© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/13 / 24. Mai 2013

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Kampf um die Deutung
Marcus Schmidt

Zum Schluß gab es noch ein Familienfoto. Nachdem der Untersuchungsausschuß des Bundestages zum „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) in der vergangenen Woche seine letzten öffentlichen Zeugenvernehmungen beendet hatte, strömten die Abgeordneten und ihre zahlreichen Mitarbeiter aus dem Sitzungssaal im Berliner Marie-Elisabeth-Lüders-Haus. Freundlich lächelnd stellten sie sich auf der Treppe im Foyer den Fotografen und Fernsehteams.

Es war vielleicht das letzte Mal, daß sich die Mitglieder des NSU-Ausschusses in der Öffentlichkeit so einträchtig präsentiert haben. Denn nun, wo die von den Medien stets aufmerksam verfolgte Beweisaufnahme zu Ende gegangen ist, in deren Verlauf 90 Zeugen von Ministern über Ermittler der Polizei bis hin zu Mitarbeitern des Verfassungsschutzes befragt wurden, machen sich die Abgeordneten hinter verschlossenen Türen an den Abschlußbericht. Und hier lauert Konfliktstoff. Denn in dem dreiteiligen Bericht geht es nicht allein um die Dokumentation der aufgedeckten Pannen und Versäumnisse rund um die mutmaßlichen Terroristen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe, sondern auch um deren Bewertung und – was entscheidend ist – um die politischen Konsequenzen, die daraus zu ziehen sind. Hier scheint trotz aller Beteuerungen der fraktionsübergreifenden Gemeinsamkeiten Streit unvermeidbar. Auch wenn zum Abschluß Vertreter aller Parteien im Untersuchungsausschuß, der Anfang vergangenen Jahres als erster überhaupt vom Bundestag einstimmig eingesetzt worden war, den Behörden im Zusammenhang mit der Mordserie schwere Fehler und Versagen vorwarfen, gehen die Forderungen teilweise weit auseinander. Sie reichen etwa von dem Ruf nach einer Stärkung des Bundesamtes für Verfassungsschutz bis hin zu einer kompletten Auflösung des Verfassungsschutzes. Und auch die Frage, ob die Versäumnisse der Behörden auf eine dort angeblich vorherrschende „rassistische Grundhaltung“ zurückzuführen sind, dürfte kaum im Konsens entschieden werden.

Wie schon bei den Zeugenvernehmungen ist die Zeit auch für die Erstellung des Abschlußberichtes, der mehr als tausend Seiten umfassen wird, knapp bemessen. Mit dem Ende der Legislaturperiode endet automatisch der Auftrag des Gremiums, bis dahin muß der Abschlußbericht, der Anfang September debattiert werden soll, vorliegen.

So ganz haben die Ausschußmitglieder indes mit der Beweisaufnahme doch noch nicht abgeschlossen. Dafür haben sie in den vergangenen 15 Monaten zu viele Überraschungen erlebt. Erst in der vergangenen Woche wurden zudem weitere Akten zur Vorgeschichte des NSU angefordert. „Wir können jederzeit wieder in die Beweisaufnahme einsteigen“, sagt Unions-Obmann Clemens Binninger. Ginge es nach den Liberalen, würde der nächste Bundestag sowieso einen neuen NSU-Ausschuß einsetzen, doch FDP-Obmann Hartfrid Wolff steht mit dieser Forderung bislang allein. Aber alle wissen – jeder neue Skandal, den die Akten oder der Münchner NSU-Prozeß zutage fördert, kann dies ändern.

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