© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/13 / 24. Mai 2013

„Bürger statt Eurokraten“
Die EU-kritische UKIP schickt sich an, sich als bürgerliche Alternative in Großbritannien zu etablieren. Mit drastischer Kritik und viel Humor hat Nigel Farage seine Partei zum Erfolg geführt.
Moritz Schwarz

Herr Farage, jahrelang wurde Ihre Partei als Narrenverein dargestellt, heute zittert das politische Establishment in London vor Ihnen. Wie haben Sie das gemacht?

Farage: Ganz einfach, niemals die Zuversicht und vor allem die gute Laune verlieren! Wir Briten waren auch deshalb zumeist erfolgreich, weil wir mit einer gewissen Gelassenheit und einem Schuß Humor ans Werk gegangen sind.

Im Ernst, vor knapp zwanzig Jahren ist die „United Kingdom Independence Party“ (UKIP) mehr oder weniger als „Ein-Mann-Verein“ gestartet, jetzt wurde sie bei den britischen Kommunalwahlen drittstärkste Kraft.

Farage: Viele Briten erkennen, daß die UKIP nicht einfach nur zum Thema EU etwas zu sagen hat, sondern daß wir insgesamt die Debatte im Vereinigten Königreich verändert haben, daß wir mehr neue Themen einbringen und das unverblümter und offener tun als die etablierten Parteien.

Zum Beispiel?

Farage: Wir haben zu allen möglichen Themen prononcierte Positionen, wie Bildung, Energiepolitik, Steuern, Einwanderung. Oder nehmen Sie die Homo-Ehe – ja, wir sind dagegen, anders als das politisch korrekte Westminster.

Sie sprechen vom britischen Regierungsbezirk in London.

Farage: Nach dem jüngsten UKIP-Wahlsieg hatten einige Leute im Regierungsapparat schlaflose Nächte. Das gefällt vielen Bürgern – und mir auch.

Mit Bierglas und Zigarette im Pub, so zum Beispiel lassen Sie sich gerne abbilden.

Farage: Warum denn nicht?

Weil Sie damit das Klischee vom Stammtisch-Politiker bedienen.

Farage: Nun, ich nehme gerne auch mal ein Gläschen zu mir oder rauche eine, das hebt die Stimmung. Soll ich etwa so werden wie diese todlangweiligen Eurokraten in Brüssel, nein danke!

Denen bescheinigen Sie, das „Charisma eines nassen Lappens“ und die „Erscheinung eines kleinen Bankangestellten“ zu haben.

Farage: Ich hatte lediglich meinen Eindruck des Anfang 2010 frisch ins Amt gekommen EU-Präsidenten Herman Van Rompuy geschildert, der – so glaube ich – in einer demokratischen Volkswahl niemals gewählt worden wäre. Aber diese Herrschaften halten nichts von der Demokratie – kein Wunder, sonst säßen die meisten von ihnen gar nicht in ihren Sesseln.

Auf Youtube ist diese Rede ein Renner.

Farage: Van Rompuy ist ein typischer Vertreter der Eurokraten-Klasse, die den demokratischen Nationalstaat, die Staatsform der Bürger, ablehnt und verschwinden sehen will. Da ist es kaum erstaunlich, daß einer, der das diesen Leuten mal ins Gesicht sagt, bei diesen unbeliebt, bei den Bürgern aber populär wird.

Für den „nassen Lappen“ hatten Sie schließlich 2.980 Euro Strafe zu zahlen.

Farage: Erst mal wurde der unartige Nigel ins Büro des Schuldirektors – des Parlamentspräsidenten – zitiert. Da stand er dann, und sie versuchten ihn zu maßregeln: Sie sagten, meine Rede sei unerhört gewesen! Ich müsse mich entschuldigen! Und zwar bei Van Rompuy, beim Parlament und beim belgischen Staat.

Warum beim belgischen Staat?

Farage: Weil ich in der Debatte den Verdacht geäußert hatte, Van Rompuys ständige Diskreditierung des Nationalstaats hänge damit zusammen, daß er aus einem europäischen Staat kommt, der tatsächlich kein funktionierender Nationalstaat ist: Belgien. Und ich ihn daran erinnert habe, daß das aber das Problem der Belgier sei und er es nicht auf die intakten Nationalstaaten der Franzosen, Briten oder Deutschen projizieren solle.

Eine Entschuldigung lehnten Sie aber ab.

Farage: Das stimmt nicht! Nur die bei Van Rompuy, dem Parlament und dem Staat Belgien. Allerdings bot ich an, mich gegenüber allen kleinen Bankangestellten weltweit zu entschuldigen, falls ich ihnen mit meinem Vergleich zu nahe getreten sein sollte.

Damit waren sie wohl kaum zufrieden.

Farage: Deshalb brummten Sie mir ja schließlich die fast 3.000 Euro auf – die maximale Strafe, die in solch einem Fall verhängt werden kann.

Sie sagen: Eine Frage der Meinungsfreiheit.

