© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/13 / 10. Mai 2013

Wider jeden Geist
Vor achtzig Jahren verbrannten Nationalsozialisten vor 21 deutschen Universitäten Bücher ihnen unliebsamer Autoren
Thorsten Hinz

Die Bilder von der Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 besaßen von Anfang an ikonographische Bedeutung, allerdings eine andere, als ihre Urheber beabsichtigt hatten. Sie hat sich noch verstärkt durch das Wissen, daß die Worte Heinrich Heines: „Dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen“, sich mit gespenstischer Zwangsläufigkeit bestätigt haben. Am bekanntesten ist der papierne Scheiterhaufen auf dem Berliner Opernplatz, doch der gleiche Vorgang spielte sich in 21 weiteren Universitätsstädten ab.

Die Nationalsozialisten verstanden ihre Machtergreifung zugleich als Beginn einer geistig-kulturellen Umwälzung. Schon im Februar 1933 begannen sie mit der Säuberung der Preußischen Akademie der Künste. Der Vorsitzende der Dichterabteilung, Heinrich Mann, wurde zum Rücktritt gezwungen, andere Schriftsteller – darunter Thomas Mann und Alfred Döblin – schieden aus, indem sie es ablehnten, der Hitler-Regierung ihre Loyalität zu versichern. Das neugegründete Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda unter Joseph Goebbels veröffentlichte eine Liste mit 71 Autoren, die aus den Bibliotheken auszusondern waren. Sie reichte von Bertolt Brecht über Lion Feuchtwanger, Erich Kästner bis zu Arnold und Stefan Zweig.

Trommelnd voran ging die Deutsche Studentenschaft, die nationalsozialistisch dominierte Studentenvertretung. Am 12. April plakatierte sie ihre 12 Thesen „Wider den undeutschen Geist“, in denen „der Jude“ bzw. der „jüdische Intellektualismus“ als „gefährlichster Widersacher“ der deutschen Sprache und Kultur angeprangert wurden. Es folgten Aufrufe und Initiativen, „undeutsche Bücher“ aus öffentlichen und privaten Bibliotheken abzuholen. Untermalt von Blasmusik, besetzten am 6. Mai rund hundert Studenten das Institut für Sexualforschung in Berlin, verwüsteten es und raubten die Buchbestände.

Vermißtes Symbol für die revolutionäre NS-Basis

Die Studenten hatten schon vor der Machtergreifung mehrheitlich mit den Nationalsozialisten sympathisiert, was umgekehrt bedeutet: Die Weimarer Republik hatte sie – wie die deutsche Jugend überhaupt – verloren bzw. nie erreicht. Gleiches galt für die jungen Arbeiter. Die Studenten entstammten überwiegend einem bürgerlichen Milieu. Eine Minderheit radikalisierte sich nach links und sympathisierte mit dem Kommunismus, die meisten aber mit dem Nationalsozialismus, der etwas Neues, die Verbindung der nationalen mit der sozialen Idee, versprach. Es war ein Aufstand gegen die Welt der Väter. Selbst Stefan Zweig hatte die Septemberwahl 1930, die der NSDAP den Durchbruch brachte, als Revolte der Jugend gedeutet und begrüßt.

Es lag in der Natur der Sache, daß die NS-nahen Studenten den etablierten Kultur- und Medienbetrieb bekämpften, der überwiegend republikfreundlich und liberal gesinnt war und – in dem der jüdische Hintergrund vieler Akteure überproportional hoch war. Mit dem ihr eigenen Freimut hielt die Journalistin und Zeitzeugin Margret Boveri gegenüber Uwe Johnson fest: „Und auf manchen Gebieten – Kunst, Theater, Konzerte, Presse – hatten die Juden eben fast alles in der Hand; Ullstein und Mosse, dächte ich, waren mächtiger als Scherl.“

Während das Regime zu seiner Konsolidierung den bürokratischen Verwaltungsakt bevorzugte, dem es mit dosierter Gewalt energisch Nachdruck verschaffte, bestanden Teile der SA und die Studentenschaft weiter auf der revolutionären Geste. Sie vermißten das aufrüttelnde symbolische Ereignis, vergleichbar der Erstürmung der Bastille und den Hinrichtungen der Könige in England und Frankreich. Der formierte Fackelzug am 30. Januar, dem Tag der Machtergreifung, war nicht genug, um ihre Erwartungen und aufgestauten Energien zu binden. Die nächtliche Bücherverbrennung sollte ein sichtbarer  symbolischer Akt sein, mit dem eine überwundene Ära ins Nichts gestoßen wurde. Die Initiatoren knüpften propagandistisch an die Verbrennung der Bannbulle durch Martin Luther und an das Wartburgfest an. Propagandaminister Goebbels konnte es sich nicht leisten, seine Anhänger zu enttäuschen und erklärte sich bereit, bei der Gelegenheit eine Rede zu halten. Das Berliner Autodafé wurde auch vom Rundfunk übertragen.

