinen Dichtern hält Britten Innenschau auf das lyrische Ich als Schlacht- und Friedensfeld, den Kontinent des männlichen Körpers als geheimes Europa, und was dem einen geschieht, geschieht dem andern auch. Seine Vertonungen sind leib- und geist- und todes- und lebensbejahend zugleich.

Einmal mehr bewährt sich Ian Bostridges Konzeption durchdachten Singens, das seine Hörer in Anhänger und Gegner teilt. Ihm gelingt es auch hier, mit den durchaus begrenzten, jedoch klug eingesetzten Mitteln seiner gereiften Stimme all das auszudrücken, was außer ihr liegt, aber nur mit stimmlichen Mitteln zum Ausdruck gebracht werden kann.

Es stellt sich angesichts dieses substantiellen Beitrags zum hundertsten Geburtstag Benjamin Brittens in diesem Gedenkjahr die Frage, ob und wann wir von Bostridge einen neu interpretierten Peter Grimes zu hören bekommen werden. Noch weicht der Sänger mit britischer Höflichkeit der Frage aus.

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