© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/13 / 31. Mai 2013

Jacques statt Jacob
Versuchte Romanisierung eines flämischen Barockmalers: Ein Besuch in der sehenswerten Ausstellung „Jordaens und die Antike“ in Kassel
Sebastian hennig

Jordaens und die Antike“ ist eine beeindruckende Werkschau des Künstlers im Museum Fridericianum Kassel überschrieben. Wilhelm Bode bezeichnete die Kasseler Gemäldegalerie als „Mittelpunkt für das Studium dieses Künstlers“. Doch das Zeitalter der schaulustigen Kunstfreunde vom Schlage Bodes ist lange vorbei.

Herrlich weit hat es die Kunstwissenschaft seither gebracht. Sie lädt nicht einfach den Augenmenschen zum Studium der versammelten Bilder ein. Sie sagt uns zuvor, was wir da sehen, damit wir nicht etwa falsch hingucken. Denn diese Ausstellung „verfolgt die Absicht, das durch romantische und nationalistische Mythen des 19. Jahrhunderts geprägte Bild von Jordaens als volksnahem und gutbürgerlichem Maler fröhlicher Gesellschaften zu revidieren. (…) Durch intensive vorbereitende Forschung ist es möglich, dieses Bild in der Ausstellung eindrucksvoll zu widerlegen.“

Das Pendel schlägt zurück, und die Kuratoren malen nun selber ein Bild von Jordaens. Der falschen Flämisierung des Künstlers wird mit der Feststellung seiner echten Klassizität entgegengetreten. Nun glaubt man also den wahren Jacques gefunden zu haben. Denn Jacques hat er sich selbst geschrieben und nicht Jacob. Der Maler lebte als bekennender Calvinist keineswegs unangefochten inmitten eines katholischen Milieus, das er mit der prallen Sinnlichkeit seiner Sujets konfrontierte.

Freilich hätte ein betrunkener Tölpel kaum so beschwingte Malerei auf die Leinwand zu bringen vermocht. Jordaens war keinesfalls nur simpel und lebenslustig. Aber er zielte mit seinen Darstellungen auf diesen Eindruck. Worin besteht der Gewinn, wenn mit postmoderner Pfiffigkeit festgestellt wird, daß diese Absicht wohlberechnet war? Damit wird die These von der völkisch-flämischen Rebellion gegen den spanisch-katholischen Imperialimus eher noch unterstrichen. Seiner kultivierten Simplizität wohnt nämlich viel Trotz inne.

Ähnlich provozierte sein Amsterdamer Gildenbruder Rembrandt die Klassizisten, als er eine Italienreise als Zeitverschwendung ablehnte, da ihm die eigene Sammlung die gepriesene Antike vollauf ersetze, samt allen Monumenten Roms. Auch Jordaens hütete sich davor, seine Eigenart in den südlichen Quellen zu verwässern, wie es zahlreiche flämische Zeitgenossen pflichtgemäß taten.

Beim Eintritt in die Lukasgilde wurde Jordaens als „Wassermaler“ geführt, wegen seiner Fertigkeit im Umgang mit Wasserfarben. Reizvoll sind die Deckfarbenstudien und die Zeichnungen, mit denen aus wenigen farbigen Strichen scheinbar mühelos beschwingt eine komplette Bildfindung aus dem kleinen Blatt hervortritt. Gerade in der Attitüde des scheinbar unintellektuellen bäuerlichen Malers bekundet sich eine subtile Intellektualität, die ihrem Gegner gewachsen ist. Jordaens, der in vielen Darstellungen Ovids Metamorphosen folgte, griff zu muttersprachlichen Übersetzungen der antiken Autoren. Zahlreiche Stiche und Zeichnungen zeigen die Verbreitung der klassischen Formideale in den Künstlerateliers. Sie waren für das Bildverständnis omnipräsent, so wie heute die Konfektionierung durch den amerikanischen Lebensstils universal geworden ist. Der Flame entnahm der Literatur, wie der bildenden Kunst jeweils das, was seinem Temperament entgegenkam und wandelte es in seiner Eigenart. So verwischt die Grenze zwischen dem massigen Herkules Farnese mit seinen baumstarken Beinen und Jordaens erdigen Bauernkerlen. Aus dem Ovid leiht er vor allem die naturnahen Mythen: Pomona, Meleagros, Argus, Marsyas und Antiope. Was wie Profanisierung des Erhabenen anmutet, ist in Wahrheit Apotheose der Erde und ihrer Menschen. Der Weingott seines „Triumph des Bacchus“ in seiner Einrahmung durch die Begleiterinnen mit Stab in der Hand und von Trauben umkränzt, wirkt in der ikonographischen Geste wie die heidnische Variante zu einer Verspottung Christi. Die Bilder, auf denen Ceres oder Satyrn bei Bauern einkehren, entsprechen formal verwandten Darstellungen von den Engels-Sendboten, denen im Haus Abrahams irdische Speise gereicht wird.

Jordaens pflegt eine fahle und gespenstische Fröhlichkeit mit viel Neapelgelb und bläulichen Auffrischungen. Oft bleiben seine Figuren wie große weiche Klöße, die zerlaufen, durch ihr Gewicht auf der Leinwand kleben, wie an einem Schüsselboden. Rubens ist da ungleich plastischer und feuriger. Doch diese flächige, dekorative Kunst hat in den besten Bildern ein ganz eigenes Wesen. Er hat eine Freude daran, grob und frech zu wirken; eine Freude, die auf den Betrachter übergreift.

Kein Mars, keine Minerva, keine Staatskunst tritt der „Allegorie der Fruchtbarkeit“ an die Seite. Auch die großen in Brüssel nach seinen Entwürfen gewebten Bildteppiche zu Odysseus und Alexander zeigen weniger heroische als eher familiäre, patriarchalische Szenen. Der einzige wirklich blutige Kampf ist auf dem Ölgemälde zu sehen, das die Randale der Lapiten und Kentauren darstellt. Den berauschten Gästen einer Hochzeitsfeier kippt die Freude in Wut. Krüge bersten, Glut fliegt, und Blut spritzt über die in blinder Aggression durcheinanderstürzenden Leiber.

Jordaens war acht Jahre als Schüler in der Werkstatt von Adam van Noort tätig, der auch Rubens’ Lehrer war. Die katholische und höfische Rückbindung, welche dessen imposante Erfindungen bändigt, wirkt bei Jordaens nicht. Weder Latinität, Hagiographie noch Liturgie zähmen sein Temperament, das allein von den Grenzen seiner Fähigkeiten gehalten wird. Es triumphiert der Segen der Erde und ihrer prallen Früchte, die gelegentlich vor Überreife schon verderben.

Fromm ist diese pagane Malerei auf eine Weise dennoch. Denn sie handelt vom Menschen als einer unterworfenen Kreatur, geschwellt oder gebeugt von den Zyklen, die Eros und Thanatos über ihn verhängen.

Die Ausstellung „Jordaens und die Antike“ ist bis zum 16. Juni in der Kunsthalle Fridericianum, Friedrichsplatz 18, in Kassel täglich außer montags von 10 bis 17 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr, zu sehen. Telefon: 05 61 / 707 27 20

Der Katalog mit 316 Seiten (Hirmer-Verlag) kostet 39 Euro.

 www.fridericianum-kassel.de

Foto: Jacques Jordaens, Der Triumph des Bacchus, Öl auf Leinwand, 1640–1649: Das Bild wirkt wie die heidnische Variante zu einer Verspottung Christi

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