© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/13 / 03. Mai 2013

Empört euch!
Debatte um Pädophilie und die Grünen: Die Partei muß endlich ihre zweifelhaften Positionen der Vergangenheit kritisch aufarbeiten
Christian Vollradt

Kritisiert mich für das, was ich geschrieben habe, aber jagt mich nicht für etwas, was ich nicht gemacht habe.“ Daniel Cohn-Bendit, eine Ikone der 68er-Bewegung und deutsch-französischer Grünen-Politiker, machte in seiner Dankesrede zur Verleihung des Theodor-Heuss-Preises vorvergangene Woche noch einmal deutlich, wie er die Dinge sieht: als eine gegen ihn gerichtete Kampagne der bürgerlichen Medien und Parteien.

Wie zuletzt vor drei Jahren – auf dem Höhepunkt der Mißbrauchsdebatte an der reformpädagogischen Odenwaldschule sowie an einzelnen katholischen Internaten – fallen dem Europaabgeordneten der Grünen einige Passagen seines 1975 erschienenen Buches („Der große Basar“) über seine Tätigkeit in einem Frankfurter „Kinderladen“ wieder einmal auf die Füße: „Mein ständiger Flirt mit allen Kindern nahm bald erotische Züge an. (...) Es ist mir mehrmals passiert, daß einige Kinder meinen Hosenlatz geöffnet und angefangen haben, mich zu streicheln. (...) Wenn sie darauf bestanden, habe ich sie auch gestreichelt.“

Cohn-Bendits Selbstverteidigung lautet, die Beschreibungen dieser pädophilen Vorkommnisse seien „provokante Fiktion“ gewesen, bloß „schlechte Literatur“, und daß nie ein Mißbrauch von Kindern „stattgefunden“ habe. Er betont, seine Äußerungen müßten als Tabubruch in den historischen Kontext der 68er-Bewegung eingeordnet werden. Als Beleg führt er unter anderem einen Solidaritätsbrief aus dem Jahr 2001 an, in welchem Eltern der damaligen Kinderladen-Kinder ihm attestierten, er habe „niemals die Persönlichkeitsgrenzen unserer Kinder verletzt“. Nach Recherchen der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) hat die Initiatorin des Briefes nun jedoch zugegeben, sie habe zum einen das Buch gar nicht so genau gelesen, zum anderen sei ihr eigenes Kind gar nicht während Cohn-Bendits Tätigkeit in dieser Einrichtung gewesen. Die Solidaritätsadresse für den Grünen sei also in erster Linie politisch motiviert gewesen.

Trotzdem hat sich an der Verteidigungslinie Cohn-Bendits nichts geändert. Nach einer gewissen Strategieänderung klingt schon eher das, was Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann äußerte. Kretschmann hatte die Preisverleihung an seinen Parteifreund verteidigt und von Vergebung gesprochen, auf der anderen Seite dessen frühere Äußerungen „höchst prekär“ und „unakzeptabel“ genannt. Nun hat sich Kretschmann darüber hinaus für eine Aufarbeitung der Rolle von Pädophilie-Befürwortern in der Anfangszeit der Grünen ausgesprochen. „Ich habe auf einer Landesvorstandssitzung vorgeschlagen, daß wir uns das mal überlegen sollten“, sagte Kretschmann nach einem Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

In der Tat spricht einiges dafür, daß die Partei durchaus Bedarf an einer Vergangenheitsbewältigung der besonderen Art hat. Denn „Teile des linksalternativen Milieus sympathisierten mit Pädophilen – zumindest boten sie ihnen einen ideologischen Rahmen“, der aus heutiger Sicht „erschreckend“ sei, stellte im April die taz fest; also das Medium, das sich aus denselben Quellen speiste wie die frühere Alternativpartei und hinsichtlich des Milieus bis heute über große Schnittmengen mit den Grünen verfügt. Und das, so kann man ergänzen, eben auch die gleichen Altlasten teilt, etwa in der Person Dietrich Williers. Der hatte sich als Kunsterzieher der Odenwaldschule an Kindern vergangen und dann als einer der taz-Gründer bekennenden Päderasten in der Zeitung ein Forum geboten.

