© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/13 / 03. Mai 2013

Blutiger Einstand
Italien: Lettas großkoalitionäre Regierung steht vor großen Aufgaben und vor allem vor der ewigen Zerreißprobe
Paola Bernardi

Kaum atmete Italien bei der Ankündigung einer neuen Regierung nach 60 Tagen auf, wurde dieses Ereignis von einem blutigen Anschlag überschattet, der in der jüngsten Geschichte seinesgleichen sucht. Ein 49jähriger Arbeitsloser aus Kalabrien eröffnete vor dem Palazzo Chigi während der Vereidigung plötzlich das Feuer und traf zwei Carabinieri und eine Frau. Einer der Carabinieri wurde schwer verletzt. Sein Anschlag galt den Politikern, wie er sagte. Dieser Vorfall zeigt die dramatische Wirtschaftslage des Landes und das vergiftete politische Klima.

Nach zwei Monaten Blockade in der Politik, in denen täglich nur Schreckensnachrichten auf die Italiener herniederprasselten – Staatsschulden, Arbeitslosigkeit, Pleiten –, hat das Land nun eine Regierung. Der neue Ministerpräsident, der 46jährige Enrico Letta, bisheriger stellvertretender Vorsitzender der Demokratischen Partei (PD), hat nach intensiver Beratung seine Koalitionsregierung vorgestellt und den Italienern ein „junges und kompetentes Team“ mit unverbrauchten Gesichtern präsentiert.

Doch ganz ohne Hilfe der „weisen Alten“ verlief diese Regierungsbildung nicht: Der fast 88jährige Staatspräsident Giorgio Napolitano verhandelte immer wieder neu und zwar gemeinsam mit dem 78jährigen Gianni Letta, ehemaliger Staatsminister und „graue Eminenz“ von Berlusconi. Er ist der „rechte“ Onkel des neuen „linken“ Ministerpräsidenten. Gemeinsam zogen die alten Politiker im Hintergrund die Fäden. Ihre Strategie lautete: Einen längst fälligen Generationswechsel einzuleiten und die alten Spitzenpolitiker, die Reibungsflächen bieten, auszugrenzen. Sie, die wieder in den Startlöchern standen, wurden dieses Mal kalt abserviert: Ex-Premier Massimo D‘Alema für die Linken sowie Ex-Wirtschaftsminister Renato Brunetta für die Rechten. Selbst Silvio Berlusconi verzichtete. Der Cavaliere will sich wieder mehr seinem Konzern widmen, denn auch dieser verspürt die wirtschaftliche Schieflage im Lande. Zudem warten weitere Gerichtstermine. In diesem neuen Kabinett ist auch kein Posten für den im Ausland und besonders in Deutschland so hochgeschätzten Wirtschaftsprofessor und Ex-EU-Kommissar Mario Monti. Er, der das Land ein Jahr verwaltet hat, blieb ausgeschlossen. Denn ihm wird der Großteil der derzeitigen wirtschaftlichen Misere Italiens angelastet, da er nur den Mittelstand mit Steuern überhäufte und mit den wirklich wichtigen, notwendigen Reformen steckenblieb.

Letta vereint in seinem neuen Kabinett zwei konträre Kräfte; zwei politische Gegner, die sich bis heute als Erzfeinde betrachten: Berlusconis Mitte-Rechts-Partei „Volk der Freiheit“ (PDL) und die linke Partito Democratico (PD).

Die PD unter dem Parteivorsitzenden Pier Luigi Bersani hatte nur um 0,04 Prozent bei den Februar-Wahlen gewonnen und im Senat daher keine Mehrheit. Doch Bersani, der alte linke Hardliner, konnte nicht über seinen Schatten springen, um eine große Koalition mit Berlusconi einzugehen. Er beharrte auf einer Minderheitsregierung und präsentierte dann noch zweimal die falschen Kandidaten wie Franco Marini und Romano Prodi. Es ist fraglich, ob die linke Partei diese Fehleinschätzungen Bersanis ohne Spaltung überwinden wird.

Letta hingegen zeigte keine Berührungsängste, er wählte aus beiden politischen Lagern dialogbereite Minister. Das neue Kabinett dieser großen Koalition besteht aus 21 Ministern, darunter sind sieben Frauen sowie einige Fachleute. Getragen wird die neue Regierung von PD, der PDL des früheren Regierungs-chefs Berlusconi und der kleinen Zentrumspartei Mario Montis. Der neue Regierungschef ist damit dem Wunsch des wiederum amtierenden Staatspräsidenten Napolitano nachgekommen, eine möglichst breite politische Basis zum Regieren zu bilden. Also keine Liebesheirat. Während die Kammerabgeordneten der Südtiroler Volkspartei (SVP) signalisierten, für die Regierung zu stimmen, bilden nun die Lega Nord, die populistische Protestbewegung „Fünf Sterne“ unter Beppe Grillo sowie die kleine Links-Partei „Sel“ die Opposition in Rom.

Der linksliberale Letta genießt in Rom den Ruf eines Brückenbauers. So erregte in seinem neuen Kabinett die Ernennung der neuen farbigen Integrationsministerin, der aus dem Kongo stammenden Ärztin Cécile Kyenge großes Aufsehen und ebenso die in Deutschland geborene vierfach Kanu-Olympiasiegerin Josefa Idem, die sich um die Gleichberechtigung bemühen soll.

Neuer Innenminister wurde Angelino Alfano, der treue Generalsekretär vom „Volk der Freiheit“ (PDL). Dario Franceschini, der eng mit Letta in der PD gearbeitet hatte, wird die Regierung im Parlament vertreten. Mario Mauro von der „Bürgerliste“ von Monti wird Verteidigungsminister. Zur Justizministerin wurde die bisherige Innenministerin Anna Maria Cancellieri ernannt, eine unparteiische Präfektin, die von allen Parteien geschätzt wird. Das Außenministerium wird die frühere EU-Kommissarin Emma Bonino übernehmen, die von der kleinen Radikalen Partei kommt. Das Wirtschafts- und Finanzressort übernimmt der Generaldirektor der Zentralbank, Fabrizio Saccomanni.

Sie müssen nun versuchen, das von den Fachleuten erarbeitete Programm – Stärkung des Mittelstandes, Senkung der rigiden Steuerabgaben, Wiederbelebung des Arbeitsmarktes –, das der Staatspräsident in Auftrag gegeben hat, zu verwirklichen.

Foto: Innenminister Alfano, Ministerpräsident Letta und Außenministerin Bonino (v.l.): Keine Berührungsangst

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