© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/13 / 07. Juni 2013

Das Tor zu Stalins Hölle
Geschichtspolitik: Im Streit um das Gedenken an das Potsdamer KGB-Gefängnis sind die Fronten verhärtet
Ekkehard Schult

Im überfüllten Saal der Landeszentrale für Politische Bildung in Potsdam wird es unruhig. Gerade hat der Historiker Wolfgang Benz den Opferverbänden der kommunistischen Gewaltherrschaft vorgeworfen, mit bestimmten politischen Positionen wie etwa dem antitotalitären Konsens, „anschlußfähig für rechtsradikales und neurechtes Gedankengut“ zu sein. Mehrere Teilnehmer der Veranstaltung weisen diese Darstellung empört als herabwürdigend und beleidigend zurück.

Hintergrund der Kontroverse ist der fortdauernde Streit um die Gedenk- und Begegnungsstätte Leistikowstraße im einstigen KGB-Gefängnis, der die Landeszentrale jetzt eigens eine Podiumsdiskussion widmete. Der Vorsitzende der Lagergemeinschaft Workuta, Horst Schüler, wies darauf hin, daß es in Deutschland „einen berechtigten Aufschrei der Entrüstung auslösen“ würde, wenn die Leiden der NS-Opfer ebenso beschönigt würden wie in der Leistikowstraße. Dort werde auf einer Ausstellungstafel verharmlosend behauptet, manche Insassen des KGB-Gefängnisses hätten „die Haft nicht überlebt“. Dennoch schlug Schüler am Ende versöhnliche töne an. Im Hinblick auf den Erinnerungsort sei es dennoch falsch, in einer Oppositionshaltung zu verharren. Denn es sei nie dienlich, „sich in gegenseitigem Haß zu verlieren“, so Schüler.

Dieser lebhafte und oft erbitterte Schlagabtausch führt zum Kern der Auseinandersetzung um die Gedenkstätte, die sich seit Jahren unter anderem um die Frage dreht, ob das ehemalige sowjetische Untersuchungsgefängnis ein exemplarischer Ort des kommunistischen Terrors oder vor allem eine Folgeerscheinung der nationalsozialistischen Diktatur war. Immerhin verhörten die Sowjets in der Leistikowstraße 1 im ehemals „sowjetischen Städtchen“ am Rande Potsdams ab 1945 angebliche Spione, und für mehr als 1.000 Häftlinge war die ehemalige Villa Ausgangspunkt für ihre Deportation in die stalinistischen Zwangsarbeitslager.

Während die Gedenkstättenleitung für sich in Anspruch nahm, mit der im vergangenen Jahr eröffneten Dauerausstellung zur Geschichte des Hauses einen tragfähigen Kompromiß umgesetzt zu haben, verwiesen Vertretern der Opferorganisationen der kommunistischen Gewaltherrschaft immer wieder auf die Ausgrenzung von Zeitzeugen und auf eklatante methodische Schwächen der Präsentation hin. Inzwischen scheint die Distanz zwischen den Auffassungen auf beiden Seiten nahezu unüberwindlich zu sein.

Auch auf der Podiumsdiskussion wurden immer wieder wesentliche Unterschiede in den Perspektiven deutlich, etwa bei der Frage der Empathie mit den Opfern von Diktaturen. So verwies der ehemalige Workuta-Häftling Horst Schüler darauf, wie wichtig es sei, daß Zeitzeugen und Historiker gut zusammenarbeiteten. Gerade die Geschichte der beiden Diktaturen des vergangenen Jahrhunderts könne nur auf diese Weise in einer lebendigen Form präsentiert werden. Dagegen vertrat Wolfgang Benz die Ansicht, daß es „ohne die Empathie zu denen, die in der Geschichte Leid erlebt haben“, zwar grundsätzlich nicht gehe. Allerdings sei für die Erarbeitung einer historisch exakten Chronologie eines Ortes die Einbeziehung von Zeitzeugen in den aktiven Gestaltungsprozeß „keineswegs zwangsläufig“, versicherte er.

Noch deutlicher wurden die Unterschiede, als Schüler auf die Entscheidung des Europäischen Parlamentes von 2009 verwies, den 23. August zu einem internationalen Gedenktag an die Opfer aller totalitären Regime zu machen. Obwohl er betonte, daß mit diesem Vorstoß weder „die Unterschiede zwischen Nationalsozialismus und Kommunismus eingeebnet“, noch „Opfer des Nationalsozialismus marginalisiert werden“ sollten, meinte Benz, daß „jeglicher Totalitarismusansatz nivellierend“ sei und das „Ende jeglicher Differenzierung“ bedeute. Hinter dem Beschluß des Parlaments, der auf dem Willen der liberalen und konservativen Fraktionen beruhe, verberge sich „ein antiaufklärerischer Impuls“. Zudem vermutete Benz ein „massives politisches Interesse“, das vor allem in bestimmten osteuropäischen Staaten seine Wurzel habe.

Die Geschäftsführerin der Bundesstiftung zur Aufklärung der SED-Diktatur, Anne Kaminsky konzentrierte sich nach diesen grundsätzlichen Überlegungen auf die unmittelbaren Konflikte um die Gedenkstätte. Sie kritisierte, daß in der Ausstellung wichtige Grundlagen zum Verständnis der historischen Hintergründe fehlten. So werde die „gezielte Instrumentalisierung des Spionagevorwurfs im sowjetischen Terrorregime“ ebensowenig thematisiert wie die generellen Methoden zur Durchsetzung der kommunistischen Diktatur auf deutschem Boden und die Bedeutung von Opposition und Widerstand in der Sowjetischen Besatzungszone und späteren DDR. Doch diese Schwerpunktsetzung sei auf deutlichen Widerstand der Gedenkstättenleitung gestoßen.

Die Leiterin der Gedenk- und Begegnungsstätte, Ines Reich, gab zu, daß die Gestaltung der aktuellen Präsentation auch „auf dem Einfluß der Mittelgeber“ beruhe, zu denen die rot-rote Landesregierung in Potsdam gehöre. Es sei nachvollziehbar, daß damit auch„die Schwerpunktsetzung in der Leistikowstraße von einer vergleichbaren Ausstellung etwa in Sachsen abweichen würde.

www.gedenkstaette-leistikowstrasse.de

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