© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/13 / 17. Mai 2013

Die nächste Pandemie kommt sicher
Magdeburger Biologen sind auf dem Weg zum idealen Grippeimpfstoff
Frank Giese

Im Februar infizierten sich Menschen erstmals mit dem neuen Virus H7N9, den das Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) als bisher unbekannte Variante des „Vogelgrippe“-Virus H5N1 klassifiziert. In China sind Hunderte Infizierte registriert, Dutzende sind bereits verstorben. Am 24. April meldete Taiwan sein erstes H7N9-Opfer.

Doch abgesehen von einer aktionistischen Massentötung von 100.000 Hühnern, Enten, Gänsen und Tauben reagieren die chinesischen Gesundheitsbehörden eher bedächtig. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die vom „tödlichsten Influenzavirus, das wir bisher gesehen haben“ spricht, empfiehlt keine Einreisekontrollen oder Reisebeschränkungen, um die Ausbreitung über China und Taiwan hinaus zu verhindern, da sie eine Übertragung von Mensch zu Mensch nahezu ausschließt.

Vielleicht sind die WHO-Experten aber nur davon überzeugt, daß sich die Krankheit gar nicht eindämmen läßt. Denn Viren gelten als die größten Gewinner der Globalisierung. Die Mobilitätsmuster der Moderne, der internationale und interkontinentale Reiseverkehr, die übervölkerten Metropolen, die Massentierhaltung oder der exzessive Antibiotikagebrauch – das seien durchweg „hervorragende Bedingungen“ für Viren, um eine große Zahl von Wirten zu infizieren, wie Meike Wolf ausführt (Forschung, 1/13).

Die Frankfurter Kulturanthropologin untersucht mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) die „Globalisierung der Grippe“ und die gesundheitspolitische Reaktion darauf, wie sie sich in Deutschland in einer öffentlich kaum wahrgenommenen „Pandemieplanung“ abzeichnet. Anstoß dazu gaben die rasende Ausbreitung der Atemwegserkrankung SARS (2003), das rasche Vordringen der „Vogelgrippe“ (2004) und der „Schweinegrippe“ (2009). SARS habe das Muster vorgegeben, auf das Prävention abzustellen sei: Hier traten die ersten Fälle Ende 2002 in Südchina auf, nach vier Monaten stellte sich der Erreger in Hongkong ein und benötigte von diesem Luftkreuz aus nur wenige Wochen, um in 29 Staaten über 8.000 Menschen zu infizieren.

Der nationale Pandemieplan, 2007 vom Berliner Robert-Koch-Institut vorgelegt, geht in seinen Modellrechnungen für die nächste Pandemie, zu der SARS oder die Vogelgrippe nur „Probeläufe“ waren, von 100.000 Toten binnen einiger Wochen allein in Deutschland aus. Und die Frage sei nicht, ob diese Katastrophe eintrete, sondern nur wann.

Für diesen Ernstfall befürchten Magdeburger Mikrobiologen jedoch, daß der Impfstoff knapp werden könnte. Denn seit Jahrzehnten nutzt man Hühnereier zur Herstellung von Grippeimpfstoff. Momentan decken sie 95 Prozent der produzierten Vakzindosen ab. Einer Pandemie jedoch wären diese Produktionskapazitäten nicht gewachsen. Daher konzentrieren sich die Forscher am Max-Planck-Institut für Dynamik komplexer technischer Systeme darauf, Impfstoffe aus Zellkulturen zu gewinnen.

Obwohl es dafür weite Anwendungsbereiche gibt, beschränkt sich die Arbeitsgruppe um den Bioprozeßtechniker Udo Reichl auf die Herstellung des „idealen Grippeimpfstoffes“, der kostengünstiger sein soll, der ausreichend verfügbar sein muß, einen längeren Impfschutz als ein Jahr bietet, ohne Nebenwirkungen ist, einfach verabreicht und gut gelagert werden kann. Zudem müßte dieser universale Impfstoff unempfindlich gegen die ständige Veränderung der Influenzaviren sein (Chemie in unserer Zeit, 1/13).

Reichls Mannschaft glaubt sich auf einem guten Weg, vermag den Stoff aber noch nicht zu liefern. Denn die Produktionszellinien entsprechen bisher nicht den Forscherwünschen. So sei bei der Auswahl der Zellen, die frei von Viren, Bakterien, Pilzen und anderen möglichen Kontaminaten sein müssen, noch „Optimierungsarbeit“ zu leisten. Das volle Potential der zellkulturbasierten Herstellungsprozesse könne darum noch nicht ausgeschöpft werden. Erst eine gezielte Verbesserung der biologischen Systeme lasse „erhebliche Ausbeutesteigerungen“ und die Herstellung des „idealen“ Impfstoffs erwarten.

Foto: H7N9-Bekämpfung in der ostchinesischen Provinzstadt Tianchang, April 2013: „Tödlichster Influenzavirus, den wir bisher gesehen haben“

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