© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/13 / 10. Mai 2013

Spiel mit dem Feuer
Wahl in Pakistan: Begleitet von täglichen Terroranschlägen versucht sich die „Islamische Republik“ in Demokratie
Günther Deschner

Am 11. Mai steht die Atommacht Pakistan vor historischen Wahlen: Zum ersten Mal in der 66jährigen Geschichte des krisengebeutelten Landes hat eine zivile Regierung planmäßig, ohne Intervention der Armee, ihre volle Amtszeit überstanden – und es sieht so aus, als würde nun auf demokratischem Weg die politische Macht von einer Zivilregierung an die nächste übergeben werden.

Doch wenn eine zu Ende gebrachte Legislaturperiode für Pakistan auch eine Sensation sein mag, die Probleme der instabilen „Islamischen Republik“ sind damit nicht vom Tisch.

Im Würgegriff islamistischer Extremisten

Tiefgreifende politische Verwerfungen erschüttern den – ethnisch, sprachlich und sozial – vielfach zerklüfteten Staat, der seit jeher unter Armut, Gewalt und Terror leidet. Pakistan gilt weiterhin als eines der weltweit gefährlichsten Länder. In den Stammesgebieten im Nordwesten und in der Provinz Belutschistan an der Grenze zu Afghanistan und Iran werden regelmäßig blutige Anschläge auf staatliche Einrichtungen verübt.

Zugleich explodiert die religiöse Gewalt in einem Ausmaß, daß Minderheiten wie Schiiten, Christen, Hindus und andere in ständiger Angst leben müssen. Nach einem furchtbaren Terroranschlag in Quetta forderten die lokalen Schiiten dort von sich aus, das Militär solle doch bitte die Kontrolle über die Stadt und am besten gleich wieder über den ganzen Staat übernehmen.

Die Pakistaner haben also auch nach fünf Jahren demokratischer Regierung wenig Grund zum Feiern. Die außenpolitische Situation des mit seiner Lage zwischen Indien, Afghanistan und China geostrategisch wichtigen Pakistan ist prekär. Das undurchsichtige Verhältnis zu den USA, die spannungsreiche Beziehung zu Indien und die unvorhersehbare Entwicklung in Afghanistan beeinflussen den politischen Kurs des von einer fortschreitenden Fragmentierung der Gesellschaft geprägten Staates. Die wirtschaftliche Lage ist dramatisch, und das Land befindet sich mehr denn je im Würgegriff islamistischer Extremisten, wie der Taliban.

Insofern wurden die großen Hoffnungen, die man in eine demokratische Regierung gesetzt hatte, bisher enttäuscht. Für die meisten Bürger hat sich die Lage seit der letzten Wahl sogar verschlechtert. Die Versorgungslage ist kritisch, die Lebensmittelpreise sind dramatisch gestiegen, Strom, Gas und Benzin sind knapp, die Armut der Massen erdrückend. Nach wie vor zahlen die Reichen keine Steuern, für ein effektives Gesundheitssystem fehlt das Geld. Millionen von jungen Menschen haben keinen Zugang zu Bildung – außer in Koranschulen, wo sie von Islamisten leicht indoktriniert werden können. Dazu kommen gigantische andere Probleme: Terror, Gewalt gegen Minderheiten, eine zunehmende Radikalisierung vieler Menschen, Streitereien mit dem instabilen Nachbarn Afghanistan, Unruhen in der Hafen-Millionenstadt Karachi, die von Bandenkriminalität und politischen – mit Waffen ausgetragenen – Machtkämpfen zerrissen wird.

Wie schlecht es um die innere Sicherheit bestellt ist, wurde im Vorfeld der Wahl erneut deutlich: Im ganzen Land häuften sich Sprengstoffanschläge auf Wahlkampf- und Politikerbüros säkularer Parteien. Seit Mitte April wurden dabei mindestens 80 Menschen getötet, mehrere hundert verletzt.

Islamistische Extremisten hatten nichtreligiösen Parteien bereits vor Wochen mit Angriffen gedroht, und jetzt haben sie meist „die Verantwortung übernommen“. Einige säkulare politische Parteien sind wegen der unsicheren Lage dazu übergegangen, überhaupt keine Wahlkampfveranstaltungen im Freien mehr abzuhalten.

Da die bislang regierende Pakistanische Volkspartei (PPP) in den letzten fünf Jahren viel Kredit verspielt hat, gilt die Muslimliga von Nawaz Sharif als Wahlfavorit.

Das Machtspiel der großen Parteien durcheinanderbringen könnte jedoch der einstige Cricket-Star Imran Khan, der sich als unverbrauchte Figur präsentiert. Ihm und seiner „Bewegung für Gerechtigkeit“ sind im Wahlkampf Massenveranstaltungen mit über hunderttausend Menschen gelungen. Khan spricht vor allem junge Wähler in den Städten an, die über die alte politische Klasse desillusioniert sind. Seine Siegeschancen sind aber wohl nicht allzu groß, weil die ländlichen Massen weiterhin nach traditionellen Mustern für eine der beiden großen Parteien stimmen dürften.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen