© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/13 / 17. Mai 2013

Der Unsterblichkeit entsagt
Feen-Spuk in der Leiziger Oper: Bombastischer Leerlauf in Wagners Frühwerk
Sebastian Hennig

Eine Koproduktion zwischen dem Opernhaus der Geburtsstadt Richard Wagners und den Festspielen am Ort seiner Grabstelle wendet sich nicht den eindrucksvollsten Ausformungen seines Genies zu, sondern entnimmt eine Fruchtwasserprobe vom Embryo dessen, was erst später als Richard Wagner in die Welt trat. Das Wagner-Werk-Verzeichnis (WWV) beginnt mit „Leubald. Trauerspiel in fünf Akten“ mit der Ergänzung: Musik nicht erhalten und möglicherweise gar nicht geschrieben. Das ist freilich nur für die Musikwissenschaftler bedauerlich. Theater- und Musikfreunde entbehren damit nichts.

Für diese Feststellung geben uns „Die Feen“ den Maßstab. Die romantische Oper in drei Akten des zwanzigjährigen Wagner sollte am Leipziger Stadttheater aufgeführt werden. So weit kam es damals nicht, möglicherweise auch, weil die durchkomponierte Musik das Befremden der Direktion erregte. Die Uraufführung ereignete sich also erst 1888 während einer festlichen Präsentation sämtlicher Bühnenwerke anläßlich des 75. Geburtstags des fünf Jahre zuvor verstorbenen Meisters. Richard Strauss war mit der Einstudierung beschäftigt und durch die Musik bezaubert. Die Aufführung war ein Erfolg und das Werk für Jahre die meistgespielte Wagner-Oper in München.

Der Zyklus der Kulturentwicklung kennt nicht nur Spenglersche Dimensionen, sondern auch raschere Intervalle, den Wechsel von Einatmen und Ausatmen. Auf dem Höhepunkt des zweiten Reiches war das Begehren nach prunkvoller Äußerlichkeit offenbar so stark wie in den biedermeierlichen Jahrzehnten vor Wagners Bühnenreformen. Dabei diente dem jungen Tonsetzer als Libretto ein Zaubermärchen des genialen Carlo Gozzi. Im Hinblick auf die Kongenialität von Gozzi und Wagner wäre es jedoch unzweifelhaft eine angemessenere Würdigung gewesen, wenn man Gozzis „La donna serpente“ in der deutschen Übertragung als Sprechtheater zur Aufführung gebracht hätte. Doch es handelt sich bei „Die Feen“ um so kostbaren wie sinnfreien Rohstoff für die Eitelkeit der Regisseure und Musikanten.

Das beginnt mit einer endlos sich schraubenden Ouvertüre, deren musikalisches Material nicht besonders umfang- und erfindungsreich ist. Einzelne schöne Stellen sind zu entdecken, so das Lied der Hexe Dilnoraz oder der Verkleidungsspuk mit dem Geistlichen. Dazwischen regiert zumeist Langeweile und Geleier ohne dramatische Wirkung.

Wir sehen: Wagner erwies sich in dieser Epoche seines Lebens als hochbegabter Meyerbeerianer. Das ist eine heftige Zumutung für Neu-Wagnerianer, so zischt mir meine Begleiterin bald ins Ohr: „Wir gehen dann. So ’nen Schwachsinn halt’ ich nicht länger aus.“ Doch die Quersumme des Publikumsleides bleibt immer tragbar. Ist man bei Wagner sonst phantastische Musik zu schwachsinnigen Szenen gewohnt, kommt es hier einmal andersherum: Wo seine Kunst auf alberne Weise unschädlich ist, darf sie wie großes Kino inszeniert werden. Im Feuerzauber steigen und versinken die Figuren. Es gibt keine mutwillige Zerstörung der Aura des Werkes, um so mehr aber unfreiwillige Komik, die durch Pannen noch verstärkt wird, wenn die großartig gedachten Szenenwechsel zwischen profaner und Feenwelt bei der Premiere durch das Versagen der Hebebühne in einem konfusen Geruckel verebben.

Und das Bühnenbild ist steril wie Plakatkunst. Den Regisseuren aus Übersee sind staatliche und kommunale Opernhäuser mit Werkstätten und Malsaal unbekannt, aus denen hierzulande zu jeder Inszenierung eine vollkommene neue Welt heraufsteigt. Per Mausklick haben sie da ein Bühnenbild zusammengeklimpert und durch Drucker ausliefern lassen. Das ist eine beschämende Angelegenheit für die handwerkliche Potenz des Leipziger Opernhauses. Besonders flach, wie ein riesiger Bastelbogen, wirkte die Burg im zweiten Akt.

Die Handlung zeigt viele Elemente der frühen Werke von „Holländer“ bis „Lohengrin“ in noch ungeordneter Fassung. Hier ist es nicht die einfache Frau, die sich für den sonderbaren Mann opfert, sondern die Fee opfert sich, wie im Märchen von der Seejungfrau, für den Ritter: „Was ist Unsterblichkeit? Ein grenzenloser, ew’ger Tod.“ Der liebende Mann soll dann jede Handlung seiner wunderlichen Gattin sanktionieren. Sie verlangt, daß er ohne Einspruch zusieht, wie sie ihre beiden Kinder im Feuer vergehen läßt.

Im vorgelesenen Märchen, wenn die Bilder im Kopf aufsteigen, hat das seine Würde, auf der Bühne ist es einfach nur Quatsch, von jener Art, wie sie Wagner in seinen Schriften oft genug und völlig zu Recht gegeißelt hat. Dazu gibt es jede Menge schwierige Koloraturen, großartig gemeinte Chorszenen und einige wirklich heitere Einfälle. Letztlich aber hätte wohl niemand etwas vermißt, wenn dieses Frühwerk ungeschrieben geblieben wäre. Die Zauberstücke von Carlo Gozzi hingegen sind zu Unrecht in Vergessenheit geraten.

Die nächste Vorstellung „Die Feen“ in der Oper Leipzig, Augustusplatz 12, findet am 24. Mai um 19.30 Uhr statt. Kartentelefon: 03 41 / 12 61 261

http://oper-leipzig.de

Eine konzertante Aufführung ist am 9. Juli in der Oberfrankenhalle in Bayreuth zu hören.

www.wagnerjahr2013.de

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