Farage: Sicher, denn die Grenzen der Meinungsfreiheit liegen beim Aufruf zur Gewalt, nicht aber bei der Darstellung einer anderen politischen Sichtweise.

Immerhin haben Sie Van Rompuy öffentlich entgegengeschleudert „Verschwinden Sie!“ Das ist schon mehr als nur eine Meinungsäußerung.

Farage: Moment, ich habe zu ihm gesagt: „Herr Präsident, wir kennen Sie nicht, wir haben Sie nicht gewählt, also verschwinden Sie!“ So läuft das in der Demokratie.

Aber neigen Sie nicht doch dazu, mitunter ausfällig zu werden?

Farage: Oh, ich halte mich eigentlich für einen sehr umgänglichen Menschen.

In einem Interview nannten Sie die EU eine „Bande ehrgeiziger, machtversessener Irrer“.

Farage: Eine „Gruppe“ – ich sagte eine „Gruppe ehrgeiziger, machtversessener Irrer“. Und ich fügte hinzu: „Die die Demokratie zerstören will und Europa als Geisel hält.“ Das ist doch die Wahrheit, inwiefern ist das nun ausfallend?

Nun ...

Farage: Ich frage Sie: Haben Sie je über die EU abgestimmt?

Ich?

Farage: Ja, Sie! Sie und Ihre achtzig Millionen Landsleute, die Sie von der EU als Melkkuh gebraucht werden? Also, ich habe das nicht! Die Italiener auch nicht, die Spanier nicht und auch ihr Deutschen nicht. Hat irgend jemand in Europa je darüber befunden, daß wir unsere Nationalstaaten, unsere nationale Identität oder unser Recht auf demokratische Selbstbestimmung aufgeben?

Ist das Ende der Nationalstaaten nicht Voraussetzung für den Frieden in Europa?

Farage: Nein, es waren nicht die Nationalstaaten, sondern der Zusammenbruch der Demokratie auf dem Kontinent, die 1939 zum Krieg führten. Seit 1945 haben wir wieder Demokratie und „trotz“ Nationalstaaten keine Kriege mehr. Außerdem war es nicht die EU, sondern die Nato-Soldaten und Atomwaffen, die den Frieden im Kalten Krieg sicherten. Und erwachsene, funktionierende Demokratien führen keine Kriege gegeneinander. Deshalb halte ich es ja auch für so alarmierend, daß die EU die Demokratie zerstören will.

Mal im Ernst – glauben Sie das wirklich oder ist das nur Politikergetöse?

Farage: Ich glaube, Sie sind sich nicht im klaren, wie diese Leute tatsächlich denken. Glauben Sie mir, diese Eurokraten verachten die Bürger, sie verachten sie buchstäblich. Natürlich hören Sie sie ständig davon sprechen, daß sie um mehr demokratische Unterstützung für die EU bemüht seien. Ich sage Ihnen: Lächerlich! Tatsächlich behandeln sie die Demokratie voller Geringschätzung, die Bürger stören sie, und sie versuchen, den Bürgerwillen wo sie nur können zu unterlaufen. Statt dessen verfolgen sie weiter ihre Agenda der Auflösung der Nationalstaaten und Aushöhlung der Demokratie. Wenn mir jemand sagt, die EU sei undemokratisch, dann sage ich: Nein! Die EU ist nicht undemokratisch, sie ist antidemokratisch.

Jedenfalls scheinen Sie den Nerv nicht nur der Briten, sondern vieler Europäer getroffen zu haben. Eine portugiesische Popband hat einen ihrer Musiktitel mit Ausschnitten Ihrer Reden unterlegt.

Farage: Die Bürger merken natürlich, daß es in der EU unaufhörlich darum geht, ihnen ihre Rechte, ihre Souveränität und ihre Identität zu nehmen und aus der EU eine Art Sowjetunion neuen Typs zu machen. Das ist es, was nämlich dabei herauskommt, wenn man den Prozeß des Souveränitätstransfers nicht stoppt. Aber genau das ist es auch, wovon diese Leute träumen! Sie sehen Rußland, China, sie sehen Barack Obama, und sie wollen auch so mächtig sein. Doch neben ihnen sind sie eben nur politische Pygmäen, und das wurmt sie. Deshalb tun sie so als ob: Sie lassen in Brüssel Soldaten des Eurokorps Spalier stehen, stehen stramm, während sie ihre Flagge hissen und intonieren regelmäßig die Europahymne, so als seien sie eine Macht.

Geben Sie uns doch bitte mal ein konkretes Beispiel für dieses Demokratidefizit.

Farage: Erinnern Sie sich an die Europäische Verfassung, den heutigen Lissabon-Vertrag? Durften die Deutschen darüber abstimmen?

Nein.

Farage: Durften Franzosen, Holländer und Iren darüber abstimmen?

Ja.

Farage: Und wie haben sie gestimmt?

Mit Nein.

