© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/13 / 03. Mai 2013

Frisch gepresst

Wilhelm Lehmann. Auf Literaturtagungen geht es gemeinhin akademisch-distinguiert, „vornehm“, wie Tony Buddenbrook sagen würde, zu. Das war auch auf den dem Schriftsteller und Pädagogen Wilhelm Lehmann (1882–1968) alljährlich Anfang Mai in Eckernförde gewidmeten Veranstaltungen nie anders. Doch 2012 kam ein unfeiner Hauch von Bierzelt auf, als der pensionierte Gymnasiallehrer Jürgen Bauer polemisierte, Lehmann beherrsche den Konjunktiv nicht und gerate mit seinem „künstlerisch mißglückten“ Erzieher-Roman „Der Provinzlärm“ in die Gefilde „schwülster Pornographie“. Abgesehen von dieser Provokation, die nachzulesen ist in dem von Uwe Pörksen edierten Band, der die Referate dieser dem Pädagogen Lehmann geltenden Tagung vereint, lohnt sich besonders die aus den Akten geschöpfte Studie über den Dichter „im Schulgeschehen“ Eckernfördes sowie, befeuert von 2010 skandalisierten Mißbrauchs-fällen an der Odenwaldschule, Ulrich Grobers ausgezeichnete, leider zu knappe Skizze über die Schattenseiten der Reformpädagogik, die Lehmann von 1912 bis 1920 als Lehrer an der „Freien Schulgemeinde Wickersdorf“ erlebte, wo die Kinder des linksliberalen Bürgertums und der „kulturrevolutionären Opposition im Kaiserreich“ unter der Leitung Gustav Wynekens, eines „Pädokriminellen“, erzogen worden seien. (wm)

Uwe Pörksen (Hrsg.): Der Provinzlärm und Die Aufgabe, Flügel zu schaffen. Wilhelm Lehmann als Pädagoge. Wallstein Verlag, Göttingen 2013, broschiert, 107 Seiten, 10 Euro

 

Zigeuner. Seit einiger Zeit beleben Angehörige dieser großen europäischen Minderheit auffallend das Straßenbild unserer Städte. Angelockt durch die Vorzüge des bundesdeutschen Sozialsystems, hat dieser Zuzug nach Öffnung der Grenzen in Richtung Südosteuropa eine größere Dimension erreicht, was einerseits alte Ressentiments nährt, anderseits auch mancherlei Beklemmung offenbart, wie man sich politisch korrekt der oft verstörenden Lebensart der „Sinti und Roma“ nähert. Der Journalist Rolf Bauerdick beschäftigt sich seit vielen Jahren mit diesem Volk und hat Zigeuner in elf europäischen Staaten besucht. In seinem ebenso eindrucksvollen wie emphatischen Bilderbogen bietet Bauerdick tiefe Einblicke in eine durchaus heterogene Welt, wobei allerlei herrschende Klischees gleichermaßen bestätigt wie verworfen werden. (bä)

Rolf Bauerdick: Zigeuner. Begegnungen mit einem ungeliebten Volk. Deutsche Verlagsanstalt, München 2013, gebunden, 350 Seiten, 22,99 Euro

 

Historisches Kalenderblatt

3. Mai 1993: Björn Engholm, der als aussichtsreicher Kanzlerkandidat für die Bundestagswahl 1994 galt, tritt als Regierungschef von Schleswig-Holstein und SPD-Vorsitzender wegen einer Falschaussage im Barschel-Untersuchungsausschuß zurück.

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