© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/13 / 10. Mai 2013

Bitte kein Schauprozeß!
Zschäpe vor Gericht: In den Medien wird das Verfahren politisch überfrachtet
Michael Paulwitz

Strafverfahren dienen der Wiederherstellung des Rechtsfriedens: Der für schuldig erkannte Angeklagte wird nach seiner individuellen Schuld bestraft, der Unschuldige freigesprochen, damit Recht und Gesetz Genüge getan wird. Ein Strafprozeß, der andere, von außen vorgegebene Ziele verfolgt, verkommt schneller als gedacht zum Schauprozeß, zur politisch instrumentalisierten Justizinszenierung, die den Rechtsstaat beschädigt.

Das Strafverfahren gegen Beate Zschäpe und vier mutmaßliche NSU-Unterstützer vor dem Oberlandesgericht München stand schon lange vor dem ersten Verhandlungstag in genau dieser Gefahr. Schaden für den Rechtsstaat drohte keineswegs dadurch, daß bestimmte Medien keine sicheren Presseplätze erhalten hatten: Die gebotene Öffentlichkeit des Verfahrens hängt nicht von der Redaktions- oder Staatsangehörigkeit der anwesenden Medienvertreter ab. Entsprechend scheinheilig ist das Gezeter jener sich den anderen überlegen dünkender überregionalen Tageszeitungen, die zuerst die verweigerte Vorzugsbehandlung für die zu spät gekommenen türkischen Medien skandalisiert hatten und dann im zweiten Vergabeverfahren per Los selbst leer ausgegangen waren: Die beispiellose Kampagne, mit der deutsche und türkische Medien, Lobbyverbände und Politiker in diesem zur Staatsaffäre aufgeblasenen Konflikt ohne Respekt vor der richterlichen Unabhängigkeit das Vertrauen in die deutsche Justiz unterminiert haben, hat dem Rechtsstaat bereits jetzt irreparablen Schaden zugefügt.

Die bei weitem schwerste Hypothek für ein faires und rechtsstaatliches Verfahren ist indes der enorme politische Erwartungsdruck von Politikern, Verbänden und Medien aus dem In- und Ausland, der über Verlauf und Ausgang des über Monate, vielleicht Jahre sich hinziehenden Prozesses liegt. Begriffe wie „Rechtsterrorismus“ oder „Terrorzelle“ kursieren im politisch-medialen Komplex, als handele es sich um feststehende Tatsachen. Aber macht die Gesinnung zwei kaltblütige Schwerkriminelle schon zu „Terroristen“, selbst wenn sie zu Lebzeiten keine politische Botschaft mit ihren Taten verbunden haben? Die Mitwisser- und Mittäterschaft Beate Zschäpes wiederum, die das tote Mörder- und Bankräuberduo erst zur „terroristischen Vereinigung“ machen würde, wird zwar in der lexikonstarken Anklageschrift der Staatsanwaltschaft behauptet – ob aber die gleichwohl oft dünne Beweislage zur Verurteilung ausreicht, kann nur das Gericht feststellen. Bis dahin gilt die Unschuldsvermutung.

Diese Selbstverständlichkeit auszusprechen grenzt im medial aufgeheizten und emotionalisierten Klima um den Zschäpe-Prozeß schon an ein Sakrileg. Zu viele Interessen richten sich darauf, daß im Prozeßergebnis die Version der Staatsanwaltschaft bestätigt und womöglich noch überboten wird: Die Integrations- und „Kampf gegen Rechts“-Industrie braucht das Schreckgespenst NSU, um ihre Forderung nach mehr Geld, Stellen und Programmen für ihre Klientel zu untermauern, die eigene Diskurshegemonie zu zementieren und unliebsame Debatten gar nicht erst aufkommen zu lassen. Zum Beispiel Debatten über die in viel zu vielen Fällen tödliche deutschenfeindliche Migrantengewalt, die eine wachsende Zahl von Normalbürgern alltäglicher und unmittelbarer betrifft als ein ominöser und bis dato weitgehend unsichtbarer „Rechtsterrorismus“, der – anders als vor Jahrzehnten die RAF oder der linksextreme und islamistische Terror unserer Tage – auch kein klammheimliches oder offenes Sympathisanten- und Unterstützerumfeld, keine prominenten Relativierer und Verharmloser und keine verständnisinnig sekundierenden Schriftsteller und Journalisten kennt. Den gar nicht so wenigen Linksterror-Sympathisanten von einst und jetzt, die heute an politischen und publizistischen Schalthebeln sitzen, ist wiederum daran gelegen, den wenig greifbaren NSU so furchterregend wie möglich aussehen zu lassen.

Die türkischen Lobbyverbände dagegen instrumentalisieren im Zusammenspiel mit ihrer Schutzmacht Türkei den Prozeß und die Opfer, um Machtpositionen auszubauen und neue Zugeständnisse einzufordern, vom Doppelpaß bis zum Sonderstraftatbestand „Islamfeindlichkeit“, dem deutschen Staat ihre Stärke zu demonstrieren und ihren eigenen Parallelstaat zu befestigen. Hürriyet titelt „Tag der Abrechnung“, türkische Abgeordnete auf den Beobachterbänken mahnen das Gericht an die Verantwortung, eine „historische Entscheidung gegen Rassismus und Diskriminierung in der deutschen Gesellschaft“ zu treffen, der allgegenwärtige Chef der Türkischen Gemeinde Kenan Kolat verlangt eine „offene Rassismus-Debatte“, die die „Mitte der Gesellschaft“ ins Visier nimmt – im Klartext: Der NSU-Prozeß soll auch dazu herhalten, in der deutschen Bevölkerung die letzten Widerstände gegen die multikulturelle Spaltung und Machtteilung im Land zu brechen.

Das einzig in Frage kommende Urteil im „Jahrhundertverfahren“ steht für Kolat natürlich auch schon fest – Höchststrafe, lebenslänglich. Und wenn nicht? Wird dann der Druck auf Gericht, Staat und Mehrheitsbevölkerung noch verstärkt? Wer da als Richter noch unbefangen und streng nach Fakten- und Beweislage entscheiden will, braucht eine Elefantenhaut und Nerven wie Drahtseile. Der Vorsitzende Richter am Oberlandesgericht München Manfred Götzl hat hoffentlich beides.

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