Farage: Und hat es ihnen etwas genützt? Nein heißt nein – aber nicht in der EU. Statt dessen wurden die Bürger, die in Frankreich, Holland und Irland gegen die Verfassung gestimmt hatten, im Europäischen Parlament als „geisteskrank“ geschmäht und ihnen vorgeworfen, sie hätten damit „dem Faschismus die Pforten geöffnet“. Und als ich es wagte, diesen Eifer gegen ein klares demokratisches Votum zu kritisieren, wurde ich als „paranoider Reaktionär“ beschimpft. Das ist das, was diese Leute über die Demokratie denken, wenn sie es wagt, sich ihren Absichten in den Weg zu stellen.

Nun ist hierzulande mit der „Alternative für Deutschland“ eine neue Euro-kritische Partei entstanden.

Farage: Was ich mit Interesse zur Kenntnis genommen habe. Überhaupt finde ich interessant, daß sich in Deutschland die Stimmung zu wandeln scheint.

Inwiefern?

Farage: Ich meine, ein gewisses Erwachen in Deutschland zu bemerken: ein neues Bewußtsein für die eigene Identität, ein erneuertes Verlangen nach demokratischer Selbstbestimmung.

Pardon, wo bitte stellen Sie das fest?

Farage: Man muß sich klarmachen, wie schwer eure Geschichte lange Zeit auf euch Deutschen gelastet hat. Es war doch das Schuldgefühl für das, was im Zweiten Weltkrieg passiert ist, was euer Verhältnis zu anderen Nationen seit 1945 dominiert hat. Und nun plötzlich gibt es eine andere Stimmung. Ich sehe eine junge Generation, die diese Schuld nicht mehr in der gleichen Art und Weise empfindet wie noch ihre Väter und Großväter. Diese Generation sagt: „Ja, natürlich, wir wollen offen und demokratisch leben, wir wollen Frieden, Verständigung und Kooperation mit unseren Nachbarn. Aber wir sind nicht mehr bereit, das Leihhaus Europas zu sein. Entschuldigung, aber wir werden nicht den Kopf für das EU-Budget oder die Mißwirtschaft anderer Länder in Europa hinhalten, zumal wenn sie sich unter falschen Vorgaben in den Euro geschlichen haben!“ Das alles finde ich in jeder Hinsicht eine außerordentlich positive Entwicklung in Ihrem Land. Ist Ihnen das denn gar nicht bewußt?

Nun, tatsächlich betreibt Deutschland doch eine ganz andere Politik.

Farage: Ja, doch welchen Eindruck erweckt Frau Merkel denn bei ihren Deutschen? Doch wohl den, sie würde versuchen, die Interessen ihrer Landsleute so gut wie möglich zu verteidigen. Denn Frau Merkel ist schlau, sie spürt diese Stimmung, und sie versucht mit ihr, nicht gegen sie zu regieren. Nun ist es also an den Deutschen selbst, das zu durchschauen und ihr Schicksal in die Hand zu nehmen und, wie die Bürger bei uns die UKIP, in Deutschland künftig auch eine neue Opposition zu formen, die diese Stimmung in konkretes politisches Handeln umsetzt. Gut gelaunt und mit dem nötigen bürgerlichen Selbstbewußtsein können sich auch die Deutschen ihre Demokratie zurückerkämpfen.

 

Nigel Farage, ist Mitbegründer und Vorsitzender der United Kingdom Independence Party (UKIP), außerdem vertritt er die Partei im Europäischen Parlament, wo er auch die Fraktion „Europa der Freiheit und der Demokratie“ (EFD) führt, der die UKIP angehört. Der selbständige Handelsmakler und ehemalige Tory, Jahrgang 1964, gründete die Partei (Logo rechts) 1993 zusammen mit enttäuschten konservativen Parteifreunden. 1999 zog sie mit sieben Prozent erstmals ins EU-Parlament ein, wurde bei der Europawahl 2009 aber mit 16,5 Prozent bereits zweitstärkste Partei Großbritanniens. Bei den Unterhauswahlen 2010 erreichte sie dagegen nur 3,1 Prozent. Doch nun errang sie bei den Kommunalwahlen Anfang Mai, vor allem auf Kosten der konservativen Tories, mit rund 23 Prozent enorme Stimmgewinne (JF berichtete), wenn auch, wegen des Mehrheitswahlrechts, nur 6,2 Prozent der Mandate. In den Umfragen für die Unterhauswahl, die allerdings erst 2015 ist, liegt die UKIP derzeit bei 22 Prozent – und damit nur zwei Prozent hinter den regierenden Konservativen.

www.ukip.org

Foto: Parteichef Farage in Aktion: „Wir sind anders als das politisch korrekte Westminister (...) und als die EU, die den Nationalstaat – die Staatsform der Bürger –, die die Demokratie zerstören will (...) Unser Geheimnis ist, mit Gelassenheit und Humor ans Werk zu gehen, vor allem niemals die Zuversicht und die gute Laune zu verlieren. “

 

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