© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/13 / 07. Juni 2013

Der Mann mit dem grauen Vollbart
Bildpropaganda und politische Symbolik: Das Trierer Stadtmuseum präsentiert Karl Marx als Ikone
Karlheinz Weissmann

Menschen erkennen sich in erster Linie an ihren Gesichtszügen. Nichts ist so unverwechselbar wie die Physiognomie eines Menschen. Das erklärt hinreichend, warum mächtige Menschen früh darangingen, ihr Abbild zu verbreiten.

Die Statuen von Herrschern oder Priestern waren nur ein Anfang, der erste große Durchbruch für die Bildpropaganda dürfte die Erfindung des Münzgeldes gewesen sein, das mit dem Konterfei des Regenten geschmückt werden konnte. Diese Möglichkeit der weiten und dauerhaften Verbreitung eines Bildes, das den Herrscher und seinen Anspruch repräsentierte, spielte für die Entwicklung der politischen Symbolik im europäischen und dann im außereuropäischen Raum eine entscheidende Rolle.

Erst mit der Erfindung des Buchdrucks und anderer Reproduktionstechniken kam es auf diesem Sektor zu dramatischen Neuerungen. Das erklärt, warum einerseits im Zeitalter der Reformation und der religiösen Bürgerkriege, andererseits im Gefolge der Französischen Revolution die Bilder der Akteure massenhaft unter die Menschen gebracht werden konnten, so daß neben die abstrakten oder allegorischen Zeichen vor allem die Darstellung der Köpfe von Anführern trat.

Es war der gesamte Prozeß, der hier in den Blick genommen wird, von Anfang an dadurch gekennzeichnet, daß er starke Berührungen mit der Sphäre des Religiösen aufwies: Vor den Abbildern der Herrscher waren schon die der Götter in großer Zahl reproduziert worden, selbst in der Talismanfunktion gab es Ähnlichkeiten. Und auch in der säkularen Moderne wußte man sehr genau, daß nicht nur politische Überzeugungen religiöse Züge annehmen konnten, sondern daß die Parteien und Bewegungen im Grunde Formen kopierten, die aus dem Kultus, vor allem der katholischen (in der Sowjetunion auch der orthodoxen) Kirche stammten. Insofern war die Rede von einem „sozialistischen Heiligenkult“, den die Linke im 19. Jahrhundert betrieb, immer nur halbironisch gemeint.

Diese Einschätzung bestätigt auf besondere Weise die Ausstellung im Trierer Stadtmuseum unter dem Titel „Ikone Karl Marx. Kultbilder und Bilderkult“. Die Geburtsstadt von Marx (1818–1883) nimmt die Gelegenheit wahr, eine umfangreiche Zusammenstellung vorzuführen, die eine Vorstellung davon vermittelt, wie stark das – zugegebenermaßen eindrucksvolle – Porträt des sozialistischen Meisterdenkers zur Identifikation mit der Sache des Proletariats diente.

Auch der Begriff „Ikone“ ist nicht übertrieben, da schon früh die Photographie eine wichtige Rolle spielte, die es erlaubte, eine präzise, wenngleich geschönte, Vorstellung von Marxens Aussehen zum Grundmuster aller abgeleiteten Bilder zu machen.

Allerdings setzte sich die „Ikone Marx“ nur allmählich gegen andere – die Bilder von Wilhelm Weitling, Lassalle und Bebel waren ursprünglich verbreiteter – durch. Leider hat man in Trier darauf verzichtet, diesen Prozeß breiter zu dokumentieren und jene Menge an Ansteckern und Kleindevotionalien zu zeigen, die einen anschaulichen Eindruck von der optischen Präsenz in der Breite liefern können.

Um so stärker liegt der Akzent auf der Dokumentation der allmählichen Durchsetzung einer kanonischen Darstellung von Marx in Zeitungen, Zeitschriften, Flugblättern, auf Postkarten und Plakaten der Arbeiterbewegung, insbesondere der deutschen, und dann der ungeheuren Bedeutung, die sein Bild für das sowjetische Rußland gewann, das sich als erster Staat zum Marxismus als Doktrin bekannte und das schon 1918, ein Jahr nach der Gründung, mit der Errichtung eines Denkmals zum Ausdruck brachte.

In der folgenden Zeit wuchs die Menge der Marx-Bilder, die in Umlauf gebracht wurde, ins Unermeßliche. Man findet ihn in Trier auf Briefmarken, Münzen, Medaillen und Plaketten, als Kleinplastik oder Monument, vor allem aber auf Drucken, Zeichnungen und Gemälden, die ihn in Szenen aus seinem Leben (das passend zur Hagiographie verarbeitet worden war) zeigen oder zeitenthoben als Sinnbild seiner selbst.

In dieser Funktion bildete der Kopf von Marx zusammen mit dem von Engels und Lenin eine Dreiheit, die phasenweise mit Stalin zur Vierheit oder mit Mao Zedong zur Fünfheit erweitert wurde, aber jedenfalls Marx immer an die prominenteste, also erste Stelle setzte.

Beschränkt auf Marx-Engels-Lenin erschien das Motiv auch auf dem berühmten SDS-Plakat mit der Aufschrift „Alle reden vom Wetter – Wir nicht“, das in der Trierer Ausstellung den Übergang vom todernsten zu einem eher ironischen Umgang mit der „Ikone Marx“ markiert. Selbstverständlich gab es auch nach ’68 diejenigen, die sich mehr oder weniger zügig den alten Mustern anpaßten und dann die kommunistischen Regime, die am etablierten marxistischen Staatskult ebenso verbissen festhielten wie an dessen Ausdrucksformen, aber sonst war der Gebrauch gekennzeichnet von einem spielerischen Umgang und dann dem Verwertungsinteresse des alles verschlingenden Molochs Konsum.

Ein Vorgang, der immer noch nicht abgeschlossen ist und auch etwas davon deutlich macht, wie zäh der von Marx und den Marxisten so heftig bekämpfte Kapitalismus an seinem Leben hängt und noch aus seinem Erzfeind Gewinn zu schlagen vermag.

Die Ausstellung „Ikone Karl Marx. Kultbilder und Bilderkult“ ist bis zum 18. Oktober 2013 im Stadtmuseum Simeonstift Trier, Simeonstraße 60, täglich außer montags von 10 bis 17 Uhr zu sehen. Telefon: 06 51 / 7 18 14 59

Der umfangreiche Katalog (Schnell + Steiner Verlag, gebunden, 326 Seiten, zahlreiche Abbildungen) kostet in der Ausstellung 29,80 Euro.

www.museum-trier.de

Foto: Ottmar Hörls Karl-Marx-Installation vor der Porta Nigra in Trier: Führungen auf den Spuren des berühmtesten Sohnes der Stadt

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