© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/13 / 10. Mai 2013

Zeitschriftenkritik: Rabenflug
Geschichtsvergessen
Werner Olles

An Kultur- und Literaturzeitschriften herrscht hierzulande wahrlich kein Mangel, doch befassen sich die wenigsten auch mit historischen und politischen Themen. Anders die von Evelyne v. Bonin seit 1991 herausgegebene, inzwischen nur noch unregelmäßig erscheinende Zeitschrift Rabenflug. Neben Essays, Kurzprosa, Gedichten, Buch- und Kulturnotizen weist die Herausgeberin in ihrem Editorial immer wieder auf die in der Bundesrepublik herrschende Geschichtsvergessenheit hin. So auch in der aktuellen Ausgabe (Nr. 40/2013), in der an die preußisch-deutschen Befreiungskriege von 1813 bis 1815 erinnert wird, die das Ende der Vorherrschaft des napoleonischen Frankreich besiegelten und in die Schlacht von Waterloo mündeten. Doch findet hierzulande anläßlich des 200. Geburtstages der Nationalfarben Schwarz-Rot-Gold, die als Symbol für Einigkeit, Recht und Freiheit gelten, kein einziger Festakt statt. Nicht einmal mit einer Sonderbriefmarke wird an dieses Erbe erinnert. Ein erbärmliches Zeugnis der Geschichtsvergessenheit.

 

Während 1913 das Völkerschlachtdenkmal in Leipzig feierlich eingeweiht wurde, ist heute, hundert Jahre später, auch die Erinnerung an den Vorabend des Ersten Weltkrieges, jene „Urkatastrophe“ des 20. Jahrhunderts, aus dem kollektiven Gedächtnis verschwunden. Die Ausgrenzung und Einkreisung Deutschlands durch England und Frankreich, die das Kaiserreich schließlich in den Ersten Weltkrieg trieb, der Versailler Vertrag und die dadurch begünstigte Machtübernahme der Nationalsozialisten bis hin zur Kapitulation 1945 führten dazu, daß Deutschland ein Viertel seines Territoriums verlor und Millionen Deutsche gewaltsam gezwungen wurden, ihre angestammte Heimat zu verlassen.

Wer erinnert heute noch an den Untergang der 800jährigen Geschichte des deutschen Ostens? Mit keiner Silbe erwähnte Bundespräsident Gauck in seiner Europa-Rede, welche Bedeutung dieser Untergang für Europas kulturgeschichtlichen Raum hatte. So wird das eigene Volk einmal mehr staatstragend rhetorisch entsorgt.

Wohin eine „Humanität ohne Gott“ führt, beschreibt Jochen Schaare in seinem Essay „Der große Mittag“. Im Abendland habe sich die Religion in einen „individualistisch geprägten Humanitarismus“ verflüchtigt, „die Kraft des heilsgeschichtlichen Mythos“ verschwinde und an seine Stelle trete der „außengeleitete Mensch“, „ein Wesen ohne Innerlichkeit“, das dennoch wähnt, über alles informiert und Herr seiner eigenen Entscheidungen zu sein. Tatsächlich löse sich jedoch unsere Innenwelt durch die Dynamik der Optionsgesellschaft in eine Vielzahl von Einflüssen der Außenwelt auf, „die zur wunderbaren Vermehrung von Glücksmöglichkeiten führen sollen.“ Als Folge sieht der Autor eine „heillose Desorientierung“, der durchaus totalitäre Systeme entsteigen können. Wie unsere Kultur Bestand haben kann angesichts der Schwächung und Auflösung der Völker und Nationen und eines Globalismus Orwellscher Prägung bleibt die große Frage.

Kontakt: Evelyne v. Bonin. Herminenstr. 7, 65791 Wiesbaden. Der Einzelpreis beträgt 3,20 Euro, das Abo kostet 6 Euro.

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