© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/13 / 26. April 2013

65 gegen eine Armee
Der Mythos der Schlacht von Camerone vor 150 Jahren bildet ein Fundament der Traditionspflege bei der französischen Fremdenlegion
Sebastian Pella

Der würdevolle, ehrende Umgang mit den gefallenen Landsleuten und Soldaten wird in Frankreich bis in die jüngste Generation hinein als selbstverständliches Erbe betrachtet. Ein sich dieser Tage zum 150. Mal jährendes Ereignis ist ein prägnantes Beispiel für den Umgang mit Soldatentum im heutigen Frankreich: „Die Schlacht von Camerone“.

In dem durch einen vierjährigen blutigen Bürgerkrieg geschwächten Mexiko versuchte der französische Kaiser Napoleon III., die unterlegene Partei der Konservativen mit militärischer Gewalt zu unterstützen, um letztlich einen Satellitenstaat unter der Herrschaft des Habsburgers Ferdinand Maximilian von Österreich zu installieren. Während dieses Mexikanischen Interventionskrieges, am 30. April 1863, belagerte ein französisches Expeditionskorps die zentralmexikanische Stadt Puebla. Der Fremdenlegion fiel hierbei die Aufgabe zu, im Umkreis von 120 Kilometern Verkehr und Sicherheit der Truppentransporte zu gewährleisten. Am 29. April erfuhr der befehlshabende Offizier, Colonel Jeanningros, daß ein französischer Militärkonvoi Nachschub nach Puebla bringen sollte. Sein Stellvertreter, Capitaine Danjou, traf die Entscheidung, eine Kompanie mit den beiden Sous-Lieutenants Maudet und Vilain als Vorhut zu führen, die die Lageerkundung und Sicherung des Konvois vornehmen sollte.

Am 30. April um ein Uhr brach die Kompanie schließlich mit den drei Offizieren und 62 Soldaten auf. Nach zwanzig Kilometern Wegstrecke machten die Legionäre in Palo Verde Rast und wurden just in diesem Moment von einer 2.000 Mann starken Truppe mexikanischer Soldaten (1.200 Infanteristen, 800 Kavalleristen) unter Colonel Milan überrascht. Die 65 Legionäre schlugen zunächst eine Reihe von Kavallerieangriffen zurück und konnten den Mexikanern hohe Verluste zufügen. Das Gefecht weiterführend, zogen sich die Legionäre auf Befehl von Capitaine Danjou kämpfend in eine Verteidigungsstellung auf der Hazienda Camerone zurück, die von einer rund drei Meter hohen Mauer geschützt war.

Danjou gab den Befehl, sich zu verschanzen und den Feind zu beschäftigen, damit dieser keinen Überfall auf den Konvoi verüben konnte. Eine Aufforderung der Mexikaner, sich der ungeheuren Übermacht zu ergeben, ließ Danjou zurückweisen: „Wir haben noch Munition und wir ergeben uns nicht!“ Hiernach erhob er die rechte Hand – die linke Hand hatte er zuvor in einem Gefecht verloren und trug eine hölzerne Prothese –, schwor, bis zu seinem Tode kämpfen zu wollen und nahm seinen Männern denselbigen Eid ab. Zu diesem Zeitpunkt war es zehn Uhr am Morgen. Der glühenden Hitze und dem Durst trotzend, verteidigten sich die Franzosen eisern. In der Mittagszeit erlag Capitaine Danjou einem Bauchschuß und kurze Zeit später fiel auch Sous-Lieutenant Vilain.

Der mexikanische Colonel Milan befahl angesichts dieses hartnäckigen und unerwarteten Widerstands, die Hazienda anzuzünden. Und obwohl Hitze und Rauch sie weiter drangsalierten, gaben die Männer der Legion nicht auf und hielten weiter den Angriffen stand. Gegen fünf Uhr am Nachmittag hatte Sous-Lieutenant Maudet noch ein Dutzend kampfbereiter Soldaten an seiner Seite. Der mexikanische Befehlshaber Milan hielt nun eine Ansprache an seine Soldaten und fragte sie, ob sie sich nicht schämten, von einer Handvoll Soldaten derart vorgeführt zu werden. Milan befahl nun den endgültigen Sturmangriff auf die Hazienda. Weil fast die ganze Munition verschossen war, stürzten Maudet und die letzten fünf kampffähigen Soldaten mit aufgepflanztem Bajonett den anstürmenden Mexikanern entgegen. Maudet und zwei Legionäre wurden sofort tödlich getroffen.

In der offiziellen Darstellung der Fremdenlegion heißt es: „Die sechzig Männer des Capitaine Danjou haben ihren Schwur gehalten. Elf Stunden haben sie 2.000 Feinden standgehalten, haben 300 getötet und ebenso viele verwundet. Sie haben sich geopfert, dadurch konnte der Transport sicher an sein Ziel gelangen. Sie haben den Auftrag, der ihnen anvertraut wurde, erfüllt.“

Kaiser Napoleon III. ordnete nach Bekanntwerden dieses heldenhaften Kampfes und beispiellosen Soldatentums an, den Namen „CAMERONE“ auf die Fahne des Fremdenregiments zu setzen und die Namen Danjou, Vilain und Maudet mit Goldbuchstaben in die Wände des Invalidendoms in Paris einzumeißeln. Am Ort der „Schlacht von Camerone“ wurde 1892 ein Denkmal errichtet, das die Inschrift trägt: „Hier standen weniger als 60 Mann gegen eine ganze Armee – deren Masse hat sie erdrückt. Anstatt jedoch ihren Mut zu verlieren, haben diese französischen Soldaten am 30. April 1863 ihr Leben gegeben. Zum Gedenken an sie hat ihnen das Vaterland dieses Denkmal errichtet.“

Das Denkmal stellt eine Hommage an den „militärischen Geist“ (virtuti militari) dar, wobei die Gedenkstätte in ihrer heutigen Form von 1962 bis 1965 errichtet wurde. In Mexiko präsentieren seit 1892 bis heute vorübermarschierende mexikanische Soldaten vor dem Denkmal ihr Gewehr und ehren den Heldentod der französischen Soldaten, ebenso wie ihre gefallenen Kameraden.

Der „Schlacht von Camerone“ wird bis heute jährlich an allen Standorten der Fremdenlegion gedacht und der offizielle Bericht über dieses geschichtsträchtige Gefecht verlesen. Der 30. April wurde so – 1906 offiziell deklariert – zum höchsten Feiertag in der Fremdenlegion, wird aber in ganz Frankreich als ehrendes Andenken begangen. In der Geschichte der Fremdenlegion ist das Gefecht von Camerone ein Mythos und Symbol für Opfermut und Heldentum. Alljährlicher Höhepunkt des Camerone-Tages in Aubagne, dem heutigen Mutterhaus der Fremdenlegion, ist die Präsentation der hölzernen Handprothese des gefallenen Capitaine Danjou, die bis heute wie eine Reliquie verehrt wird.

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