Christian Ströbele, 1979 ebenfalls an der Gründung der taz und später an der der Grünen beteiligt, stellte fest, daß die „sexuelle Befreiung bestimmend für die Aufbruchsstimmung der Außerparlamentarischen Opposition“ war. Man habe damals grundsätzlich alle Tabus in Frage gestellt und dabei gelegentlich „das Pendel zu weit an den Rand“ ausschlagen lassen. Auch wenn nur eine kleine Minderheit in den Anfangsjahren der Grünen (siehe nebenstehendes Interview) tatsächlich ein eigenes Interesse an der „Entkriminalisierung“ von Kindesmißbrauch hatte – etwa eine „Bundesarbeitsgemeinschaft Schwule und Päderasten (SchwuP)“ –, fanden Versatzstücke der Pädophilen-Propaganda Eingang in die politische Arbeit der Partei (JF 13/10).

Zu den bekanntesten Ergebnissen dieser Einflußnahme gehört sicherlich der als Bundestags-Drucksache 10/2832 veröffentlichte Antrag der Grünen-Fraktion aus dem Februar 1985. Der sah die Streichung der Paragraphen 175 und 182 des Strafgesetzbuches zum Schutze Minderjähriger vor, weil sie „einvernehmliche sexuelle Kontakte mit Strafe bedrohen und damit nicht dem Schutz der sexuellen Selbstbestimmung dienen“, sondern „die freie Entfaltung der Persönlichkeit behindern“.

Und am 9. März 1985 nahm eine Landesdelegiertenkonferenz der nord-rhein-westfälischen Grünen in Lüdenscheid mit einer Mehrheit von 76 zu 53 Stimmen die Forderung nach einer gesamten Abschaffung des Sexualstrafrechts ins Wahlprogramm auf. Jede sexuelle Handlung, die von den Beteiligten unabhängig von ihrem Alter gewaltfrei ausgeübt werde, müsse straffrei bleiben, so die These. Der Vollständigkeit halber muß erwähnt werden, daß dieser Beschluß kurze Zeit später ausgesetzt und schließlich revidiert worden ist. Der Arbeitskreis „Kinder und Jugendliche“ der Grünen in Baden-Württemberg hatte sich dessen ungeachtet im April desselben Jahres noch mit ähnlich lautenden Formulierungen zu Wort gemeldet.

Der grüne Kreistagsabgeordnete Wilhelm D. aus Gütersloh beließ es indes nicht bei der Diskussion über straffreien Sex mit Kindern oder bei der Propagierung des Mißbrauchs Minderjähriger. Er vergewaltigte im April 1985 die zweieinhalbjährige Tochter seiner Freundin. Das Mädchen wurde dabei schwer verletzt. D. wurde vom Landgericht Bielefeld anschließend zu acht Jahren Haft verurteilt. Wie die Welt am Sonntag im November des Jahres berichtete, hatte sich D. trotz der Haft geweigert, sein Mandat niederzulegen, und bezog deshalb noch monatlich 675 DM Aufwandsentschädigung. Bis zum Ende der Legislaturperiode müßten rund 33.000 DM aus Steuermitteln an ihn geflossen sein.

Ein Einzelfall – keine Frage. Aber einer, der wie andere Beispiele auch untersreicht, daß eine selbstkritische Aufarbeitung der Grünen-Vergangenheit notwendig ist. Daniel Cohn-Bendit jedoch hat – so berichtet die FAS – einen Teil seiner Archivbestände sperren lassen.