94 Autoren waren von der Verbrennung betroffen. Begleitet von „Flammensprüchen“, wurden 15 von ihnen namhaft gemacht. Neben Karl Marx, Karl Kautsky und Sigmund Freud („Freudsche Schule“) handelte es sich um linke und bürgerlich-liberale Schriftsteller und Publizisten, die als wurzellose „Zivilisationsliteraten“ galten. Denen man vorwarf, das Opfer der deutschen Soldaten im Weltkrieg zu verhöhnen und sich in Komplizenschaft mit den Feinden Deutschlands begeben zu haben. Die bekanntesten waren Heinrich Mann, der unbeirrt von Versailles ein ätherisches Frankreichbild zeichnete, Erich Maria Remarque wegen des Antikriegsromans „Im Westen nichts Neues“, Kurt Tucholsky, von dem der Spruch „Soldaten sind Mörder“ stammt, und der inhaftierte Carl von Ossietzky, der in der Weltbühne die geheime Aufrüstung der Reichswehr publik gemacht hatte. Rund 70.000 Zuschauer sollen allein in Berlin dem Spektakel beigewohnt haben. Die meisten von ihnen dürften dem Typ des sensationslüsternen Gaffers entsprochen haben, der sich während der Französischen Revolution eben mal um das Blutgerüst versammelte.

Kritik konnte sich nur verhalten äußern. Am weitesten wagte sich die Frankfurter Zeitung vor, die mit Goethe, Lessing und Theodor Mommsen argumentierte und die Forderung, jüdische Autoren müßten entweder in jüdischer Sprache publizieren oder ihre Werke als Übersetzung kennzeichnen, mit der entwaffnenden Gegenfrage zurückwies: „Warum soll der deutsche Jude hebräisch schreiben, wo er doch weder hebräisch denkt noch schreibt, noch sprechen kann?“ Konsequenterweise müsse die „nationale Jugend“ dann „gotisch“ schreiben und „ihre Kolleghefte über Chemie oder Handelsrecht mit germanischen Runen füllen“.

Zu einer Kulturrevolution kam es danach nicht

Die Rufschädigung gegenüber dem Ausland und die einschüchternde Wirkung nach innen waren enorm. Sogar NS-Funktionären und sympathisierenden Journalisten war nicht ganz wohl dabei. Sie verteidigten die Aktion als Ausdruck jugendlichen Idealismus’ und dementierten, daß ausländische Autoren von ihr betroffen waren. Noch war Deutschland kein gänzlich gleichgeschaltetes Land, zu einer Kulturrevolution wie im maoistischen China kam es nicht, das kulturelle und literarische Leben blieb erstaunlich vielfältig. Andererseits macht ihr demonstrativer Charakter und gewalttätiger Gestus es schwer, die Bücherverbrennung einfach in den Kontext allgemeiner Verbots- und Zensurmaßnahmen zu stellen, die sich meistens auf dem Wege der geräuschlosen Bürokratie vollziehen.

Vor allem die Mischung aus staatlich legalisierter und geschützter Gewalt, die als jugendliches Engagement daherkam – im Grunde ein gefahrlos ausgelebter Sadismus –, und aus amtlicher Akkuratesse läßt das Ereignis so abstoßend erscheinen. Seine Latenz und sein symbolisches Potential haben sich mit dem Nationalsozialismus keineswegs erledigt. Ray Bradbury hat im Roman „Fahrenheit 451“ das Bild einer modernen, technisch perfektionierten Gesellschaft gezeichnet, in der das selbständige Denken und deswegen auch Bücher verboten sind. Für ihre Verbrennung ist ausgerechnet die Feuerwehr zuständig, die statt mit Wasserspritzen mit Stahlrohren ausgerüstet ist, die große Hitze erzeugen. Nichts war und ist so klar und eindeutig, wie es auf den ersten Blick erscheint.

 

Bücherverbrennung von nationalsozialistischen Studenten vor der Berliner Oper am 10. Mai 1933; Mahnmal am gleichen Ort 2013: Die Werke von 94 Autoren betroffen

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