© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/13 / 14. Juni 2013

Bindungen an Familie und Heimat schützen
Er war nie ein Schreibstubengelehrter: Zum 85. Geburtstag des Verhaltensforschers Irenäus Eibl-Eibesfeldt
Karlheinz Weissmann

Folgendes Experiment: Man lege einer Gruppe aufgeweckter Jugendlicher einen Text des Verhaltensforschers Irenäus Eibl-Eibesfeldt und einen zweiten von dem CDU-Politiker Heiner Geißler vor, die anläßlich der Debatte über die Änderung des Asylrechts Anfang der 1990er Jahre entstanden. Man lasse beide lesen und frage die Jugendlichen, wessen Einschätzung der kommenden Entwicklung einer multikulturellen Gesellschaft überzeugender erscheine, bedenke man die heutigen Erfahrungen. Das Ergebnis wird eindeutig sein.

Die Vorstellung Geißlers von einem fröhlichen Miteinander der verschiedenen Ethnien kann bestenfalls wohlgemeinter Unsinn sein, die skeptische und sorgenvolle von Eibl-Eibesfeldt wirkt demgegenüber wie eine zielsichere Prognose. Denn Eibl-Eibesfeldt hat immer wieder betont, daß der Mensch aufgrund seiner Natur der Bindung an überschaubare und bekannte, relativ homogene Gruppen bedürfe, daß ihn das Gefühl, bedroht zu werden, unberechenbar und aggressiv mache, weshalb die Zuwanderung von Fremden sicher zu Konflikten führe, die mit dem Untergang der Autochthonen oder der Neuankömmlinge enden werde.

Die Kernsätze in dem erwähnten Aufsatz lauten „Menschen sind territorial“ und „Es besteht (…) eine Bereitschaft der Ethnien, sich anderen gegenüber zu öffnen, solange die eigene Identität und Sicherheit dadurch nicht gefährdet wird.“ Diese Argumentation ist typisch für die Denkweise Eibl-Eibesfeldts als Humanethologe: Es gibt eine biologische Basis – hier: die Bindung an den Lebensraum – und es gibt einen kulturellen Aufbau – hier: die Fähigkeit zum Miteinander verschiedener Gruppen – und wer das erste vernachlässigt oder für unbegrenzt manipulierbar hält, wird in bezug auf das zweite immer nur zu Fehlschlüssen kommen und in der Praxis mit furchtbaren Rückschlägen rechnen müssen.

Humanethologie ist für Eibl-Eibesfeldt „Die Biologie des menschlichen Verhaltens“ (so der Titel seines zuerst 1984 erschienenen Hauptwerks). Sie übernimmt zwar die Methoden der Verhaltensforschung, die sich mit Tieren befaßt, achtet aber die „Sonderstellung“ des Menschen und untersucht „sowohl das stammesgeschichtlich evoluierte Verhalten als auch die individuelle und kulturelle Modifikabilität des Menschen“.

Das ganze Leben des Wissenschaftlers Eibl-Eibesfeldt war von dieser doppelten Aufgabenstellung bestimmt, sie fand ihren Niederschlag in seinen zahlreichen Büchern, vom Frühwerk bis zu dem zuletzt erschienenen Band „Weltsprache Kunst“ (2007) über die natürlichen Grundlagen des ästhetischen Empfindens.

Vor fünfundachtzig Jahren, am 15. Juni 1928, wurde Irenäus Eibl-Eibesfeldt in Döbling, einem Vorort Wiens, geboren, wuchs in Österreich auf und begann nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ein Studium der Zoologie und Botanik an der Universität Wien. 1950 zum Dr. phil. promoviert, ging er an das private Institut für Verhaltensforschung von Konrad Lorenz, des Altmeisters der Ethologie. Mit seinem Lehrer wechselte er kurz darauf an die Max-Planck-Forschungsstelle für Vergleichende Verhaltensforschung nach Buldern in Westfalen, dann an das neu gegründete Max-Planck-Institut für Verhaltensphysiologie im bayerischen Seewiesen. Seit 1963 lehrte Eibl-Eibesfeldt an der Universität München, 1969 erhielt er dort auch eine Professur. Ein Jahr später übernahm er in Seewiesen die Arbeitsgruppe für Humanethologie, ab 1975 eine selbständige Forschungsstelle.

Wichtig ist zu betonen, daß Eibl-Eibesfeldt alles andere als ein Schreibstubengelehrter war. In den fünfziger und sechziger Jahren nahm er an zahlreichen Expeditionsreisen (unter anderem mit Hans Hass auf die Galápagosinseln) teil und lebte mit jenen primitiven Völkern in Übersee, die noch möglichst wenig Kontakt mit Europäern hatten. Dabei nutzte er auch die neuen Möglichkeiten der Filmaufnahme, die eine sehr viel genauere Registrierung der Verhaltensweisen ermöglichte als die traditionelle Feldforschung.

Im Ergebnis führte diese Arbeit zur Entdeckung einer unerwartet großen Zahl von Universalien: Vor allem in bezug auf die Ausdrucksformen elementarer Gefühle wie Wut, Trauer oder Angst, aber auch bei Erstaunen, Verlegenheit oder Freude zeigen alle Menschen ähnliche Reaktionen, die sich in Mimik und Gestik äußern, jedenfalls nicht an den sprachlichen Ausdruck gebunden sind. Eibl-Eibesfeldt betrachtet diese Verhaltensweisen deshalb als „natürlich“, was seiner Meinung nach auch der Vergleich mit dem Verhalten von Tieren – Verwandten des Menschen, den Primaten etwa, oder in bezug auf die soziale Organisation ähnlichen, Wölfen zum Beispiel – nahelegt.

So empathisch Eibl-Eibesfeldt über die Stammesgesellschaften berichtet hat, er idyllisierte ihre Existenzweise nicht und betont, daß es in bezug auf die kulturelle Entwicklung selbstverständlich so etwas wie Fortschritt gibt. Die Entstehung menschlicher Großverbände, der Nationen etwa, rechnet er dazu. Allerdings müsse man im Blick behalten, daß die in modernen Gesellschaften andauernde „Neuanpassung“ rasch zu Überforderungen führe, weil die biologische Basis des Menschen darauf nicht angelegt sei.

Das erklärt hinreichend die konservativen Implikationen seines politischen Denkens, die Forderung, den Raubbau an der Natur zu beenden und die elementaren Bindungen des einzelnen an Familie, Heimat, Kultur zu schützen und nicht im Namen irgendwelcher Sozialtechnologien zu zerstören.

Der Nichtnaturwissenschaftler stellt sich gerne vor, daß die Naturwissenschaftler verschont sind vom Streit der Weltanschauungen. Bei genauerer Betrachtung stellt man aber fest, daß das nicht so ist. Das erklärt wohl hinreichend, warum Eibl-Eibesfeldt mit seinen Auffassungen keinen Nachfolger innerhalb der eigenen Disziplin gefunden hat. Mit veränderten Forschungsinteressen oder neuen Einsichten ist das kaum zu erklären. Es hängt wohl auch mit dem Einflußfaktor „Ideologie“ zusammen, von Eibl-Eibesfeldt stets als der Feind jeder Erkenntnis betrachtet, der aber in seinem eigenen Haus mehr Macht gewonnen hat, als er haben sollte.

Foto: Irenäus Eibl-Eibesfeldt während eines Interviews am 8. Mai 2013 in Wien: Die Zuwanderung von Fremden führt zu Konflikten

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