 

Mißbrauch von Kindern

Laut Paragraph 176 des Strafgesetzbuchs wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen läßt. Strafbar ist es ebenfalls, ein Kind sexuelle Handlungen an einem Dritten vornehmen zu lassen oder auch Kindern unter 14 Jahren pornographische Abbildungen oder Darstellungen vorzuführen.

 

Versuchte Einflußnahme

Interview: Rolf Stolz war Mitbegründer der Grünen

Durch die Kritik an der Verleihung des Theodor-Heuss-Preises an den Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit wegen dessen früherer Äußerungen über erotische „Flirts“ mit Kindern ist auch die Frage nach einer Verharmlosung oder gar Propagierung der Pädophilie durch die Grünen wieder aufgeworfen worden. Waren die Grünen offen gegenüber solchen Tendenzen?

Stolz: Es gab in der Tat den Versuch einer entsprechenden Einflußnahme in der Partei. Aber man muß auch betonen, daß das ein Randphänomen war; nicht nur, was die Zahl der Beteiligten angeht, sondern auch angesichts der ganzen anderen Probleme, die die Grünen in ihrer Gründungsphase hatten. Jede junge Partei ist anfällig dafür, daß Minderheiten sie als Plattform für ihre Minderheiteninteressen nutzen wollen. Ein solche – allerdings sehr kleine – Minderheit waren auch diejenigen, die Pädosexualität propagierten.

Wie lief das damals ab?

Stolz: Speerspitze dieser Bewegung war die berüchtigte sogenannte „Nürnberger Indianerkommune“. Das waren meist junge Erwachsene, die Kinder benutzt haben. Mitglieder dieser Gruppe haben es sich zunutze gemacht, daß damals bei den Bundesversammlungen der Grünen ein allgemeines Rederecht galt. Die sind dann hingefahren, um dort sehr aggressiv zu agitieren, teilweise haben sie die Versammlungen geradezu terrorisiert. Ihr politisch-ideologisches Konstrukt lautete in etwa: „Wir stehen auf der Seite der Liebe, die anderen auf der Seite des Hasses, wir sind für Kinder, die anderen gegen Kinder.“

Welche Reaktionen gab es darauf?

Stolz: Es gab natürlich damals schon Widerspruch. Jede Partei hat in ihrer Gründungsphase Kinderkrankheiten. Da hat sie es schwer, schwierige Minderheiten auszuhalten, gerade wenn die gerne mal Versammlungen ins Chaos stürzen. Man darf nicht vergessen, daß damals große Teile der Medien – auch der SPD-nahen – noch gegen die Grünen eingestellt waren, das aufgegriffen haben und suggerierten, diese fragwürdigen Positionen seien die Position der gesamten Partei. Leute wie die „Nürnberger Indianerkommune“ haben mit ihrem rabiaten Vorgehen versucht, die Positionen einer Minderheit in einer breiteren Strömung der Partei hoffähig zu machen. Bei der Pädosexualität ist ihnen das langfristig nicht gelungen, obwohl im linksalternativen Milieu alles, was unter „sexuelle Selbstbestimmung“ und Emanzipation fiel, Sympathien hervorrief. Aber nachhaltig hat sich ausgewirkt, daß andere Interessengruppen, die auch in der Minderheit waren, sich diese Vorgehensweise – die Mehrheit durch Erpressung umzubiegen – abgeguckt und zum Vorbild genommen haben. Und die waren dann durchaus erfolgreich, wie die Entwicklung beim Thema „Homo-Ehe“ oder beim Gender Mainstreaming zeigt.

 

Rolf Stolz ist Psychologe und Publizist. 1980 gehörte er zu den Mitbegründern der Grünen in Deutschland und wurde im selben Jahr als Schriftführer Mitglied des Geschäftsführenden Bundesvorstandes.

Foto: Gründungsparteitag der nordrhein-westfälischen Grünen 1980 in Dortmund: Teile des linksalternativen Milieus sympathisierten mit Pädophilen

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen