© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/13 / 31. Mai 2013

Madame hat es besser im Griff
Pamela Druckerman blickt bewundernd auf die autoritäre Kindererziehung in Frankreich
Ellen Kositza

Pamela Druckerman war Wirtschaftsredakteurin beim Wall Street Journal und arbeitete für andere hochkarätige Blätter. Daneben verfaßte sie ein vielgelesenes Buch über die „Regeln des Seitensprungs“. Nun lebt diese typische Amerikanerin der oberen Ostküsten-Mittelschicht seit einigen Jahren in Paris und hat dort drei Kinder zur Welt gebracht. Ihr aktuelles Buch versteht sich als eine Art Erziehungsratgeber.

Der Einband stellt sich als Tischdecke in Vichy-Karo dar, darauf die Zeichnung eines Cafétisches. Daran sitzen auf zierlichen Stühlchen eine noch zierlichere Dame mit gepflegtem Haar, riesiger Sonnenbrille und Stilettos sowie zweit nett gekleidete Kinder. Das ist die Französin, genauer gesagt, die Pariserin, die ganz nebenbei Mutter ist. Man sieht, daß sie alles im Griff hat: ihren Geldbeutel, ihre Figur, ihre Kinder. Sie scheint das Leben zu genießen.

Die urbane Französin macht als Mutter fast alles anders als ihr Pendant in den USA, staunt Druckerman, sie macht es auch anders als die deutsche Mutter, die am Rande Erwähnung findet und mehr zum American way zu tendieren scheint. Wir haben es hier mit einer ethnographischen Skizze zu tun, die ihre Beispiele vor allem aus dem prallen Leben heranzieht. Das ist naturgemäß ein im Plauderton und anekdotenreich daherkommendes Buch, es verkauft sich glänzend. Druckermans Inspektionen zwischen den Kontinenten sind in jedem Fall lustig, sie sind glänzend übersetzt.

Haben sie einen Lektürewert über das Unterhaltsame hinaus? Oh ja! Nicht alles, was die französische Mutter in punkto Schwangerschaft, Geburt und Kleinkinderziehung anders handhabt, als Druckerman es aus ihrer Heimat gewohnt ist, erscheint der Neupariserin sympathisch. Die Französin hütet sich, während der Schwangerschaft mehr als dreizehn Kilo zuzunehmen, sie strebt keine „natürliche Geburt“ ohne Schmerzmittel an, sie stillt ihr Kind, wenn überhaupt, nur wenige Wochen, sie gibt es so rasch wie möglich – gern deutlich vor Erreichen des ersten Geburtstags – in die crèche, die französische Form der Krippe, selbst dann, wenn sie keine Erwerbstätigkeit anstrebt. La fessée, eine Tracht Prügel, gilt in Frankreich weithin noch als probates Mittel für Ausnahmesituationen. All dies ist in den USA wie auch in Deutschland nicht üblich, und Druckerman steht vielen dieser landesüblichen Normen skeptisch gegenüber.

Aber! Französische Kinder beherrschen von klein auf nicht nur die vier Zauberwörter bonjour, au revoir, merci und s’il vous plaît aus dem Effeff. Sie schlafen bereits als Säuglinge durch, sie haben im Schnitt tadellose Tischmanieren, können vor dem Grundschulalter diverse Käsesorten differenzieren, sie fallen den Eltern nicht unablässig ins Wort und proben weder auf dem Spielplatz noch im Ladengeschäft den Aufstand.

Pamela Druckerman nähert sich ihrer These von der französischen Erziehungskunst so beispielgesättigt, fundiert – sie interviewt Erziehungswissenschaftler und kennt die Lage auf dem internationalen Ratgebermarkt – und gleichzeitig so selbstironisch, daß man ihren Behauptungen gerne folgt. Wie schaffen es französische Eltern, daß ein Nein fraglos akzeptiert wird, wie schaffen sie sich Freiräume, wie gelingt es ihnen, erziehungstechnisch auf dem schmalen Grat zwischen dem Zulassen kindlicher Kreativität und der strikten Absage an intolerables Verhalten zu balancieren?

Druckermans volkspsychologische Beobachtungen beginnen beim Vergleich zwischen der rundlichen US-Mama in Jeans und Sneakers, die „lächerlich optimistische“ Kinderlieder singt (mittlerweile deutsches Allgemeingut: If you’re happy, clap your hands), jede Kindertat (die ersten Kritzeleien, die Fahrt auf der Rutsche) frenetisch bejubelt, die Sahnejoghurt übers Gemüse gießt und eine lustige Fernsehsendung anschaltet, um dem Nachwuchs Vitamine unterzujubeln, mit der französischen Mutter. Letztere will nebenbei attraktive Frau bleiben und hat den festen, unhintergehbaren Rahmen aufgestellt, dem sich die Kindeserziehung anpaßt. Die Pariser maman kennt nicht den amerikanischen Wettbewerbsgedanken, der Frühchinesisch und Schwimmtraining im Kleinkindalter beinhaltet, andererseits denkt sie nicht, daß ein Aufenthalt im Laufstall oder das Setzen klarer Grenzen ihr Kind davon abhalten wird, einst als Krebsspezialist neue Therapieformen zu entwickeln.

Mom muß oft lautstark schimpfen, für maman erübrigt sich das Gezeter. Hier gibt es „minimalinvasive Eingriffe“ – ein Blick! – statt der üblichen amerikanischen „Flächenbombardements“, wenn das im Namen der größtmöglichen Freiheit verzogene Kind sich beim Arzt oder beim Kindergeburtstag gebärdet wie ein Barbar. „Attend!“, „warte ab!“ erscheint als weitere Zauberformel der französischen Erziehung. Das gewohnheitsmäßige Ermöglichen spontaner Bedürfnisbefriedigung wirke auf lange Sicht als Persönlichkeitskerker.  

Die französische Mutter ist emanzipiert, aber sie macht dies keineswegs – anders als die Amerikanerin oder  Deutsche der vergleichbaren Schicht – zu einer offensiven Haltung. „Französinnen finden nicht, daß Männer und Frauen gleich sein sollten. Sie betrachten Männer als eine Spezies, die von Natur aus schlecht darin ist, Babysitter zu buchen, Tischdecken auszusuchen oder sich Kinderarzttermine zu merken.  (…) Diese humorvolle, entspannte Haltung setzt eine positive Kettenreaktion in Gang. Französinnen reiten nicht auf den Schwächen ihrer Männer herum. Folglich sind diese auch nicht demoralisiert. Den französischen Müttern, die ich kenne, geht es nicht um Gleichheit, sondern um ein Gleichgewicht, das funktioniert.“

Pamela Druckerman: Warum französische Kinder keine Nervensägen sind. Erziehungsgeheimnisse aus Paris. Goldmann Verlag München 2012, gebunden, 368 Seiten, 17,99 Euro

Foto: Eine typische Pariser Familie beim gemeinsamen Abendessen: Tischmanieren, Bitte und Danke statt Frühchinesisch

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