© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/13 / 31. Mai 2013

Der Flaneur
Besuch beim Fachhändler
Ellen Kositza

Man hört von einer neuen Untugend: Der Kaufwillige informiert sich im ortsansässigen Geschäft, genießt Fachberatung, nimmt die Produktpalette in Augenschein, fummelt am Gerät. Dann tätigt er seinen Kauf: daheim am Rechner, beim Versandriesen oder dem „Shop“, der das Konsumobjekt am günstigsten feilbietet. Wieder was gespart, dem Laden vor der Tür die lange Nase gedreht! Weil das dem Einzelhandel schlecht bekommt, gibt es Aufkleber fürs Pkw-Heck: „Regional kaufen – damit die Innenstadt lebt!“ Richtig so!

Mir geht es um einen Elektrozaun. Die Ziegen zicken stromlos allzusehr. Hab mich im Netz belesen, kenne den Unterschied zwischen Draht, Litze und Breitband, zwischen Schlitz- und Ring-isolatoren und weiß, was eine Temperaturausgleichsfeder ist. Habe nur eine Abschlußfrage zur Impulstechnik. Die Fachhändlerin kann Multitasking: gleichzeitig telefonieren und mich beraten, extrem beeindruckend. Nach Volt, Ohm und Schlagstärke habe sie noch keiner befragt, sie reagiert ein bißchen pikiert. Ja, Metallpfähle könne sie bestellen, aber ob das Tage oder Wochen dauert: „Keine Ahnung.“ Ob der Kollege weiterwüßte? Eventuell, hat aber die nächste Stunde keine Zeit. Ich schäme mich ein wenig, ich Zeiträuberin!

Im parallel geführten Telefongespräch scheint es um ein wesentlicheres Problem zu gehen: Beziehungstechnik. Mir erschiene es als Brüskierung, nach all meinen Fragen ohne Kauf das Geschäft zu verlassen. Hinter der Theke sehe ich Saatkartoffeln, eine Sorte gefällt mir: Ihr Zulassungsjahr entspricht meinem Jahrgang! Als „robust und dankbar“ werden ihre Eigenschaften beschrieben. Ich laß’ mir ein Netz geben. Solche Netze können fies sein. Ein hübscher langer Fingernagel, roséfarben geflammt wie die Kartoffel, zusätzlich mit Glitzerdingerchen überstäubt, verfängt sich in den Maschen. Luftanhalten bei Kundin und Fachberaterin, dann bricht der Nagel! Zetern, Fluchen! In den Laden, in den Hörer hinein! Das hab ich nicht gewollt, dämlicher Störenfried, der ich bin.

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