© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/13 / 14. Juni 2013

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Weniger Gesinnungsschnüffelei
Marcus Schmidt

Wer eine Schwäche für Verschwörungstheorien hat, konnte Anfang der Woche auf seine Kosten kommen. Ausgerechnet am Tag bevor Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) und der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, in Berlin den Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2012 vorstellten, überfielen Islamisten vor einer Moschee in Offenbach ein Fernsehteam der ARD (siehe Seite 17).

Eine Steilvorlage für Friedrich. „Solche Übergriffe sind intolerabel“, sagte der Minister und verwies auf die wachsende Bedrohung Deutschlands durch den Salafismus, dem auch der Überfall in Offenbach zugerechnet wird. Laut Verfassungsschutzbericht ist die Zahl der Salafisten in der Bundesrepublik im vergangenen Jahr sprunghaft von 3.800 (2011) auf 4.500 Personen gestiegen. Damit sei diese Gruppierung, deren Anhänger häufig Gewalt bis hin zum Terrorismus befürworteten, die am stärksten wachsende islamistische Bewegung.

Eine besondere Gefahr sieht Friedrich in der zunehmenden Konfrontation zwischen Salafisten und den von ihm als rechtsextremistisch charakterisierten Islamkritikern der Pro-Bewegung. Daß es in der Vergangenheit die Salafisten waren, die mit Gewalt auf die Provokationen der Pro-Anhänger reagierten, wurde dabei nicht deutlich. Der Pro-Bewegung warf der Innenminister vor, in der Bevölkerung Angst vor Moslems schüren zu wollen. Es werde dabei nicht zwischen dem Islam als Religion und dem islamistischen Extremismus unterschieden, kritisierte er.

Das Personenpotential des Rechtsextremismus schätzt der Verfassungsschutz mit 22.150 Anhängern als leicht rückläufig ein (2011: 22.400). Ausführlich widmet sich der Verfassungsschutzbericht vor dem Hintergrund der mutmaßlichen Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) der Analyse des rechtsextremistischen Gewaltpotentials und warnt vor einer grundsätzlichen Gewaltbereitschaft.

Besorgniserregend ist die im Verfassungsschutzbericht dokumentierte Entwicklung des Linksextremismus. Zwar wurden 2012 mit 29.400 weniger Anhänger gezählt als im Vorjahr (2011: 31.800) dafür ist die Gewaltbereitschaft gewachsen. Dies läßt sich etwa an der Anzahl der versuchten Tötungsdelikte ablesen, die 2012 auf acht gestiegen ist (2011: drei). „Die Angriffe richten sich vor allem gegen Polizisten und gegen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten“, heißt es in dem Bericht.

Doch nicht nur die Erkenntnisse, die der Verfassungsschutz über extremistische Bestrebungen gesammelt hat, waren bei der Vorstellung ein Thema. Auch der Inlandsgeheimdienst selbst ist vor dem Hintergrund der Pannen und offenen Fragen bei der Aufklärung der NSU-Serie in den Fokus geraten. Friedrich kündigte an, noch im Sommer Ergebnisse der Verfassungsschutzreform vorzustellen. Das Bundesamt werde in Zukunft verstärkt gewaltorientierte Personen und Gruppierungen in den Blick nehmen. Oder anders formuliert: Die bloße Gesinnungsschnüffelei könnte künftig an Bedeutung verlieren.

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