© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/13 / 03. Mai 2013

Der lange Weg zur Erinnerung
Geschichtspolitik: Eine Veranstaltung in Berlin zeichnet den Kampf um das geplante Zentrum gegen Vertreibungen nach
Ekkehard Schultz

Kaum ein anderes zeitgeschichtliches Dokumentationsprojekt hat während der vergangenen Jahre sowohl in Deutschland als auch in den Nachbarländern derartig kontroverse Reaktionen hervorgerufen wie die Errichtung eines Ausstellungs- und Informationszentrums für die Opfer von Vertreibungen in Berlin. Nicht nur in den politischen und medialen Debatten über das Projekt wurde deutlich, welche tiefen ideologischen wie nationalen Gräben bei dieser Themenstellung nach wie vor existieren. Ebenso heftig umkämpft war die Frage, wem das Recht zustünde, diesen Teil der Geschichte für kommende Generationen öffentlich zu präsentieren. Dies kam nicht zuletzt in den zahlreichen Versuchen zum Ausdruck, Vertretern des Bundes der Vertriebenen (BdV) – immerhin die größte Organisation der Betroffenen – das moralische Recht abzusprechen, Einfluß auf die inhaltliche Ausgestaltung zu nehmen.

Mittlerweile steht jedoch fest, daß trotz aller Widerstände in knapp drei Jahren die neue Einrichtung im Berliner Deutschlandhaus nahe des Potsdamer Platzes eröffnet werden wird. Die Umbauarbeiten nach den Vorschlägen der Vorarlberger Architekten Marte.Marte haben bereits 2012 begonnen. Vor diesem Hintergrund berichtete jetzt der Historiker Andreas Kossert, der wesentlich an der Erstellung der inhaltlichen Konzeption für die zukünftigen Ausstellungen mitwirkte, auf einer Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung über den aktuellen Stand und die Hintergründe des Projektes.

Kossert erinnerte an die Schwierigkeiten, die am Anfang des Weges standen. Zwar wurde bereits im November 2005 im damaligen Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD festgelegt, ein entsprechendes „sichtbares Zeichen“ zu setzen, um damit „an das Unrecht der Vertreibungen zu erinnern“ und diese „für immer zu ächten“. Dennoch sei es schon kurz nach der Gründung der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung im Dezember 2008 zu einem heftigen politischen Schlagabtausch gekommen, der sich insbesondere an der Zusammensetzung des Stiftungsbeirates entzündete. Erst nach der Erweiterung des Stiftungsbeirates und des Beraterkreises und der Einigung auf Eckpunkte für das Ausstellungsprojekt sei die Aufnahme einer kontinuierlichen und tatsächlich konstruktiven Arbeit möglich gewesen, erinnerte Kossert.

Bereits im Januar 2010 fand mit der Präsentation des Atlasses „Zwangsumsiedlung, Flucht und Vertreibung in Mitteleuropa 1939–1959“ die erste Veranstaltung der Stiftung statt. Im September 2010 wurde das erste Internationale Symposium zu Flucht, Vertreibung und ethnischen Säuberungen in der Museums- und Ausstellungsarbeit veranstaltet.

Wichtig sei es laut Kossert allerdings auch, bei der Erstellung der künftigen Ausstellungen zu berücksichtigen, daß bei vielen Besuchern beim Thema Vertreibung keine oder nur rudimentäre Vorkenntnisse vorausgesetzt werden könnten. Um so größer sei die Herausforderung, die dauerhafte Präsentation für Menschen aus unterschiedlichen Generationen und unterschiedlicher Herkunft gleichsam informativ und erlebbar zu gestalten. Dies solle sowohl mit einer durchgehenden mehrsprachigen Beschriftung, einer ebenso modernen wie übersichtlichen Ausstellungsarchitektur sowie der Nutzung authentischer und plastischer Objekte erreicht werden.

Darüber hinaus sei ein intensiver Medieneinsatz geplant. Trotz allem wissenschaftlichen Interesse sei sich auch der Beraterkreis darüber bewußt, daß die wichtigste Aufgabe des Ausstellungs- und Informationszentrums darin bestehe, Empathie mit allen Betroffenen von Vertreibungen und Zwangsmigrationen zu wecken, so Kossert. Daher stehe das individuelle Erlebnis im Mittelpunkt, auch wenn es in einen historischen Kontext eingebunden werde. Zudem spiele die Frage nach den längerfristigen Folgen des Heimatverlustes im Ausstellungskonzept eine wichtige Rolle. Dazu sollen nicht nur Interviews mit der Erlebnisgeneration, sondern auch mit ihren Nachkommen eine wichtige Grundlage bilden.

Eine besonders interessante Fragestellung des Projektes sieht Kossert im Wandel des internationalen Blicks auf den sogenannten „Bevölkerungsaustausch“, als der die Vertreibungen oftmals verharmlost wurden. Galten im ehemaligen Völkerbund vor dem Zweiten Weltkrieg Umsiedlungen lange Zeit als „friedensstiftende Maßnahme“, so sei der heutige Blick in erster Linie auf den „engen Zusammenhang zwischen Vertreibung und Völkermord“ gerichtet. Gleichwohl steht eine endgültige Ächtung von Vertreibungen auf internationaler Ebene immer noch aus.

Kritisch wurde indes bei der Veranstaltung angemerkt, daß in der bisherigen Ausstellungskonzeption die Geschichte der Besiedlung der Gebiete, die von Vertreibungen betroffen waren, kaum berücksichtigt würde. Ebenso ein Problem sei die Beschränkung auf das zwanzigste Jahrhundert, obwohl zahlreiche Vertreibungspläne bereits im neunzehnten Jahrhundert entwickelt wurden. Diese Einschränkungen seien jedoch notwendig, um sich den Hauptaufgaben ausreichend zu widmen, kritisierte Kossert.

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